14. Kapitel: Nathan

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Freitag, 06. Januar – das Jahr zuvor

„Du siehst nicht so aus, als ob du gerade noch auf diesem Planeten wärst. Viel mehr in einem ganz anderen Universum", erklang eine liebliche Stimme hinter mir, die mich erschrocken hochfahren ließ und ich mich sofort umdrehte.

„Gott, hast du mich erschreckt", keuchte ich und konzentrierte mich aktiv darauf meinen Herzschlag wieder etwas zu beruhigen, doch sie lachte nur.

„Seit wann bist du denn so verdammt schreckhaft, Nate", kicherte sie und schlang im nächsten Moment ihre Arme um meinen Hals.

„Ich... weiß auch nicht so recht. Ich hatte gerade so ein ungutes Gefühl, aber... davon erzähle ich dir später. Lass uns erst einmal ins Kino gehen", antwortete ich und versuchte nicht mehr so stark darüber nachzudenken, was alles andere als einfach war.

„Das klingt doch gleich viel besser, du alter Geheimniskrämer", antwortete Samantha strahlend und ich konnte mich einfach nicht mehr zurückhalten. Ich beugte mich vor und verwickelte sie in einen leidenschaftlichen Zungenkuss.

„Ich liebe dich, Nate", flüsterte sie und strahlte dabei von einem Ohr zum anderen.

„Und ich liebe dich, Samantha", entgegnete ich, lächelte ebenfalls breit und strich ihr dabei verträumt durch das lange Haar, was ich so sehr an ihr mochte. „Erlaubst du mir?", fügte ich schließlich hinzu und hielt ihr auffordernd meinen Arm entgegen, den sie natürlich sofort ergriff und sich so bei mir einhakte.

„Natürlich", sagte sie und gab mir einen sanften Kuss auf die Wange, was erneut ausreichte, um mir einen wohligen Schauer durch den gesamten Körper zu jagen.

„Sei bloß froh, dass wir gerade nicht zu Hause sind, sonst...", begann ich und sah sie vielsagend an. „Du siehst einfach umwerfend aus, Schatz", gestand ich ihr, doch sie rollte nur mit den Augen und pikste mich spielerisch in den Seite.

„Du willst doch nicht den Nachtisch vorziehen oder?", kam es lediglich von ihr, was mich erst einmal schlucken ließ. Ich liebte es einfach, wenn sie so mit mir redete.

„Du müsstest gerade deinen Gesichtsausdruck sehen, Nate", lachte sie erneut, schüttelte dann aber den Kopf. „Komm, wir müssen jetzt los, sonst kommen wir zu spät", beschloss sie, ging dann einfach vor und zog mich in den ersten Sekunden mehr hinter sich her, als dass ich richtig selbst lief.

Das war etwas, was mir immer öfter passierte, seit das mit mir und Samantha tatsächlich etwas Ernstes geworden war. Es gab diese Momente, in denen ich einfach wunschlos glücklich war, was sonst noch nie passiert war. Und es gab diese Augenblicke, in denen ich mich immer und immer wieder fragte, womit ich dieses Glück bloß verdient hatte. Ich, die Ausgeburt des Teufels.

Ich würde niemals den Tag vergessen, an dem wir uns das erste Mal gesehen hatten. Nach einem wirklich verdammt harten Tag war ich am Strand gesessen und hatte stundenlang auf das wild tosende Meer gestarrt. Es war mal wieder einer dieser Tage gewesen, an denen ich einfach nur unfassbar froh gewesen wäre, wenn Selbstmord eine Option für mich gewesen wäre, doch leider war sie das nicht. Als Keeper hattest du dieses Recht und diese Möglichkeit schlicht und ergreifen einfach nicht.

Sie hatte sich einfach neben mich gesetzt. Einfach so, ohne mich zu kennen. Sie hatte sich um jemanden geschert, der ihr absolut fremd war und eigentlich gleichgültig hätte sein müssen. So wie es normalerweise eben war, wenn man an einem belebten Ort zwischen lauter anderen Menschen war.

Ich wusste nicht mehr, wieso ich mir damals ausgerechnet diesen Strandabschnitt ausgesucht hatte, an dem doch immer so einiges los war. Sonst hasste ich solche belebten Orte, an denen jeder Spaß und jegliche Leichtigkeit zu genießen schien außer mir. Ob es Neid war? Keine Ahnung. Ich wusste schließlich gar nicht mehr so richtig, wie es war ein normales Leben zu führen und ich hätte es mit all dem Wissen über welches ich verfügte, niemals mehr so leben können wir vor allem.

„Wie lange wollen Sie eigentlich noch hier rumsitzen und stumm und absolut regungslos in ihrem Anzug in der prallen Sonne auf das unruhige Meer starren?", hatte sie nach einiger Zeit gefragt, die sie schon so regungslos neben mir im Sand gesessen hatte. Sie hatte mich weder bedrängt, noch hatte sie mich seltsam angestarrt, so wie es die meisten immer taten. Sie hatte einfach nur ihre Neugierde befriedigen wollen.

Im ersten Augenblick hatte ich sie nicht einmal bemerkt gehabt, doch sie hatte mich irgendwie aus dieser Trance und meinem Selbstmitleid herausgerissen, in welchem ich schier zu ertrinken gedroht hatte.

Nein, ich hatte ihr nicht geantwortet. Ich hatte keinerlei Lust gehabt mich zu unterhalten. Ich hatte einfach nur darauf gehofft, dass sie sobald wie möglich wieder verschwinden und mich in Ruhe lassen würde, doch so leicht war es mit ihr nicht gewesen – niemals.

„Verstehe, harten Tag gehabt, richtig? Nun, das ist wirklich traurig. Ich bin mich ziemlich sicher, dass Sie ohne diese depressive Miene und mit einem Lächeln von einem zum anderen Ohr viel besser aussehen würden, als Sie es auch so schon tun", hatte sie einfach weitergemacht und ich wusste immer noch nicht wieso. Was hatte sie bloß in mir gesehen gehabt?

„Merken Sie denn nicht, dass ich nicht in der Stimmung bin, um mir das Geschwätz einer Fremden anzuhören? Vielleicht will ich ja einfach hier sitzen und Trübsal blasen", war meine barsche Antwort gewesen und doch war sie nicht einfach aufgestanden und davon gelaufen. Sie hatte mich nicht einfach hier zurückgelassen und sich gedacht, was für ein seltsamer Vogel ich eigentlich war.

„Was halten Sie davon, wenn wir uns einfach da drüben an der Bar ein schön kühles Cocktail bestellen und Sie mir einfach mal erzählen, was Sie so runterzieht, hm?", war ihr Gegenkommentar gewesen und ich hatte einfach kurz auflachen und sie irritiert anstarren müssen, nur um festzustellen, dass das wirklich ihr Ernst gewesen war. Seltsamerweise hatte das meine Miene aber lange nicht mehr so verdunkeln lassen. Wie auch immer sie das geschafft hatte, ich hatte ein kleines Stückchen Frieden verspürt.

Aus welchen Gründen auch immer, hatte ich also zugesagt. Wir hatten über alles Mögliche gesprochen, aber über meine in ihren Augen dann doch auch verrückten Beweggründe mich in Anzug und Krawatte an den Strand zu setzen, schwieg ich auch weiterhin beharrlich. So genau wusste ich gar nicht mehr, worüber wir im Detail gesprochen hatte, aber was sich in meinem Gedächtnis festgebrannt hatte war die Tatsache, dass sie eine angenehme und auf mich beruhigend wirkende Stimme aufwies. Dazu ihre Mimik, wenn sie mir etwas Spannendes erzählt hatte. Ihre gesamte Optik zog mich sofort in ihren Bann und ich wusste so schnell gar nicht wie mir geschah und woher das so plötzlich kam. Der Kontrast zwischen meinem ernsten und gezwungenen Aufzug und ihrer deutlich besser passenden Hawaiimontur. Das hatte Dinge mit mir gemacht, die ich auch heute noch nicht beschreiben konnte.

„Hey, nicht wieder abdriften", riss Samantha mich wieder aus den Gedanken und schnippte wild vor meinem Gesicht herum.

Ohne dass ich es gemerkt hatte, waren wir bereits vor dem Kinosaal. Verwirrt schüttelte ich den Kopf, um meine Gedanken wieder zu ordnen.

„Entschuldige, ich habe nur gerade über unser erstes Treffen nachgedacht", erklärte ich und zuckte nur mit den Schultern.

„Ach so ist das. Du meinst über die Tatsache, dass ich die ganze Zeit fast schon wie ein Wasserfall erzählt und erzählt habe und du mir das weswegen wir eigentlich damals in die Bar sind bis heute nicht berichtet hast?", entgegnete sie gespielt enttäuscht, doch natürlich wusste ich, dass das sehr wohl auch noch bis heute an ihr nagte.

„Ich dachte wir haben es eilig", konterte ich geschickt und Samantha schüttelte nur den Kopf.

„Also gut, noch ein allerletztes Mal kommst du damit davon", gab sie schlussendlich nach und wir betraten endlich den Kinosaal, dessen tiefe Schwärze mich sofort vollständig verschluckte und ich nur noch Samanthas Hand in der meinen wahrnahm.

Keepers of Fate [abgeschlossen] #UrbanFantasyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt