Ich- die Wand

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Ein Lächeln ist die effektivste Wand, die ein Mensch um sich herum erbauen kann. Die perfekteste Illusion, die man immer dann anwenden kann, wenn man Fragen vermeiden, Probleme umkreisen will.

Die Last der Lügen drohte, mein Lächeln an den Mundwinkeln herabzuziehen, als ich abermals beteuerte, dass es mir gut gehe und, dass ich rein gar nichts in meinem Leben bereute. Wandgleich stellten die Lügen sich zwischen mich und die reale Welt, zwischen meine beiden Gesichter, zwischen dem, was jeder gut kannte und dem, was eigentlich war. Oder dem, was ich eigentlich gar nicht mehr war. Sicher war ich mir nicht mehr.

Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr wollen waren die einzigen Gedanken, die ich damals hegte. Schwarz und düster, trist aufgrund ihrer ständigen Wiederholung. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr wollen. Wissend, dass ich so nur depressiv werden würde, versuchte ich vehement, meine Gedanken zurück in ihre schwarze Box in der dunklen Kammer meiner trüben Hirnwindungen zu verdrängen, schaffte es aber nicht und ließ sie als mahnende Wolke in meinem Kopf.

Dabei war ich mir nicht einmal mehr sicher, was ich wollte - denn ich existierte nur noch als Wand zwischen den beiden Personen, die ich verkörperte, die ich vorspielte und mir einredete zu sein, die mein eigentliches Ich aber schon lange aussortiert hatten und die niemand außer mir selber kannte.

Mein eigentliches Ich war damit beschäftigt, Ähnlichkeiten zwischen den beiden Gestalten beizubehalten, nicht aus Versehen mit dem Essen aufzuhören, weil der Stress mir Steine in den Magen legte, nicht nach Möglichkeiten zu suchen, meinen psychischen Schmerz irgendwie abzulenken, auf irgendetwas greifbareres, den physischen Schmerz, den ich mit mir herumtrug, nicht zu verschlimmern.

Nicht jeden Abend weinend aufzuwachen, bemerkend, dass ich den gesamten Tag in Trance verbracht hatte, innerlich aufgebraucht und erschöpft.

Wisst ihr, wie es ist, jedem außer einer Person etwas vorzuspielen, jedem alles zu verheimlichen, sich ein vollkommen falsches Bild aufzubauen, nur, um das zu verstecken, was einem wichtig ist? Wisst ihr, wie es ist, sich von Menschen, die das eigentliche Ich doch gar nicht kennen, die nur das sehen, was sie sehen dürfen -nämlich nichts- zu hören, man sei scheiße oder könne dies nicht oder tue das nicht, dabei unfähig ihnen die wahren Gründe für alles zu nennen?

Gründe, wieso man niemals ausgeruht auftritt, immer nervös abwesend und recht wenig redselig ist?

Und, wie es ist, zu versuchen, hier einen Slam durchzuführen, ohne die Erlaubnis, auch nur irgendetwas wahrheitsgemäß auszusprechen? Wahrscheinlich nicht. Also, lasst es mir euch darbieten:

Sie stand in der Schwärze, zitternd vor Angst aus ihrem Zimmer zu gehen. Nicht, dass die Menschen hinter der erleuchteten Dunkelheit ihrer Zimmerwände ihr etwas antun würden. Doch die Bürde zerrte an ihrem Gesicht, entstellte ihr Lächeln, ihre Mauer- ihre Bürde war das ewige Verstecken, das Vorspielen einer Person, die es lange nicht mehr gab, die längst tot und in ihre Bestandteile zerfallen war.

Jeden Tag. Immer. Durchgängig.

KurzgeschichtensammlungWhere stories live. Discover now