Sich in der neuen Umgebung einzuleben ging Jimin luftiger von der Hand, als er zunächst geglaubt hatte. Seine Mitbewohner befanden sich in Dauerstress – in jeweiligen Berufen, sowie miteinander und Jimin entwickelte sich rasch zu einem allgemeinen Ruhepol in den aufregenden Leben seiner Bekannten und Kollegen. Wie es bei ihm immer gewesen war, verstand er sich mit jedem gut, doch Freundschaften ergaben sich aus täglichen Gesprächen und gemeinsamen alkoholverhangenen Abenden nicht. Auch auf Yoongi war er bislang nicht wieder getroffen. Er fühlte sich wohl bei seinen Mitbewohnern, freute sich jeden Morgen wieder auf seine Kollegen, doch er war einsam. Er hätte niemals zugegeben, dass er nachts lange wach lag, beinah neidvoll an das Glück dachte, das Taehyung und Jungkook aneinander gefunden hatten, doch es wurmte ihn allein zu sein.
Aus einer Laune heraus und entgegen der warnenden Worte Byulyis, lud er sich an einem Abend, den er mit Liebesfilmen und drei Tafeln Bitterschokolade verbracht hatte, Tinder herunter. Er schrieb mit einigen Mädchen, jedoch schienen sie mehr an seiner Länge interessiert zu sein, als an seiner Persönlichkeit und so verschwand auch die App wenige Tage später in der Versenkung seines Displays.
„Ich werde einsam sterben.", verkündete er Byulyi beim Frühstück, welche gerade in ihren Nutellatoast gebissen hatte und seinen missmutigen Blick angewidert erwiderte. „Die Mädchen auf Tinder haben alle einen an der Klatsche."
„Hast du mal darüber nachgedacht, dass sie deine verzweifelten Vibes spüren, du Spinner?" Byulyi schmatzte und hob einen Zeigefinger, ehe sie schluckte. „Frauen riechen Homo und Psycho zehn Meter gegen den Wind."
„Ich bin keins von Beidem."
Jimin fing sich einen Schlag gegen die Schulter, Jongin und Taemin schlurften gähnend in die Küche. Das Training mit ihrer Tanzkompanie dauerte die letzten zwei Tage vor ihrem nächsten großen Aufritt jedes Mal doppelt so lang wie ursprünglich angesetzt; das hatte Jimin mittlerweile gelernt. Byulyi wandte sich hilfesuchend an die beiden Tänzer und hob einen Finger in Jimins Richtung.
„Straight oder nicht?"
„Der ist so straight wie die Locken meiner Pudel." Jongin streckte sich ausgiebig, Taemin stellte, zustimmend grunzend, zwei Tassen Instantkaffe auf den Tisch. „Hast du vor das Pulver zu löffeln?"
Jimin verfolgte die Diskussion darüber, wessen Job es war, das heiße Wasser in die Tassen zu füllen nicht weiter. Viel zu sehr gaben ihm die Äußerungen seiner Mitbewohner zu denken.
Die Tage wurden kürzer, die Abende kälter und bereits seit einiger Zeit tummelten sich unheilvolle, beinahe schwarze Wolken am sonst so klaren Himmel von Daegu. Die Sonne kam kaum noch hervor, schien sich vor der Reihe bedauerlicher Ereignisse verstecken zu wollen, die sich des Nachts auf den Straßen der Stadt abspielten.
Seit einigen Wochen verunsicherten Bandenkriege die Bevölkerung und Krankenwagen waren in vielen Distrikten keine Seltenheit mehr. Allgemeines Zucken ergriff die Menschen; zunächst zusammen, dann die Schultern. Und man ging seiner Wege, Einer umsichtiger und misstrauischer als der Andere. Tag um Tag kehrten Ladenbesitzer zu eingeworfenen Fensterscheiben zurück, zu Drohnachrichten und Männern mit Messern und Schlägern, die vor den Geschäften herumlungerten und Besitzer und Angestellten so sehr einschüchterten, dass man ihnen die gesamten Tageseinnahmen versprach. Wie es das Schicksal wollte, arbeitete Jimin punktgenau am Brandherd der Auseinandersetzungen.
Der Blumenladen an der Ecke war eine der wenigen, kaum berührten, friedlichen Oasen gewesen. Solange bis beim letzten Regen drei vermummte Gestalten das Geschäft gestürmt und sämtliche Blumentöpfe zerschlagen hatten.
Der Schock saß Jimin noch immer in den Knochen; der Anblick seiner zitternden Kollegen, die mit Tränen in den Augen ein buntes Mosaik aus Erde und Scherben zusammenfegten, trieb ihm noch eine Woche später kalte Schauer über den Rücken. Letztlich blieben von den ursprünglich acht Angestellten nur Joonmyun, Hyungwon und er selbst übrig.
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Hyazinthen
Fanfiction„Wäre ich vorsichtig, würde ich jetzt nicht hier sitzen." Jimin grinste verschmitzt, nahm die offensichtliche Warnung kein Stück für voll. „Vorsicht wird überbewertet." Vielleicht hätte er nicht so gesprochen, wenn Jimin geahnt hätte, dass sich sein...