ein Urteil

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Als er den Raum betrat schien die Temperatur schlagartig zu sinken.

Vielleicht lag es daran, dass vor ihm einer der meist gefürchtetsten Männer New Yorks saß oder das es mittlerweile Ende Januar war und die eisige Luft von draußen auch langsam nach innen drang.

„Pablo mein Junge, was hast du für mich?"

Selbst seine Stimme war eiskalt, als würde man mit einem toten Mann sprechen.

Pablo blieb unsicher im Raum stehen. Niemals würde er es wagen sich zu setzen ohne vorher aufgefordert zu werden.

„Sie...sie hat etwas gesehen, aber...aber sie würde uns niemals..."

„Dann muss das Mädchen sterben", unterbrach er ihn mit harter Stimme, ohne auch nur einmal von seinen Akten aufzusehen.

Das Blut wich schlagartig aus Pablos Gesicht. Er hatte das kommen sehen. Er hatte es bereits kommen sehen, als er in Kanada in den Flieger gestiegen war und mit ihm telefoniert hatte.

Komm sofort nach Hause", hatte er gesagt, „Wenn du den Job erledigt hast, dann komm nach Hause." Schon da hatte Pablo gemerkt, dass er keine gute Laune hatte.

Und wenn man ihn nicht bei Laune hielt, dann würde er töten.

Es wäre Selbstmord ihm zu widersprechen und doch hatte Pablo das Gefühl sie retten zu müssen, oder es zumindest versucht zu haben.

„Sie ist seine einzige Tochter. Sie...sie weiß nichts von all dem."

Er blickte das erste Mal seit dem er den Raum betreten hatte auf. Seine kalten, starren Augen trafen seine. Eiskaltes blau.

Auch er war nicht immer dieser Mann gewesen. Aufgewachsen in einer Spirale aus Hass und Gewalt, hatte seine Umgebung und die Zeit ihn geschliffen und aufgeschürft, wie wundes Fleisch.

Irgendetwas in ihm war noch gut, auch wenn es keiner mehr sehen konnte, doch Pablo wusste es und er würde bis zu seinem letzten Tag nicht aufhören darauf zu hoffen, dass es zum Vorschein kommen würde.

Seine Blutlüste zu stillen, würde ihm ganz sicher nicht dabei helfen.

Er räusperte sich und als er begann zu sprechen, wusste Pablo bereits das er ein Urteil gefällt hatte.

„Jetzt hör mir mal gut zu. Es ist mir egal ob das Mädchen seine einzige Tochter ist oder ob sie Ehemann, Kinder oder Hund hat. Sie war auf meinem Boden ohne das es ihr jemand erlaubt hätte und sie hat zu viel gesehen, als sie hätte sehen dürfen. Sie ist eine Gefahr. Sie bedroht alles was wir uns aufgebaut haben. Nur ein falsches Wort von ihr zu ihrem Vater und wir stecken in der Scheiße. Also hinterfrage nicht was ich dir befehle und rette unsere verdammten Ärsche bevor ich es tun muss, denn ich schwöre dir, ihr Tod durch meine Hände wird kein barmherziger sein."

Pablo stand mit gesenkten Kopf vor ihm und nickte. Er wusste was zu tun war und auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte, wusste er auch, dass er es nicht hätte aufhalten können.

Doch trotzdem plagte ihn sein Gewissen als er den Raum verließ.

Hätte er doch bloß nicht hingesehen. Wäre er doch nur eine Minute früher gegangen. Dann hätte er sie nicht gesehen.

Er schlief weder in dieser Nacht, noch in der Nacht darauf und er kam einfach nicht drumherum sich zu fragen, ob er ihr Todesurteil gefällt hatte.

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