Kapitel 93

643 23 2
                                    


(Lilly's Sicht)
Noch immer schauten wir uns an und es schien so als würde keiner von uns beiden etwas daran ändern wollen. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein sanftes Lächeln ab. Je länger ich ihn ansah, desto mehr merkte ich wie es in meinem Bauch anfing zu kribbeln. Ich rechnete damit das es wieder weh tun würde, doch da war nichts, kein Schmerz. Mir ging es gut und das gab mir die nötige Sicherheit. Er gab mir Sicherheit, auch wenn ich nicht erklären konnte warum.
Vermutlich hätten wir noch ziemlich lange einfach nur da gestanden und uns angesehen, wenn mir nicht eingefallen wäre das ich mit meiner Arbeit hier noch gar nicht fertig war. ,,Ähm ... ich muss hier noch weiter machen ... lass uns später reden, ja?'', sagte ich daher und unterbrach dadurch unseren stetigen Blickkontakt. ,,OK. Ich warte im Haus auf dich.'', erwiderte er. Dann drehte er sich um und verließ den Stall.

Ich war wieder alleine und befasste mich daher abermals mit dem Misten der Ställe. Durch die zurück gewonnene Einsamkeit kehrten auch die vielen Gedanken zurück und mit ihnen kam der Sturm in meinem Kopf aus seiner Ecke gekrochen. Langsam breitete er sich aufs neue aus und zusammen mit meinen Gedanken wurde ich wieder ganz klein. Direkt fühlte ich mich wieder unsicher und fluchtbereit. Was war bloß los mit mir? Wie konnte ich mich innerhalb von ein paar Minuten so anders fühlen und vor allem wieso war es bei Wincent nicht so?
Die Stallarbeit lenkte mich etwas ab, aber nicht gut genug um meine Gedanken wieder verdrängen zu können. Ich fühlte mich schlecht und vor allem nicht gut genug. War ich es überhaupt wert das er hier war? Wegen mir? Ich darf mir darauf bloß nichts einbilden, redete ich mir ein. Trotzdem hatte ich wieder Bedenken ob mit ihm zu reden so eine gute Idee war. Er war quasi ein Fremder für mich, so wie ich eine Fremde für ihn war. Was interessierte es ihn überhaupt? Für ihn würde sich durch meine Erzählung nichts ändern, für mich jedoch änderte es alles. Er konnte nach dem Gespräch einfach wieder fahren und sein Superstar-Leben weiter leben und ich? Ich würde hier bleiben und wieder in Selbstmitleid versinken, weil es einfach absolut lächerlich war. Es war lächerlich zu glauben er würde sich mir annehmen. Natürlich merkte ich, das ich gerade über ihn urteilte. In Wahrheit wusste ich ja nicht was er über mich dachte. Und doch war ich so überzeugt davon das es so sein musste wie ich glaubte. Im Endeffekt würde es ihn eh nicht interessieren und jeder würde seinen Weg gehen. Gott diese Gedanken machten mich fertig. Sie plagten mich die ganzen 2 Stunden über die ich brauchte um den Stall zu Ende zu misten.

Nach der Stallarbeit ging ich erstmal duschen da ich ziemlich verschwitzt war und ihm so nicht unter die Augen treten wollte. Gleichzeitig fühlte sich das lauwarme Wasser so gut an. Es spülte ein paar der Gedanken einfach weg, sodass ich gestärkt aus der Dusche kam und mich ein bisschen mehr bereit fühlte mit ihm zu reden als vorhin im Stall.

Als ich fertig war machte ich mich auf die Suche nach ihm. Ich fand ihn schließlich im Wohnzimmer wo er auf dem Sofa saß und etwas auf seinem Handy tippte. ,,Hey.'', sagte ich leise als ich zur Tür reinkam. Sofort stand er auf und packte das Handy weg. ,,Hey.'', war auch seine Begrüßung, gefolgt von einem Lächeln. ,,Wenn du willst können wir jetzt reden.'', sagte ich ebenso leise wie vorher. ,,Gerne, aber was hältst du davon wenn wir dabei spazieren gehen? Ich könnte etwas frische Luft vertragen.'', schlug er vor. Da ich fand das dies eine gute Idee war stimmte ich ihm zu. Ich schnappte mir meine Jacke und zog meine Schuhe an. Anschließend liefen wir los in Richtung Meer. Da es schon Ende Oktober war, war es etwas frischer, aber meiner Meinung nach konnte man sich zu jeder Jahreszeit am Meer aufhalten. Es hatte so eine beruhigende Wirkung in jeder Hinsicht.

Wir liefen eine ganze Weile schweigend nebeneinander her bis wir nach knapp 10 Minuten das Meer erreicht hatten. ,,Es ist so schön hier.'', hörte ich Wincent leise sagen, weswegen ich zu ihm rüberschaute und sah wie er seine Augen geschlossen hatte und tief einatmete. ,,Da gebe ich dir recht.'', erwiderte ich. Er öffnete seine Augen wieder und ich erkannte direkt die Entschlossenheit in ihnen. Einen besseren Moment um zu reden gab es nicht, also nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte: ,,Also ... was genau möchtest du wissen?'' Woher ich diesen Mut auf einmal nah weiß ich nicht. Es war wieder so wie vorhin im Stall als er bei mir war. Sobald er da war hatte ich keine Angst ihm irgendwas zu erzählen. War er nicht da kamen mir allerdings die Zweifel. Er nahm mir die Möglichkeit weiter nachzudenken indem er auf meine Frage mit einer Gegenfrage antwortete. ,,Was hattest du für einen Unfall? Yuna hat mir damals nur erzählt, dass du im Koma liegst, aber nicht weswegen.'' Oke, er wollte also alles von Anfang an wissen. Na gut, dann mal Augen zu und durch.

,,Ich hatte einen Autounfall. Mir ist ein Reh vors Auto gelaufen. Ich bin ausgewichen und mit der Beifahrerseite gegen einen Baum geknallt. Das war mein Glück, es hätte auch anders ausgehen können.'', begann ich und sah wie er direkt große Augen machte. ,,Oh ... das hast du ja echt Glück gehabt ... mal abgesehen vom Koma.'' Er versuchte die Situation scheinbar etwas aufzulockern, aber bei dem Thema war das nicht so einfach. ,,Und wie lange genau hast du jetzt im Koma gelegen?'', war seine nächste Frage während wir weiter am Strand entlang liefen. ,,4 ½ Monate.'', antwortete ich kurz und knapp und vergrub meine Hände in meiner Jackentasche. Ich hätte nicht gedacht das es mir so leicht fallen würde mit ihm zu reden. Er stellte Fragen und ich antwortete darauf, ganz easy. Bis jetzt hatte er aber auch noch nichts zu meinem Verhalten beim Meet&Greet gesagt. Das sollte sich jetzt allerdings ändern, denn seine nächste Frage hatte es in sich. Zumindest forderte es eine längere Antwort meinerseits. ,,Was hat sich seit dem Unfall verändert und was noch viel wichtiger ist und vor allem der Grund warum ich hier bin, was hab ich damit zu tun?'' Wincent war nun stehen geblieben und schaute mich prüfend an. Vermutlich versuchte er abzuschätzen ob ich bereit für diese Frage war und das obwohl er sie schon gestellt hatte.

Ich ließ die Situation einen Moment lang auf mich wirken, wartete ab ob der Sturm in meinem Kopf zurückkam. Doch seitdem er wieder bei mir war fühlte ich mich komplett klar im Kopf. ,,Oke ... das ist etwas kompliziert und eine längere Geschichte ... ich versuche mich kurzzufassen.'', begann ich, doch er unterbrach mich direkt. ,,Nein ... fass dich bitte nicht kurz. Ich möchte gerne verstehen wie du dich fühlst ... und wenn du kannst dann erzähl mir bitte ganz genau was los ist.'' Bildete ich mir das ein oder interessierte er sich tatsächlich für mich? Einerseits freute ich mich, andererseits aber auch nicht da die Antwort für mich eher negativ behaftet war. Trotzdem gab ich mir jetzt einen Ruck und begann ihm alles zu erzählen. Bis ins kleinste Detail. Er unterbrach mich nicht einziges Mal. Ich schaute während meiner Erzählung nicht auf die Uhr aber es dauerte bestimmt fast eine Stunde ihm alles genau zu erzählen.
,,Na ja ... und als ich dann aufgewacht bin, warst du nicht da ... und als Yuna dann nicht wusste wovon ich rede habe ich natürlich Panik bekommen. Für mich ist eine Welt zusammen gebrochen als sie mir erzählt hat das ich im Koma lag. Es bedeutete, dass das alles nie passiert ist und das du in meinem Leben nicht existierst. Das hat mich total fertig gemacht und ehrlich gesagt hat es das bis vor kurzem auch noch ... bis du aufgetaucht bist.'' Wir waren mittlerweile an einer Bucht angekommen.

In meinem Koma-Traum war es unsere Bucht gewesen. Wincent war heute jedoch das erste Mal hier. ,,Was hat sich durch mein Auftauchen verändert?'', fragte er während er sich ein wenig umsah. ,,Ich fühle mich besser ... sicher ... keine Ahnung ich kann es nicht beschreiben, aber seit Tagen habe ich das Gefühl, das ein Sturm in meinem Kopf tobt und wenn du bei mir bist ist er weg. Ich habe das Gefühl ich bin nicht mehr ich selbst wenn ...'', meine Stimme brach, da ich merkte wie dämlich das klingen musste. ,, ... wenn ich nicht bei dir bin.'', beendete Wincent meinen Satz. Unsere Blicke trafen sich und ich konnte nur stumm nicken. Er hatte es auf den Punkt gebracht. Zu gerne wüsste ich was er von all dem hielt. Wie dachte er darüber? Hielt er mich für vollkommen verrückt? Sein Blick verriet rein gar nichts über seine Gedanken.

~Zu Dir~ (Eine Wincent Weiss Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt