Kapitel 2 - Alles neu

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Es gibt Menschen, die behaupten es wäre besser leichter für ein Kind ein neues Leben anzufangen, als es für einen Erwachsenen ist. Aber wie das Leben deines Vaters beweist, haben die Leute, die so etwas behaupten Unrecht. Natürlich war am Anfang alles ein riesiges neues Abenteuer und es gab unglaublich viel Neues zu entdecken. Das Haus, das deine Großeltern für ihr neues Leben auserkoren haben, war ein über 200 Jahre altes Bauernhaus. Für deinen Vater und seine Schwester war es das Spuk Haus schlecht hin. Von außen war das Gebäude von Efeuranken völlig überwuchert. Wie Adern durchzogen sie das Gemäuer. Der Garten war ein Wald, den allem Anschein nach, seit Jahren niemand mehr betreten hatte. Das schauderhafte innere des Gebäudes war überzogen von einem modrigen Geruch, da die Feuchtigkeit der dicken Steinwände in jede Tapete, jeden Boden und jedes Gebälk kroch. Es war dunkel, da durch die verschmutzten kleinen Fenster kaum Licht in das innere des Gebäudes gelangte. Die Wände waren noch verziert mit den Bildern längst verstorbener Menschen. Die Möbel noch mit dem Staub des letzten Jahrhunderts bedeckt, die Einrichtung wirkte jedoch so, als würden die Menschen noch dort leben, ihre Runden drehen und Ihrem natürlichen Alltag nachgehen. Hinter jeder Ecke erwartete dein Vater, begleitet von seiner Schwester, die mit einer viel zu lebhaften Fantasie ausgestattet war, eine der Personen anzutreffen, die dort an der Wand hängten. Im Boden im Erdgeschoss waren zwei Luken, die in die Kohlenkeller führten. Diese scheinbar endlos tiefen Abgründe, in die sich nicht der geringste Lichtstrahl wagte, haben die beiden Abenteurer aber lange nicht betreten. Dein Vater hatte es am Anfang einmal versucht, doch als er nach ein paar Schritten, im hinteren Bereich des Kellers zwei funkelnde Augen ausmachte, die ihn direkt ansahen, machte er so schnell es ging kehrt und flitzte die Stufen wieder hinauf. Die ersten Monate, vielleicht auch Jahre hat er immer damit gerechnet, dass diese Luke sich eines Tages öffnen wird und die Gestalt mit den funkelnden Augen an die Oberfläche kommen würde. Es war das perfekte Geisterhaus. Es gab sogar in all den fast 15 Jahren, in denen dein Vater in diesem Haus lebte noch Winkel im Haus, die dein Vater nie betreten hatte. Dein Vater gewöhnte sich aber recht schnell an die Atmosphäre. Er fing sogar an das schauderhafte Gefühl zu genießen. Es kam sogar wirklich der Tag, an dem die Luke zum Kohlenkeller offen stand. Dein Vater machte nicht lange Halt. Er schnappte sich eine Taschenlampe und nahm sich vor, sich seiner Angst der funkelnden Augen dort unten zu stellen. Immerhin wagte er sich fast alle Stufen in den Keller hinunter. Soweit, dass er gerade so in die Ecke leuchten konnte, aus der die Augen ihn damals anzustarren schienen. Es war ein Bär. Ein riesengroßer brauner, durchlöcherter Teddybär, dessen Knopfaugen das minimal in den Keller einfallende Tageslicht reflektierten. Die Neugier war gestillt und dein Vater kehrte dem Keller wieder den Rücken. Der Grund für die offen stehende Luke war ihm aber nie wirklich wichtig. Denn eines musste man in diesem Haus auch Jahre später noch erleben. Die Türen öffneten sich hin und wieder. Man hat einen Raum betreten, die Tür hinter sich geschlossen und im nächsten Moment, wenn man abgelenkt war und sich wieder der Tür zugewendet hat, stand diese offen. Bei den alten Türen, die ebenso alt wie das Gebäude waren und aus Gründen des Denkmalschutzes nicht ausgetauscht werden durften, war es absolut verständlich. Das Schloss war einfach durch die häufige Benutzung über die Jahre zu stark abgenutzt. Doch auch im späteren Zimmer deines Vaters, in dem er die letzten Jahre in diesem Haus verbrachte, wo eine neue Tür eingebaut war, stand gerne einmal die Tür beim Erwachen am nächsten Morgen offen. Die Schwester deines Vaters, hätte es nie gewagt in dem Zimmer deines Vaters zu übernachten. Kurz gesagt, es war ein Haus mit enorm viel Charme. Dein Vater hat sich öfter überlegt, wenn er alt ist, in diesem Haus einmal seine Geschichte zu schreiben.

Dein Onkel war immer mehr der Einzelgänger. Es kam zwar vor, dass dein Onkel mit deinem Vater etwas Zeit verbrachte, doch zu deiner Tante hatte er leider nie wirklich eine enge Bindung. Dein Vater konnte jedoch immer zwischen den Beiden wählen. Wenn er verbotene Dinge tun wollte, ging er zu seinem großen Bruder. Dein Onkel war schon immer gern bei allem dabei, was man nicht tun sollte. Es hat schon in der alten Heimat damit begonnen, in dem sie viel mit Feuer spielten. Oder im Wald gegen eine feindliche Bande Fallen zu bauen. Dein Vater wusste zwar nie, wer die feindliche Bande war, sie existierte aber. Es gab einen Tag, an dem dein Vater an einem Ast zog, der lose vom Baum hing. Dein Vater konnte den Schrei: "Vorsicht", mit dem darauf folgendem reißen an seinem Arm, noch Jahre später hören als wäre es gerade erst einen Augenblick zuvor geschehen. Der lose Ast, der am Baum hing, war eine Falle von der anderen Bande. Kurz nach dem Ziehen an Ast stürzten eine Hand voll Steine vom Baum. Im Nachhinein betrachtet, war es ein wirklich seltsames und gefährliches Spiel, dass dein Onkel da spielte. Dein Vater vermutete auch, dass es nicht wirklich ein Spiel war. Er hatte schon immer den leisen Verdacht, dass die feindliche Bande auch mit ein Grund für die Veilchen und blauen Flecken, deines Onkels waren. Für deinen Onkel war der Umzug vermutlich das beste, was ihm passieren konnte. Nur das Happy End bleibt noch etwas abzuwarten, um der Geschichte ein wenig vorzugreifen. Im neuen Zuhause war der Spielplatz deines Onkels erst mal die Garage. Wieder ein Spielplatz in dem man viele verbotene Dinge tun konnte. Er zeigte deinem Vater zum Beispiel das "Schleifmaschine an - Schleifmaschine aus - mit dem Finger anhalten - Spiel". Dein Vater hat es nach einigem zusehen natürlich gleich ausprobieren müssen. Schleifmaschine an, Finger rein, ein weiterer Schrei von deinem Onkel und eine Fingerkuppe weniger. Dies war im übrigen schon das zweite Mal, dass dein Vater von einem Zwischenfall bewusstlos wurde. Das erste Mal war ein Unfall mit einem Roller, dieser hatte ihn mit dem Griff auf dem Heimweg von der Schule beim Links, Rechts, Links schauen auf der Straße, an der Nase erwischt. Der kleine, damals 7-Jährige Junge, ist erst beim Doktor, der zufällig im folgenden Fahrzeug saß, zu Bewusstsein gekommen. Die Arzthelferin war gerade dabei den Penis deines Vaters zu untersuchen. Einmal von links betrachten, einmal von rechts, von oben, von unten. Es gelang deinem Vater nie, eine medizinische Verbindung zwischen Nase und Penis aufzubauen. So konnte er sich diese Untersuchung nie Erklären. Auch wenn manche Leute sagen, dass man von der Größe der Nase, auf die Größe des Penis schließen kann. Die Abneigung deines Vaters zu einem Arzt zu gehen, könnte aber aus psychologischer Sicht tatsächlich von diesem Vorfall stammen. Nach dem Vorfall mit der Schleifmaschine kam dein Vater aber auf der uralten Toilette im Geisterhaus zu sich. Dein Onkel war über ihn geneigt und wickelte den Finger in Klopapier ein. Es grenzte an ein Wunder, dass dieser Vorfall nie jemandem aufgefallen ist. Das Bedürfnis, verbotene Dinge mit deinem Onkel anzustellen, war für deinen Vater aber erst einmal gestillt.  

Das LebenWhere stories live. Discover now