Mit der Wache dicht hinter uns rannten wir hastig in den Speisesaal. Doch dort waren weitere Wachen, die anscheinend bereits wussten, dass wir nicht die echten Schmidts waren. Barsche Befehle zur Verfolgung hallten durch den Saal. Mein Fluchtpartner und ich waren gezwungen, kehrt zu machen und im Nebenzimmer zu verschwinden, mit den Wachen dicht an den Fersen.
Unerwartet machte Eva eine scharfe Kurve. Panik durchströmte meinen Körper. Ich folgte ihr blind in eine große Halle. Jedoch das war keine gute Idee, wie sich schnell herausstellte. Der Raum war eine Sackgasse.
Eva wandte sich panisch an mich, doch auch ich hatte nun keinen Plan. Die lauten Stimmen und Rufe der Wachen kamen immer näher. Eva hatte immer noch die Schlüssel fest in der Hand, als ich eine Idee hatte.
„Zum Fenster!", rief ich und eilte zum offenen Flügel.
Eilig stieg ich auf das Fensterbrett und huschte hinaus aufs Dach.
Himmel, wenn es doch nicht so hoch wäre!
Die schwindelnde Höhe hatte ich mächtig unterschätzt. Als ich hinab sah, wurde mir übel. Miss Clarke folgte mir und hielt sich mit mir bei den Dachziegeln fest. Vorsichtig kletterten wir nun vorwärts, das steile Dach auf der einen Seite, den Abgrund auf der anderen.
Und da sahen wir es auf einmal. Vor uns war das Glashaus. Die Glaskuppel war riesig.
November... dort muss er sein!
Eva und ich wollten auf das Glas klettern, als auf einmal der Boden unter uns brach. Es ging so schnell, dass ich den Fall kaum spürte. Dann traf mein Körper auf eiskaltes Wasser. Ich tauchte ein und kam erschrocken gleich wieder an die Oberfläche. Eva erging es wie mir. Mit einem Schlag realisierten wir, wo wir waren.
Im Glashaus.
Über uns tat sich das Glasdach mit dem frischen Loch auf. Überall um uns herum standen kleine Bäume, Büsche und viele andere Pflanzen. Selber befanden wir uns zufällig in einem Art riesigen Wassertrog. Und da, in der Ecke zusammengekauert, sah ich einen riesigen Schatten.
November!
Die gigantische Drachenhaut hob und senkte sich wie beim Schlafen, doch der Drache war anscheinend wach. Er starrte uns überrascht mit seinen großen, pechschwarzen Augen an. Eva schwang sich aus dem Wasser und eilte zu ihrem Liebling, welcher genauso froh war, sie zu sehen. Ihre nassen Haare klebten an ihrer Haut, ihr Makeup war verschmiert, doch das alles machte ihr nichts.
Rasch folgte ich der jungen aufgeregten Miss nach zu November. Sein Aussehen war bewundernswert. Er war im Vergleich zu unserem letzten Treffen, zehnmal so groß geworden. Seine Schuppen glitzerten feuerrot und seine Flügel bewegten sich majestätisch. Sein Schwanz bewegte sich rhythmisch gleichzeitig mit seinem Schnauben, vergleichbar mit dem freudigen Schwanzwedeln eines Hundes.
Sogleich fiel mir noch etwas anderes auf.
„Eva, er ist angekettet!"
Die Frau zuckte gehörig zusammen. Sie wandte sich hastig zu Novembers Fuß. Die Schlüssel klimperten in ihrer Hand. Auf einmal hörten wir Stimmen hinter uns. Das mussten die Wachen sein.
Verdammt, sie haben uns gefunden!
An der Tür zum Glashaus wurde auffällig gerüttelt. Es knarrte gefährlich. Panisch starrte ich zum Eingang hinüber.
Sie kommen... und wir sitzen in der Falle!
Eva fluchte daneben, als sie nach dem passenden Schlüssel suchte. Endlich ertönte hoch erfreut:
„Ich hab' ihn!"
Im selben Moment sprang die Tür hinter uns auf, und die Wachen stürmten hinein.
Eilig entfernte Miss Clarke die Fußfessel und kletterte auf den Rücken ihres eigentümlichen Haustiers. Entsetzt starrte ich zu ihr.
Ich soll auf einem Drachen reiten?
Doch ich hatte keine Wahl.
Die Wachen kamen näher, mit Gewehren in unsere Richtung. Im nächsten Moment hievte ich mich auch schon auf den Rücken von November.
Doch das Schuppentier, das nun realisierte, dass es frei war, lehnte sich zurück und spie einen riesigen Feuerball auf die Wachen. Danach richtete er sich auf und streckte seine gigantischen Flügel aus.
Ängstlich hielt ich mich an Eva, als November mit ungeahnter Kraft auf das kleine Loch im Glasdach zusteuerte. Das Glas zersprang beim Durchstoß in abertausende Teile. Ich spürte die Luft eines warmen Junitages auf meiner Haut, als der Drache Richtung Horizont flog.
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NOVEMBER
Short Story---Erscheint bald in der "Tin-Soldiers"Anthologie von Sarturia--- (London, Ende des 19. Jahrhunderts) Wie sehr kann eine Bekanntschaft dein Leben für immer verändern? -Diese Frage muss sich Ben stellen, als er auf einer Zugfahrt eine merkwürdige Fra...