Kapitel 4.

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Malia

Ein Ringen ertönte gefolgt von einem mürrischen Schnaufen und anschließenden Schritten. Ryan hatte anscheinend das Bett verlassen. Müde rieb ich mir meine verschlafenen Augen und setzte mich auf. Mein Blick wandte sich dem Wecker zu, der mittlerweile 14:00 anzeigte.
Oh nein. Emily macht sich bestimmt Sorgen...
Schnell hatte ich mich erhoben und schritt schon Richtung Tür, als ich gegen was hartes prallte und im selben Moment mein Gleichgewicht verlor. Noch überwältigt vom Schmerz, der durch meinen Hintern fuhr, hatte ich gar nicht bemerkt, wie Ryan mir die Hand hinhielt. Seine Hand war groß. Sie sah etwas rau aus und hatte an den Fingerknöcheln leichte Kratzer. Eine kleine Narbe zeichnete sich unterhalb des Daumens ab, wobei man seine Herkunft nur spekulieren konnte. Ich schluckte schwer, als mir eine Szene mit einem Fremden und einem Messer in der rechten Hand in den Sinn kam. Er hatte ihn damals verfehlt. Vielleicht aber benutze er auch eine Glasflasche. So oder so, es blieb ein Geheimnis. Meine Augen wanderten hinauf zu seinem Unterarm. Einige Sehnen stachen hervor und dann war da noch dieses eine Tattoo. Es zeigte einen Streifen, in dessen sich Muster von dünnen und dicken Strichen hindurch zogen. Dieser erinnerte stark an einen Barcode, denn man für Lebensmittel verwendet und darunter eine Narbe. Sie zeichnete sich als die römische Nummer 11 auf seiner Haut ab. Die Stirn runzelnd betrachtete ich die Zahl und folgte anschließend den schwarzen Linien, die seine Narben umrahmten. Wieso hast du sie nicht unter einem Tattoo versteckt? Wieso zeigst du den Menschen deine...
Plötzlich berührte er meine Wange, wobei meine Aufmerksamkeit ihm wieder galt. Ich blickte in seine dunkeln Augen und fragte mich, wie viel er schon erlebt hatte.
»Lia... Zerbrich dir nicht den Kopf über Dinge, die du nicht verstehst« ,teilte er mir mit, während er mir ruhig durch die Haare strich.
Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er in mich hineinsehen konnte und jeden meiner Schritte vorher sah. Wie weit er meine Taten wohl voraussehen konnte?
»Wer war an der Tür?« ,kam die Frage über meine Lippen. Neugierig blickte ich zu ihm hinauf ohne eine wirkliche Regung seinerseits zu erkennen. Kein einziger Muskel zuckte, stattdessen betrachtete er mich weiterhin ruhig und zog mit seinem Daumen leichte Kreise über mein Kinn. Ich wollte gerade erneut zum Reden ansetzen, als Ryans Mundwinkeln verräterisch zuckten. Vollkommen eingenommen von seinem plötzlichen  Stimmungswechsel starre ich ihn wiedermal perplex an. Dieser Typ ist mir ein Rätsel.
»So genug Spaß für heute. Zeit nach Hause zu gehen.«
Ich brauchte einige Sekunden, um diese Aussage zu verarbeiten, jedoch griff er bereits nach meiner Hand und zog mich auf die Beine. Nun stand ich vor ihm, mein Gesicht nur wenige Zentimeter von seiner Brust entfernt.
Mein Kopf schaltete sofort auf Flucht um, weshalb meine Füße sich automatisch einige Schritte von ihm entfernten.
Als ich mit meinen Beinen wieder die Bettkante berührte und meine Augen wieder auf ihm lagen, strahlte sein Blick eine unerbittliche Kälte aus. So als hätte ihn mein Handeln verärgert.
Ich spürte wie mein Körper langsam gegen die ansteigende Spannung kämpfte. Das Zittern drohte bald einzusetzen, wenn Ryan seine momentane Gefühlslage nicht zügelte.
Plötzlich hob er sein Kinn, auf diese eine arrogante Art, wie wenn er sich seinem Sieg bewusst war. In der selben Sekunde bildete sich auch sein altbekanntes Lächeln und Ryan tat nichts anderes als auf mich herab zu blicken und zu grinsen.
»Mach ich dir etwa Angst?« ,lachte er vor sich hin.
»Mach ich dich etwa wütend?«
Sofort wurde es wieder still im Raum. Sein Lächeln erstarb wieder und diesmal trat er auf mich zu. Ryan legte seine Hände auf meine Schultern und beugte sich zu meinem Ohr vor.
»Seid wann spielst du Spielchen mit mir?« ,flüsterte er mit seiner tiefen, rauen Stimme und verstärkte seinen Griff. Mein Körper reagierte sofort auf den Druck, weshalb ich seine Hände von mir stieß und etwas lauter erwiderte »Ich spiele nicht mit dir. Ich habe dir nur eine Gegenfrage gestellt. Das ist alles!«
»Genau Süße. Und seid wann nimmst du dir das Recht Gegenfragen zu stellen?« ,teilte er mir leicht gereizt mit und ging selbst einen Schritt zurück.
»Was soll das denn heißen? Darf ich jetzt keine Fragen mehr stellen?« , jetzt überkam auch mich die Wut.
»Was ist dein Scheiß Problem jetzt, Ryan?! Ich hab doch nichts gemacht!«
»Das war frech, Lia und ich dulde keine Frechheiten. Das zählt zu Ungehorsam. Und sowas toleriere ich erst recht nicht! Außerdem hast du eine Frage nicht beantwortet« ,knurrte er mich an ohne mich auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
»Also bin ich jetzt ungehorsam, nur weil ich dir eine Frage nicht beantwortet hab?! Vielleicht bin ich eben so! Vielleicht hab ich einfach kein Bock mehr dir bedingungslos zu gehorchen!«
Ich wollte los brüllen, wollte ihm jede Kleinigkeit entgegenwerfen und ihn mit jeglichen Beschimpfungen in Verbindung bringen. Ich merkte, wie ein Ausbruch mich übermannte und meine Muskeln sich stark anspannen, doch im selben Moment brach etwas in mir und in der nächsten Sekunde spürte ich dir Nässe auf meinen Wagen. Ich weinte.
Wieso weine ich? Das ergibt keinen Sinn? Ich bin doch so wütend... Wieso weine ich...
Das Gebrüllt von Ryan und mir war verstummt. Vorsichtig fasste ich mir an meine Wage und spüre sofort die warmen Tränen. Völlig irritiert, betrachtete ich meine feuchten Fingerspitzen und erkannte im selben Moment meinen rasenden Puls. Nun setzte auch die Schnappatmung ein und meine Tränen flossen nun unkontrolliert hinab. Mein Schluchzen wurde lauter und ich drückte voller Verzweiflung meine Hand vor meinen Mund.
Das ist nicht fair! Wieso muss ich ausgerechnet jetzt unter dem Druck ...
Plötzlich stand Ryan wenige Millimeter vor mir, blickte forschend auf mich herab, packte grob meinen Hals und zwang mich ihn anzusehen.
»Langsam Atmen!« ,knurrte er, wobei ich nur einen gequältes Schluchzen hervorbrachte.
»Lia verdammt, atme langsam ein und aus!« ,herrschte er.
Mit einem Kopfschütteln versuchte ich ihm mitzuteilen, dass meine Kontrolle über meinen Körper nicht vorhanden war.
»Lia... Atmen Baby... Ganz langsam« , gab er flüsternd den Befehl, während seine Hand immer noch auf meiner Kehle lag und seine Lippen meine leicht streiften.
In dieser Lage begann meine Atmung sich Ryans Rhythmus anzupassen. Ich atmete die selbe Luft und ließ sie wieder gegen seinen heißen Atem prallen. Immer und immer wieder bis das Weinen und die Tränen nachließen.
Vorsichtig strich er mit seiner Nasenspitze über meine, wodurch ich automatisch meine Augen schloss.
So viel Nähe...
»Genau diese Nähe brauchst du jetzt, Kleines«
Ich hatte meine Gedanken schon wieder ausgesprochen. Das Schamgefühl stieg, jedoch war mein Körper nicht in der Lage, dieses Gefühl offen zu zeigen.
»Und wenn ich es nicht will?« ,wimmerte ich und atmete ruhig weiter.
»Ich gebe dir nicht das, was du willst, sondern das, was du brauchst, Lia« ,haucht er mir entgegen worauf mir ein Blitz durch den Körper fuhr.
Müde und ohne Verlangen auf Gegenwehr kuschelte ich mich in seine Arme und ließ mich ins Wohnzimmer führen. Vorsichtig half er mir auf das Sofa und holte ein Glas Wasser aus der Küche. »Trinken« , sagte Ryan ohne jegliche Wärme. Dies war ein Befehl und da ich zu schwach für Widerworte war, trank ich das Glas bis auf den letzten Tropfen leer.
Vor mir kniend, wischte er noch eine Träne weg, die auf meinem Gesicht verweilte und nahm das leere Glas entgegen. Als er es hinter sich auf dem Beistelltisch abgelegt hatte, betrachtete er mich nochmal eingehend. Müde blintzelte ich ihn an und wartete. Auf was, wusste ich nicht. Vielleicht auf ein Einverständnis, dass ich jetzt gehen durfte. Jedoch kam nichts, nur der stille und nachdenkliche Ryan.
Plötzlich erhob er sich und küsste mich in der nächsten Sekunde auf die Stirn. Ich wollte auch aufstehen, doch er hielt mich mit einem Arm unten und schüttelte den Kopf. In dieser Position griff er in seine Tasche und wählte auf dem Handy eine Nummer.
Es dauerte nicht lange bis Ryan etwas erwiderte »Hast du es erledigt?«
Was erledigt?
Meine Gedanken arbeiteten wieder auf Hochtouren und ich war dabei dem Gespräch gebannt zu folgen, jedenfalls das was Ryan von sich gab.
»Ich komme gleich und wehe ich sehe auch nur eine kleinste Spur!«
In meinem Kopf rotierten die Rädchen und ich begann mir Bilder auszumalen. Ich konzentriete mich so stark auf die Worte, dass mir Ryans Hand in meinem Nacken nicht auffiel. Als ich mich wieder Ryan zuwandte, überkam mich eine Gänsehaut. Seine Augen wirkten kalt, fast beängstigend leer.
Sobald ich meinen Kopf neigte, um diesem Gesichtsausdruck auszuweichen, massierte er meinen Nacken, worauf ich meinen Kopf an seinen Körper lehnte. Die Worte waren nur noch leises Gemurmel in meinen Gedanken und ich bekam so gut wie nichts mehr mit.
Nach einer Zeit, baumelte sein rechter Arm wieder an seinem Körper herab, doch Ryan schien mit seiner Handlung nicht aufhören zu wollen. Sein Druck verstärkte sich Mal und war im nächsten Moment wieder weicher. Wie in Trance analysierte ich sein Tattoo auf dem rechten Arm. Linien über Linien und das eingeschlossen in einem Ring, der sich um seinen Arm zog. Und dann diese auffällige Narbe. Elf... Nummer Elf.... Wofür stehst du? Auf einmal hielt er in seiner Bewegung inne und strich kurzerhand über meinen Kopf. Ich hatte nicht bemerkte wie meine Finger seine Narbe nachfuhr, jedoch hielt er mich auch  nicht davon ab.
»Lia...?«
»Hmm?«
»Mach das bitte nie wieder...« ,sprach er nachdenklich vor sich hin. Es war nur ein leichter Befehlston, jedoch schien er zu sehr in dem Moment gefangen. Ob er meinen Anfall oder meine Aufsässigkeit meinte, war mir nicht klar, jedoch machte es Ryan unruhig.
»So... Ab zu Emily. Sie wartet bestimmt schon.«
Ein leichtes Nicken genügte als Antwort, um ihn in Bewegung zu setzen. Langsam erhob sich mein Körper von dem bequemen Ledersofa und tapste Richtung Tür.
Ryan hatte bereits den Griff in der Hand und öffnete mir diese. Seine Jacke hatte er sich unter den Arm geklemmt. Er wollte also irgendwo hin.
Ich trat in den Flur und stieg bereits eine Stufe der Treppe hinauf.
»Ryan. Kannst du mir einen Gefallen tun?« ,fragte ich und lehnte mich dabei leicht ans Geländer an. Als er den Schlüssel umgedreht hatte, antwortete er »Kommt drauf an, was es ist.«
»Ich müsste morgen kurz in die Bibliothek. Wollte ein Buch ausleihen. Also kannst du mich biiiittte fahren?« ,frage ich mit meiner Unschuldsmine, die jedoch heute leicht beansprucht aussah.
Ryan zuckte nur die Schultern und nickte anschließend. Dann murmelte er noch ein kurzes »Geh jetzt nach oben« und verschwand.

Seufzend öffnete ich die Haustür und trat anschließend in die Küche.
»Mily?«
»Bin hier!«
Ich folgte der Stimme ins Wohnzimmer und erwischte sie vor dem Fernseher.
»Hey... Du siehst naja fertig aus... Ist alles okay?« , besorgt ließ sie ihren Blick über mich gleiten.
»Mir geht es gut. Beruhige dich« , beschwichtigte ich sie und setzte mich zu ihr.
Etwas erschöpft lehnte Emily sich auf dem Sofa zurück und murmelte vor sich hin »Ich sehe, also bist du blind«
Und wie in Trance antworte ich »Und du bist blind, weil ich sehe.«
In der nächsten Sekunde antworten wir gleichzeitig »Somit bist du mir ausgeliefert«

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