Kapitel 15

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-Rylin-

Sorg dafür, dass er dich hasst.
Sorg dafür, dass er sich in Aves verliebt.
Sorg dafür, dass ihr beide überlebt.

Rylin dachte schon die ganze Zeit darüber nach. Wie bringt man jemanden dazu, einen zu hassen? Normalerweise würde jeder nach einer gewissen Zeit genug von ihr haben. Jeder außer Jack. Bei ihm schien alles anders zu sein. Obwohl er ein Rich Kid war, hatte er kindliche Träume, die nichts mit Geld zu tun haben. Obwohl er seltsame Freunde hatte, blieb er sich selbst treu. Obwohl Rylin ihn gehasst hatte, schien ihn das nur noch mehr anzuziehen.

Mann, das wäre alles viel einfacher, wenn Jack ihr egal wäre. Sie könnte ihm dann das Herz brechen, ihm ihre schlechteste Seite zeigen, ihn vielleicht sogar einfach sterben lassen... aber das wollte sie gar nicht. Sie wollte nicht, dass er sie hasste. Vielleicht war er die einzige Chance für sie auf ein glückliches Leben. Dann könnte sie Gale hinter sich lassen und ohne ihn wieder Freude im Leben finden.

'Sei nicht so selbstsüchtig', mischte sich ihr Verstand ein. 'Als du dich das letzte Mal von deinen Gefühlen hast leiten lassen, ist auch nichts Gutes herausgekommen. Willst du jetzt auch noch an Jacks Tod schuld sein?' Wie üblich, hatte ihr Verstand natürlich recht. Und im Argumentieren war er schon immer viel besser als ihre Gefühle. Wann war das letzte Mal, bei dem sie sich von ihrem Herz hat leiten lassen und es nicht hinterher bereut hatte?

Natürlich fiel es ihr sofort ein. Der Tag, an dem sie Gale traf.
Damals war sie mit Cloe befreundet. Sie wollten sich zum Schlittschuhlaufen auf der Eisbahn treffen. An kalten Wintertagen hatten sie das öfters gemacht, weil danach die heiße Schokolade, die sie gerne tranken, noch viel wohltuender war. Es war noch nie vorgekommen, dass Cloe nicht zu einem ihrer Treffen kam, deswegen ging Rylin schon guten Gewissens auf die Bahn. Ihr war es ein wenig peinlich, dass sie so viel schlechter als Cloe auf dem Eis war, deswegen wollte sie den Vorsprung nutzen und heimlich sich wieder einlaufen und üben.

Zehn Minuten später hatte sie schon vorsichtig einige Runden gedreht, sogar ohne hinzufallen. Jedoch wunderte sie es, dass Cloe immer noch nicht da war. Da ihr vielleicht etwas passiert sein könnte, fuhr sie schnell an den Rand und checkte ihr Handy. Tatsächlich, eine Nachricht von Cloe: "Sorry, ich kann nicht kommen." Wie sich später herausstellen sollte, hat sie nur so ein Typ aus der Stufe nach einem Date gefragt.

Wütend steckte sie ihr Handy zurück in ihre Hosentasche. Wie konnte Cloe ihr das antun? Zu dieser Zeit waren sie noch beste Freundinnen und Rylin fühlte sich wirklich im Stich gelassen. Cloe war doch diejenige, die beim Eislaufen am meisten Spaß hatte.
Und auf einmal hatte Rylin überhaupt keine Lust mehr. Sie wollte so schnell wie möglich von der Bahn herunter und fuhr daraufhin schnurstracks zum Ausgang. Dabei stellte sie sich aber nicht gerade schlau an und war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie erst bemerkte, dass sie das Gleichgewicht verlor, als es zu spät war. Nach dieser unsanften Landung wollte sie nur noch schneller weg. Aber je mehr sie versuchte aufzustehen, desto unmöglicher erschien es ihr. Einen Moment lang hatte sie schon überlegt, ob sie einfach dort liegen bleiben sollte, als eine Hand nach ihrer griff. Sie hob ihren Blick... und konnte ihren Augen nicht glauben. Vor ihren Augen befand sich Gale, dessen Namen sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, aber der ihr wieder aufhalf.
"Danke",murmelte sie verlegen. "Kein Ding",meinte er lässig. Nach einem langem Blickkontakt, der beiden nicht lang erschien, setzte sie ihren Weg nach draußen fort. Sie hatte sich doch gerade noch dazu entschlossen, so schnell wie möglich zu gehen, doch jetzt brauchte sie ziemlich lange, um ihre Schlittschuhe abzulegen. Der Gedanke an den Jungen ließ ihr rationales Denken verstummen. Sie wollte nicht gehen. Sie wollte wieder bei ihm sein.

Also beeilte sie sich wieder ihre Schuhe anzuziehen und zurück auf die Bahn zu kommen. Aufgeregt suchte sie nach Gale, konnte ihn aber nicht entdecken. Bis er plötzlich von hinten kam und wieder nach ihrer Hand griff und sie so mitzog. "Ich dachte schon, du willst gehen",sagte er mit seinem typischen Gale-Lächeln. Das Lächeln, in das sie sich verlieben würde.

Nach diesem Tag war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die beiden zusammenkamen.

Rylin war sich immer noch nicht sicher, ob sie positiv oder negativ auf diesen Tag zurückblicken sollte. Klar, ohne diese Begegnug hätte sie niemals so viele schöne Erinnerungen erleben können, aber war es den Schmerz wirklich wert? Eine Frage, auf die ihr Gehirn und ihr Herz unterschiedliche Antworten geben würden.

Und nachdem sie diese Erinnerung wieder vor ihrem innerem Auge abgespielt hatte, wusste sie auch, was sie jetzt zu tun hatte. Gale war nämlich auch jemand, der sie von Anfang an nicht gehasst hatte. Und das lag nur teilweise an ihm, es lag viel mehr an ihr. Denn sie war zwar bei ihrer Begegnung schüchtern, unsicher und nicht gerade gesprächig, aber sie war nett gewesen. Aber wenn sie gemein zu ihm gewesen wäre, hätte man das auch als Flirten interpretieren können, wie Jack es scheinbar getan hatte. Doch plötzlich sah sie noch eine andere Option.

Sie würde es bestimmt schaffen, dass er sie hasste, wenn sie so tat, als wäre er ihr egal. Selbst wenn es nicht der Wahrheit entsprach. Sie müsste ihn bloß wie alle anderen behandeln. Wenn dann ihr Desinteresse dazu führt, dass auch er sein Interesse verlieren würde, sollte es leicht sein, ihm einzureden, dass er Aves liebt. Und vielleicht - nur vielleicht - wird es wahr, dass sie nichts mehr für ihn empfindet, wenn sie nur die ganze Zeit so tut.

Rylin wollte zwar immernoch nicht, dass er sie hasste, aber scheinbar gab es keinen anderen Weg. Schließlich konnte sie genauso wenig mit einem sie hassenden Jack zusammen sein, wie mit einem toten.

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