Kapitel 4

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"Dein Zimmer ist in der obersten Etage. Du hast eine Etage ganz für dich allein." sagte meine Mutter lächelnd und ging mit der Hand über meine Schulter bevor sie zur Tür lief. "Mathew, hast du den Schlüssel?" rief meine Mutter meinem Vater zu und sah ihn verwirrt an. "In meiner Tasche ist er nicht." Mein Vater durchwühlte seinen Rucksack. "Hier ist er auch nicht. Leona, ich hab ihn dir doch gegeben." Ich seufzte. Meine Eltern waren zuverlässig wie Wolfsjunge. Meine Mutter rannte zum Auto, suchte auf den Sitzen, im Kofferraum, ja sogar unter der Motorhaube. "Mum, als ob der da drin liegt." sagte ich und verdrehte die Augen. In solchen Situationen konnte sie einfach nicht mehr klar denken. Sie atmete tief ein und aus. "Ja, du hast recht." Ich drehte mich zu meinem Vater um, der das Auto ebenfalls durchwühlte. "Hab ihn!" Sein Oberkörper war in der Beifahrerseite des Autos verschwunden und sein Arm zeigte komisch verrenkt aus dem Auto nach oben. In der Hand hatte er den silbern aufblitzenden Schlüssel. Ich seufzte erleichtert. Nochmal wäre ich nicht in diesen blöden Flieger gestiegen obwohl wir wahrscheinlich eher in einem Hotel übernachtet und den Schlosser gerufen hätten als wegen einem Schlüssel wieder nach Deutschland zu fliegen. Ich grinste kurz, packte meine Tasche und betrat das Haus. Alles war durch die vielen Fenster hell erleuchtet und Wohnzimmer, Esszimmer und Küche waren direkt miteinander verbunden. Direkt vor uns war das Wohnzimmer. Rechts vom Eingang war das Esszimmer. Auf der linken Seite des Esszimmers war die Küche und die Treppe verlief zwischen Wohnzimmer und Küche nach oben. Außerdem war rechts neben der Treppe eine große Glastür, die nach draußen in einen kleinen Garten führte. Die Wände des Esszimmers waren weiß und es hangen noch ein, zwei Bilder daran. Wahrscheinlich hatte sie der Vorbesitzer einfach hängen lassen, weil er sie nicht mehr wollte. Ich sah mir die Bilder genauer an. Eines hatte einen silbernen Rahmen und das Bild war durch Linien geteilt. Die Flächen innerhalb dieser Linien waren in verschiedenen Farben ausgemalt, sodass es ein grobes Bild ergab. Auf diesem Bild war ein Baum an einem Fluss zu sehen und dahinter war ein Regenbogen. Sehr idyllisch. Ich lief weiter durch den Raum und mein Blick fiel auf ein schwarz-weiß-Bild mit rotem Rahmen. Darauf war ein Wolf, der wie echt aussah. Doch auf eine Stelle an seinem Auge war wohl eine Flüssigkeit getropft. Die Stelle war verschwommen und man konnte die feinen Fasern seines Fells nicht mehr erkennen. Auch das Auge war durch die Flüssigkeit an einer Stelle verschwommen. "Das schmeißen wir sofort weg." sagte mein Vater, der sich neben mich gestellt hatte und es ebenfalls betrachtete. Ich schüttelte den Kopf. "Ich möchte versuchen es auszubessern. Wenn ich es nicht schaffe, kann ich es immer noch wegschmeißen." Mein Vater sah mich verwirrt an. "Schmeiß es weg, ich hole dir ein neues. Das wird nie mehr so wie vorher." Er wedelte mit der Hand, als würde es davon wegfliegen. "Es geht mir nicht um das Bild. Es geht darum, dass ich mich daran versuchen will es wieder wie neu wirken zu lassen. Nicht alles was kaputt scheint, muss auch kaputt sein." sagte ich, nahm das Bild von der Wand, stieg die Treppen hoch und sah mich im Flur um. Rechts und links von mir waren einige Türen. Vier, um genau zu sein. Ich würde mich hier später umsehen, da meine Mum gesagt hatte, dass meine Etage ganz oben war. Am Ende dieses Flures waren noch mehr Treppenstufen. Ich lief sie hinauf und sah zwei weitere Türen. Da dies die oberste Etage war, ging ich davon aus, dass hinter einer dieser Türen mein Zimmer war. Aber hatte meine Mum nicht gesagt, dass ich eine eigene Etage hatte? Was war also hinter der anderen Tür? Ich öffnete die Tür und sah ein kleines Badezimmer. Rechts hinter der Tür war die Toilette, daneben war eine kleine Eckbadewanne und auf der linken Seite war ein Waschbecken mit verschiedenen Schränken. Alles war in weiß, nur auf dem Boden war dunkelbraunes Venyl und durch das Fenster wirkte alles hell erleuchtet.

Ich drehte mich um und lief auf das andere Zimmer zu. "Das hier ist deine Etage. Dein Vater denkt, dass du ein eigenes Badezimmer kriegen solltest. Zum Duschen musst du aber runterkommen." sagte sie und lächelte. Ich nickte nur und lief in das andere Zimmer. Ein riesiges Bett stand auf der rechten Seite neben dem Fenster. Das Holz war in einem hellbraunen Farbton, die Wände waren weiß, wie die restlichen Wände des Hauses auch. Neben dem Bett würde ich vermutlich meinen Schreibtisch aufstellen, vorausgesetzt, dass dieser den Unfall heile überlebt hatte. Ich stellte das Bild gegen die Wand neben der Tür und ließ mich auf das Bett fallen. Die Matratze war unheimlich gemütlich und alles war erst frisch bezogen. "Die Matratze und die Bettwäsche sind neu. Das Bett haben wir einige Tage vor dem Umzug von einem Laden hier in der Nähe gekauft, es ist heute morgen erst angekommen. Gefällt es dir?" Ich sah mich erneut um und nickte. "Es ist schön hier." Obwohl ich meine Freunde jetzt schon vermisste, musste ich irgendwie damit leben. Und dieses Haus war der absolute Wahnsinn, wie sollte ich da noch wütend auf meine Eltern sein?

Meine Mutter sah mich lächelnd an. "Dein Vater und ich holen noch die restlichen Klamotten aus dem Wagen. Du solltest heute früh schlafen gehen." sagte sie und ging zur Tür. Verwirrt sah ich sie an. "Wieso früh schlafen gehen?" fragte ich und stand auf. "Morgen ist dein erster Schultag. Morgen ist Freitag. Du solltest deine Mitschüler kennen lernen, damit das Wochenende nicht so nervenaufreibend ist. Sonst denkst du die ganze Zeit darüber nach." sagte sie und schenkte mir ein beruhigendes Lächeln. Einerseits hatte sie recht, andererseits war ich absolut fertig vom Umzug, würde eigentlich morgen eher ausschlafen wollen. Außerdem hatte ich noch keine Zeit gehabt, mich einzurichten und noch dazu kam, dass die meisten meiner Sachen wohl zerstört waren. Wenn ich also darüber nachdachte, hatte ich sowieso nichts zum Einrichten. Aber eigentlich wollte ich erstmal alles an Problemen hier lösen bevor ich mir neue Probleme machte. Ich seufzte. "Ich würde eigentlich gerne ausschlafen. Ich bin echt müde vom Umzug, vom Flug und von der Zeitverschiebung. Außerdem wollte ich mich gerne noch etwas umschauen, bevor ich mich ins Nirgendwo stürze." sagte ich, doch meine Mutter schüttelte nur den Kopf. "Du gehst morgen in die Schule. Unsere Sachen sind sowieso noch nicht da. Glaub mir es ist besser so." Mit diesen Worten ging sie aus meinem Zimmer. Ich seufzte. Sie hatte im Prinzip genau meine Gedanken wiederholt.

Nachdem ich genug durch mein Zimmer gestarrt hatte, stand ich auf, um beim Tragen zu helfen. Ich lief die Treppen herunter und sah mich noch einmal flüchtig im Wohnzimmer um, bevor ich einen Satz über die Treppe draußen zum Auto machte. "Hier, Jen, das ist der letzte Koffer. Nimm ihn mit hoch." sagte mein Vater, drückte mir den Koffer in die Hände und schloss das Auto ab. Wir liefen zusammen ins Haus und sahen uns noch einmal um. Nur das Sofa stand schon im Wohnzimmer. Der Esstisch war noch im Karton verpackt und nur die Küche war, abgesehen von den Utensilien, die wir noch einräumen mussten, fertig. Jedoch fragte ich mich, was alles bei dem Unfall kaputt gegangen war. Der Fernseher, die Schrankwand, die Stühle, die Bar, sämtlicher Kleinkram. Wir würden bestimmt einiges neu kaufen müssen. Und dann waren da noch meine Sachen. Mein Schrank, mein Schreibtisch, mein Teppich, wobei der eher verschmutzt als kaputt sein würde. Das Bett brauchte ich nun sowieso nicht mehr, da mir meine Eltern ja ein Neues geschenkt hatten. Doch es fehlte definitiv eine Uhr, solange ich mein Handy noch nicht bei mir hatte. "Schätzchen, es ist schon halb 9. Du solltest heute wirklich früher ins Bett gehen, damit du morgen fit bist. Der Tag heute war anstrengend." Warum musste sie mich nur mit jedem Satz an den morgigen Tag erinnern? Ich nickte nur seufzend. Dieser Tag war eindeutig zu ermüdend gewesen, um ihr in irgendetwas zu wiedersprechen. Ich freute mich nur noch auf mein Bett, obwohl es eigentlich noch relativ hell war. In meiner alten Heimat hatte der Spaß mit meinen Freunden jetzt erst angefangen. Umso mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich selbst die im Moment nicht hier haben wollte. Mein Bett war das einzige, das ich jetzt noch wollte. Langsam schlurfte ich die Treppen hinauf. Irgendwann würden mich diese Stufen bestimmt genauso nerven, wie die unseres alten Hauses.

Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett sinken. Ich hatte schon ziemliche Angst vor dem morgigen Tag, aber Mum hatte recht: Wenn ich es morgen hinter mich bringen würde, konnte ich das Wochenende in Ruhe genießen und musste mir keine Sorgen vor dem Treffen mit meinen neuen Mitschülern machen. Dafür tat ich das jetzt umso mehr. Oder es würde mich umso mehr dazu bringen darüber nach zu denken. Wenn sie mich nicht mochten hatten sie das ganze Wochenende Zeit darüber zu reden und Pläne zu machen, wie sie mich loswerden würden. Ich machte mir eindeutig zu viele Gedanken. Ich hatte doch einen Plan und sogar einen Plan B: Darauf hoffen, angesprochen zu werden und so Freunde zu finden oder Plan B: Einsamer Wolf.

White Wolf IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt