Cigarettes and candy- Achterbahn

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Lachend drehte sie sich im Kreis, legte den Kopf in den Nacken und beobachtete den Himmel beim Kreisen.

Im Zentrum der Welt, dachte sie, waren sie, im unantastbaren Mittelpunkt ihrer Leben: Eingefroren schien die Realität, regungslos festgenagelt in dem Zeitpunkt, in welchem sie diese verlassen hatten.

So lange dieser Wirbel nicht stoppte, solange würde die Realität auf sie warten. So lange hatten sie Zeit. Konnten sie vergessen. Wollte sie zumindest vergessen.

„Feliz!", rief ihre Gruppe, „schwing die Hufe!"

Was sie vergessen wollte, wusste sie schon nicht mehr, so unwichtig erschien die Wirklichkeit in solchen Augenblicken.

„Feliz!", jemand rüttelte sie an den Schultern, „meine Fresse, hörste mich noch?!"

Jemand hielt das Drehen an- plötzlich stand der Himmel wieder, stand sie wieder, stand wieder nur irgendwo im Leben und nicht in diesem wunderbaren Mittelpunkt, den sie geschaffen hatte.

Verwirrt schweiften ihre Augen weg von dem stockenden Himmel und durch die Gegend, bis sie die Person, die ihre Schultern hielt, vor sich fanden.

„Jawatt?", nuschelte sie und versuchte sich barsch von dem Griff loszureißen. Taumelnd verlor sie das Gleichgewicht und wäre auf den Boden gefallen, hätte Rose sie nicht oben gehalten. 

Oben, aber auch vom Mittelpunkt abgehalten. Sie wollte sich weiterdrehen, wollte wieder im Mittelpunkt sein, wollte nicht stehen und darauf warten, dass die Realität sie wieder holte.

Das würde sie ohnehin von ganz alleine tun- da musste sie ihr nicht bei helfen.

„Beweg dich, wir müssen los!", keifte jemand.

Hinter Rose sammelte sich ihre Gruppe, splitterte in den Teil, der nach Hause und den anderen, der zum nächsten Club wollte.

Erfreut sah Feliz die Möglichkeit, ihre Welt wieder zum Drehen zu bringen: „Isch ge me da vir da!" Sagte sie zu Rose und torkelte den Dreien hinterher, die wieder den Mittelpunkt ansteuerten.

Mehr Zeit wollte sie, mehr vergessen, länger vergessen, abtauchen und das Leben, welches sie erstickte, für einen Moment ausschalten.  Atmen.

-I'll be back in the morning – Star Shopping- Lil Peep -

Als sie diese Szene Revue passieren ließ, schüttelte sie mit einem belustigten Lachen den Kopf, sah wieder in den Spiegel und betrachtete ihr Gesicht. Viel zu fett mittlerweile, viel zu normal, würden die meisten anderen sagen, so unfassbar furchtbar normal. Dass es schmerzte.

Etwas war unter diesem Zuviel an Fleisch auf ihren Knochen begraben, etwas Essenzielles, was sie nicht genau feststellen konnte und was auch niemand sonst zu bemerken schien. Eine Nadel piesackte sie, sobald sie sich zu essen gestattete: Die Nadel piesackte sie, sobald sie unsichtbar unter Fleisch begraben war. Die Nadel piesackte sie, wenn sie unsichtbar war. Doch wer war "sie" in diesem Fall?

Sie piesackte sie, sobald Fleisch auf ihr lastete. Doch wen meinte sie denn überhaupt mit "sie"?

-I never asked no one for help – Star Shopping- Lil Peep-

Die Welt drehte sich wieder- dieses Mal sogar noch schneller, als zuvor. Drehte sich so schnell, dass sie sich daran klammern musste, um nicht abgeworfen zu werden. Doch das war gut so. Zumindest merkte Feliz, dass sie noch lebte, spürte mit jedem wirbelnden Schritt und jedem stickigen Atemzug, dass sie noch da war und kämpfte, sich weiterzudrehen.

Drehend tanzte sie um die vier Freunde, denen sie sich angeschlossen hatte, rempelte wahllos Leute an, die sich in ihre Umlaufbahn wagten.

Dies war ihre Zeit, ihre wunderbare und einzige realitätsfreie Zeit.

KurzgeschichtensammlungWhere stories live. Discover now