-Aves-
Aves beeilte sich ihr Make-up aufzutragen. Vorsichtig hüllte sie ihre Augenlider in einen satten Bronzeton. Doch sie legte nicht nur wert auf ihre Augen, auch ihre Lippen erhielten ein mattes dunkelrot. Auch wenn es nicht gerade einfach war, sich auf einem wankendem Schiff zu schminken, sollte heute alles perfekt sein. Schließlich war das die letzte Party, der letzte Abend. Die letzte Chance. Sie versprach sich selbst, sie zu nutzen.
Dass sie in Jack verliebt war, war schon lange kein Geheimnis mehr. Laut ihren besten Freundinnen Abigail und Alessia war es mehr als offensichtlich, dass er auch auf sie stand. Trotzdem waren beide wohl die ganze Schulzeit über zu schüchtern, um sich ihre Gefühle einzustehen. 'Aber was nicht ist, konnte ja noch werden', sagte sie sich immer.
Im Spiegel kontrollierte sie, ob ihre schwarzen, mittellangen Haare perfekt über ihre Schultern fielen. Wie sie es erhofft hatte, harmonierten sie hervorragend mit ihrem zum Lidschatten passendem, bronzefarbenden, aufwendig verarbeiteten Kleid. Sie legte noch schnell passende High Heels an, ehe es auch schon an der Tür klopfte. Darauf öffnete Abigail sie ungefragt. "Die Party hat schon längst angefangen. Warum brauchst du denn so lange?",fragte sie gewohnt vorwurfsvoll. Eins war bereits klar: Aves würde garantiert nicht so auffallen auf der Party wie ihre Freundin. Abigails Kleid war komplett mit Pailletten übersäht und betonte, da es sehr eng anliegend war, ihre attraktiven Kurven. Im Vergleich zu ihrem weitausgeschnittenen, sehr kurzem Kleid, würde Aves' bodenlanges an ihrem ziemlich schlankem Körper geradezu altmodisch wirken.
"Kleinen Moment noch." Obwohl ihre partybessesene Freundin sie hetzte, legte Aves noch ihr nicht zum Outfit passendes Stoffarmband an. Ihre Mutter hatte es ihr an ihrem 14. Geburtstag geschenkt, kurz bevor sie verstarb. Ihr kam das zwar manchmal kindisch vor, aber sie nahm es zur jeder Gelegenheit mit. Und diesmal würde sie keine Ausnahme machen.
"Okay, jetzt können wir."
"Na endlich", antwortete Abigail genervt.Wenig später befanden sich die beiden Freundinnen auf dem Deck des eigentlichen Kreuzfahrtschiffs. Es gehörte Jacks Vater, deswegen konnte er es sich für eine Woche ausleihen, um mit seiner Stufe aufs offene Meer zu fahren. 'Um den geschafften Schulabschluss zu feiern und noch eine schöne Zeit mit seinen ehemaligen Schulkameraden zu verbringen', hatte er seinen Eltern erzählt. Aber eigentlich ging es ihm vor allem darum, so viele Partys wie möglich an den Abenden zu schmeißen und die Restzeit insofern zu nutzen, den Kater auszuschlafen.
Oben angekommen, war die Party schon voll im Gange: Die Tanzfläche war überfüllt, es roch bereits streng nach Alkohol und die schon von unten hörbare Musik der Hobby-DJs dröhnte um ein Vielfaches lauter. Schnell sah sich Aves um: Ihre Clique war hauptsächlich auf der Tanzfläche, doch Jack war nirgends zu sehen.
Als sie seinen besten Freund Matthew fragte, meinte dieser nur: "Er hat gesagt, dass er noch irgendetwas Wichtiges zu erledigen hätte. Vielleicht schaust du einfach in seinem Zimmer nach."Aves wollte schon wieder runter gehen, als sie von Abigail festgehalten wurde. "Du willst doch nicht nur wegen diesem Spielverderber Jack wieder weg, oder? Ich hab doch jetzt schon so lange auf dich gewartet. Mann, Aves, du weißt doch, bald sind die besten Drinks weg."
"Keine Sorge, du kannst schon ohne mich anfangen",verabschiedete sie sich. Sie wollte eh noch nichts trinken, da sie nüchtern mit ihm reden wollte.In seinem Zimmer war er aber nicht. Sie begegnete bloß seinem Bruder Ashton. "Hallo, Aves",begrüßte dieser sie mit einem frechen Grinsen. "Wenn du Jack suchst, hier ist er nicht." Ashton sah wirklich aus wie eine ältere Version von Jack mit einem wilderem Haarschnitt. Trotzdem war er in Aves' Augen nicht halb so attraktiv wie sein Bruder.
"Danke, für die Auskunft",meinte Aves ironisch. "Was machst du eigentlich hier drinnen?"
"Ach, mir ist bloß der Stoff ausgegangen und ich wollte schauen, ob Jack noch was hat. Und siehe da: Ich bin fündig geworden",sagte er und hielt ein kleines Tütchen in die Luft. Er ging auf Aves zu, die noch in der Tür stand. "Jetzt geh' ich aber wieder nach oben, schließlich will ich ja nicht die Abschlussparty verpassen."Doch als er direkt neben ihr stand, flüsterte Ashton ihr noch zu:"Ich hätte auch auf dich gesetzt, aber du weißt doch, wie Jack ist. Er will das, was er nicht haben kann. Das war schon immer so."
Dann rannte er hoch, ohne auf Aves' Antwort zu warten. Hieß das, dass Jack bereits in eine andere verliebt war? Würde ihr ganzer Plan jetzt scheitern?
Aves verscheuchte diese Gedanken. Sie wollte nicht wahrhaben, dass Jack jemand anderes als sie lieben könnte. Wenn, dann wollte sie es mit eigenen Augen sehen.
Also begab sie sich wieder aufs Deck. Aber nicht um zurück zur Party. Die war für sie eh schon gelaufen. Sie hoffte einfach nur, dass der bloße Anblick des Meeres, welches vom Vollmond beschienen wurde, sie beruhrigen würde. Ihre Gedanken ordnen würde. Ihr helfen würde, zu verstehen, dass ihre Träume mit Jack niemals in Erfüllung gehen würden. Dafür sorgen würde, dass sie all ihre Gefühle einfach vergisst.
Doch das Meer konnte das nicht. Nichts und niemand konnte das. Außer vielleicht sie selbst. Aber das hielt Aves für unmöglich.Zudem wurde aus dem Meeranstarren nichts, da sie auf der ruhigeren Seite des Decks Rylin entdeckte. Sie war die Außenseiterin schlechthin. Sie wechselte erst später auf ihre Schule, als sich die Cliquen bereits gebildet hatten. Ihr schien es immer ziemlich egal zu sein, dass sie keiner mochte, da sie auch keinen mochte. Sie hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, ein Kleid für die Party anzuziehen, sondern trug ein schlichtes T-Shirt und eine Jeans. An sich wäre das nicht komisch, sie hier isoliert von den anderen zu treffen, entfernt von der Party.
Aber sie war nicht allein. Neben ihr stand nämlich Jack. Beide standen mit dem Rücken zu Aves und betrachteten das Meer.
Eigentlich immer noch nichts Ungewöhnliches, denn vielleicht wollte Jack sie nur dazu überreden, wenigstens auf die letzte Party auf dem Schiff zu kommen, damit sie nicht so allein wie sonst wäre.
Ein lautes Geräusch, welches Aves nicht zuordnen konnte, ertönte. Rylin drehte ihren Kopf, um den Ursprung dieses Geräusches herauszufinden und entdeckte dabei Aves.Wenige Sekunden darauf küsste Rylin Jack. Einfach so.
Aves konnte fast hören, wie ihr Herz in tausende Stücke zerbrach. Es passte zusammen mit Ashtons Anspielung und Jacks Desinteresse in den letzten Tagen, das Aves erst jetzt richtig auffiel. Und da hatte sie den Beweis, den sie wollte. Sie hatte Jack nicht nur verloren, sondern sie hatte ihn an die Außenseiterin verloren.
Aves war nun der festen Überzeugung, dass der Abend nicht noch schlimmer werden konnte, aber da sollte sie sich gewaltig irren.
DU LIEST GERADE
Far away #wingaward2019 #TheIndividuals2019 #ColourAward18 #RainbowAward2019
JugendliteraturEs sollte ein wunderschöner und unvergesslicher Abschluss einer langen Reise werden. Zur Feier ihres geschafften Schulabschlusses machte die gesamte Stufe einen Ausflug aufs offene Meer. Am letzten Abend der Kreuzfahrt wollte Aves sich endlich trau...