Kapitel 6

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Samstag 29. 6. 2018 / Camillas Sicht:

«Wir wär's damit», schlug ich vor, setzte die Violine an meinen Hals und zupfte die Tonabfolge, die mir seit längerem schon im Kopf herumschwirrte, «als Intro auf der blauen E-Gitarre.»

Shawn beobachtete mich mit leuchtenden Augen aus meinem Lieblingssessel heraus und er schenkte mir ein warmherziges Lächeln, welches jeden Ecken seines Gesichtes erleuchtete.

Ich setzte den Bogen an und entlockte meinem Musikinstrument zackige und schnelle Töne der Tonakkorde G-Dur, G-Moll, A-Dur und A-Dur. Natürlich nur so weit, wie das auf der Geige möglich war, aber mit dem richtigen Fingerspitzengefühl hörte es sich fast so rockig wie auf einer Gitarre an. «Das wären die Chords.»

Er gab mir keine verbale Antwort, aber er sprang in die Höhe und begann mit seinen Händen einen schnellen Beat zu klatschen. Sein Kopf wippte vor und zurück und dem Ausdruck in seinem Gesicht zu folge, war er bereits daran etwas in seinem Kopf auszutüfteln. Er legte sich hingebungsvoll in die Musik herein und ich war so verzückt von seiner Leidenschaft, dass ich am liebsten jede Sekunde ein Foto von seinem Gesicht geschossen hätte und sie alle zusammen in meinem geheimen Bilderbuch verewigen wollte.

Zuerst schickte seine Stimme nur leise und zögerliche Töne in den Raum hinaus und probierte verschiedene Melodien und Rhythmen aus. Als sie immer lauter, kräftiger und bestimmter wurde, durchfuhr mich ein starkes Gefühl von Wärme, welches meine Wangen rot einfäbte. Ich konnte mich vor Glück kaum noch fassen und kicherte dümmlich vor mich hin.

Ein wirklich seltener Augenblick in meinem Leben.

Dieser Moment war unglaublich perfekt -denn er war echt, atemberaubend natürlich und bestand aus purer feuriger Leidenschaft. Ich liess mich von der Energie des Momentes leiten, tat einen kräftigen Sprung und stach mutig Kopf voran in die tiefen Gewässer der Freude und liess mich von dem reissenden Strömen mittragen. Meine vollständige Aufmerksam fiel auf die von den Sonnenstrahlen erleuchtete Gestalt in der Mitte des Raumes und ich verlor mich unrettbar in seinen starken Bewegungen, dem Klang seiner Stimme und diesem so hingerissenen Gesicht. Details stachen mir wie von der Lupe vergrössert in die Augen: wie sich die Muskeln unter seinem Shirt zusammenzogen, wenn er die Hände zusammen schlug, wie seine glänzenden Haare durch die Vibration seiner Stimme bebten oder wie die glitzernden Staubpartikel durch die Kraft seiner ausgestossenen Schallwellen wild in der Luft herumtanzten.

Ich wusste, dass dieser Moment sich ewig und unlöschbar in mein Gehirn brennen würde.

Sein Gesang verwandelte sich in einzelne Worte und ein Satz kristallisierte sich immer stärker heraus:»There's nothing holding me back, There's nothing holding me back». Er sang in dreimal, fünfmal, siebenmal hintereinander und seine wunderschöne Stimme gewann bei jedem einzelnen Mal noch mehr an Volumen, verschiedenen Farben und Facetten, falls das überhaupt noch möglich war. Seine Adern begannen sich an seinem Hals abzuzeichnen. Shawn drückte sich seine Hand an die Brust und lenkte die ganze Energie und Passion die ihn durchschoss in einen glühenden Blick und schenkte ihn niemand anderem als mir. Er rang nach Atem und stützte sich lachend auf seinen Knien ab.

Sein Glück, war mein Glück.

Die Gefühle, die mich von meinen Zehen bis zu meinen Haarspitzen durchströmten, waren so betäubend elektrisierend, dass ich nicht anders konnte, als den leichten Bogen zwischen meinen Fingern durchrutschen zu lassen und Shawn beduselt und verwirrt anzustarren. Ich hörte abwesend wie der Bogen mit einem dumpfen Schlag auf den Teppich unter mir aufschlug.

Ich fing den Blick seiner glitzernden Augen auf. Meine Sehnsucht nach ihm verdoppelte sich in jeder verstreichenden Sekunde. Meine Finger wollten sich in seinen Haaren vergraben, meine Lippen wollten über seine Haut streichen und mein Körper wollte sich so fest an ihn pressen, dass kein einziges Luftmolekül uns trennen würde.

Alone in the darkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt