Draußen...

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Sie kreischte, als sie das rotpelzige Tier sah, dass neugierig schuppernd näher kam, jedoch sofort stehenblieb und wieder im Wald verschwand. Laura atmete schwer. Ja, so schlimm erschien es ihr außerhalb nicht, doch im Bunker fühlte sie sich sicherer. Die Luft war kühl und frisch, doch sie ahnte, dass die Reste des Unfalls sie in wenigen Tagen töten konnten, wenn sie nicht eine sichere Zuflucht finden würde.
Sie sah zurück in die Stadt. Dort war ihre Familie, die sie einfach verstoßen hatte und sich selbst überließ - und der Natur, die den Menschen nicht wohlgesonnen sein konnte.
Nein, warum sollte die Natur auch. Die Geschichten erzählten von den Menschen, die in den Städten lebten, die ganze Welt bevölkert hatten - und sie zerstört. Sie zerstörten die Wälder mit Feuer und Maschinen, vergifteten Wasser, Erde und Luft. Sie fraßen sich gerade zu durch die Oberfläche und hinunter. Soweit, dass die Natur, die Welt, sich wehrte.
Wie es zu dem Unfall kam, das wusste keiner mehr. Nur, dass es die Rache für ihre Verbrechen waren, die dadurch jedoch nie gesühnt wurden...

Es knackte im Unterholz und eilig tat sie einige Schritte zurück. Sie griff auf dem Boden nach einer Waffe und ertastete einen dünnen Stock, denn sie schnell umklammerte. Er gab ihr einen Funken Sicherheit, während sie panisch gebannt, aber auch neugierig auf das wackelnde Gebüsch starrte.
Es dauerte nur einen Moment, da schob sich eine schnuppernde, schwarze Nase und das rote Fell einer Schnauze zwischen den Blättern hervor. "Hau ab!", rief sie und schwang ungelenk den Stock. Doch das Tier schob nun den ganzen Kopf heraus und offenbarte spitze, rote Ohren und braune Augen. Das Kinn war weiß.
"Was wird das?", fragte das Tier und voller Panik kreischte Laura los. Sie ließ den Stock fallen und rannte in die Stadt. Weg von dem unheimlichen Wesen, das mit ihr sprach. Oder war es nur die Wirkung des Unfalls.

Laura kletterte schnell durch das zerbrochene Fenster eines Autos. Ein Mörder der Luft und Erde zwar, doch im Moment erschien es ihr als sicher. Sicherer als draußen zumindest.
Sie duckte sich hinter das Metall der Tür und spähte vorsichtig nach draußen. Doch sie sah nichts. Nichts rotes verfolgte sie. Dort draußen war nur das schmutzige grau und grün der überwucherten Stadt. Nicht der ganze Boden war unter dem Druck der Natur geborsten, aber doch zumindest genug, um einen Großteil der Gebilde der Vergangenheit zurück zu erobern.

"Warum schreist du denn ständig? Erst der Baumspringer und jetzt ich."
Erschrocken drehte sie sich um und sah das rotpelzige Wesen. Es saß ruhig auf dem anderen Platz des Gefährts und legte den Kopf schief.
"Du bist nicht von hier, oder? Kommst du aus der Wüste? Bist du ein Großhör?"
Sie atmete schwer, während sie sich an das Metall drückte. "Du... redest... wie ich...", stellte sie endlich fest, aber sofort schüttelte sie den Kopf. "Nein, das liegt bestimmt an der Hitze. Oder der Wirkung. Oder der Angst oder..."
"Nein, außerdem bist du es doch, die wie ich redet. Bist du vielleicht ein Spitzzahn?"
Laura schüttelte stumm den Kopf.
"Na dann." Das Tier richtete sich wieder seinen Kopf, dann tastete es mit einer Pfote an seinen Kopf und strich sich über das Fell. Dieses zog sich schnell in die Haut zurück, das Tier wuchs ein Stück und sein Gesicht glättete sich. Nur Sekunden später war aus dem Tier ein Mensch geworden, ein kleiner Junge, sie schätzte ihn auf höchstens zehn Jahre, der sie interessiert begutachtete.
"Man nennt mich Fox. Obwohl, eigentlich bin ich der einzige, der mich so nennt. Aber du darfst es auch. Und wie nennst du dich?"

Laura starrte den Jungen ungläubig an. "Äh... ähm... Laura?", stotterte sie und der Junge grinste.
"Hast du es vergessen?"
Sie schüttelte den Kopf. "Ich habe nur noch nie mit einem Tier - Mensch - Kind - Ding geredet."
"Oh." Der Junge sah überrascht aus, dann legte er wieder den Kopf schief. "Wenn du willst, kannst du bei mir wohnen. Willst du?"
"Sind deine Eltern einverstanden?"
Der Junge zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Bin alleine. Also: willst du?"
Unsicher sah sie ihn. Gefährlich erschien er nicht mehr. Er war ein Kind. Ein unschuldiges, naives Kind. Aber es wäre immer noch besser, als ihre letzten Tage allein zu verbringen.
"Ja, wenn du mir das so anbietest gerne." Sie lächelte, als der kleine Junge sich freudig drehte und dabei wieder über seinen Kopf strich. Er war wieder das Tier.
"Dann komm aber schnell. Den Schleichern gehört die Nacht und bald kommen sie raus."
"Schleicher?"
"Erklär ich dir nachher. Gibt es etwa keine, da, wo du herkommst?"
Laura sah kurz hinter sich aus dem Wagen, in die Stadt. "Nein, nur Menschen."
"Oh." Das Tier nickte. "Dann hast du es gut."
Schnell sprang es auf und drehte sich zum anderen Fenster, das ebenfalls zerbrochen und wohl sein Eingang war.
"Komm! Sonst verlierst du mich!", rief das Tier und sprang fröhlich vor dem Fenster im Kreis.
Lauta lächelte und bewunderte die Sorglosigkeit des Kindes. Schnell kletterte sie aus demselben Fenster und lief dem Tollenden hinterher in den Wald.

Fox' Heim war ein sehr großes, langes, umgekipptes Gefährt, dass zwar bereits an einigen Stellen brüchig und verrostet war, doch sehr wohnlich eingerichtet.
Laura staunte, als sie sogar einen großen Haufen Kissen sah, der noch gut erhalten war. An den Wänden standen einige Regale, deren untere Bretter mit allerlei Fundsachen gefüllt war. Gerade hoch genug, dass ein Kind sie erreichen konnte.
"Hast du das gesammelt?", fragte Laura interessiert und griff nach einem kleinen silbernen Stück Metall. Gekonnt klappte sie es auf und sofort flackerte eine kleine Flamme auf.
"Ja. Das ist toll, oder? Was die Vorfahren uns hinterlassen haben." Fox verschwand an ihr vorbei etwas weiter hinter, wo nur noch wenig Licht hinfiel, dann hörte sie etwas rumoren und schnell klappte sie das silberne wieder zu um ihm zu helfen.
Als sie näher war erkannte sie, wie der Junge gerade eine Matratze von der Wand weg zog, dabei jedoch heillos überfordert war.
"Darf ich?", bot sie an und griff die Matratze. Gemeinsam schafften sie es, sie hervor zu ziehen und ordentlich auf den Boden zu legen.
"Danke. Aber warte kurz." Schnell verschwand Fox wieder, nur um mit einem Stapel Decken zurück zu kehren. "Hier." Er hielt sie ihr hin. "Nimm auch ruhig ein paar von denen. Die sind weich." Er deutete auf die Kissen.
"Vielen Dank, Fox, du bist zu freundlich."
"Bitte, bitte. So wurde ich erzogen. Mutter hat immer gesagt: verwehre Fremden in Not nie deine Hilfe. Behandle sie gut und du gewinnst Freunde fürs Leben."
"Deine Mutter scheint sehr klug gewesen zu sein."
"War sie. Die Klügste. Aber die Zeit fordert einen Preis. Immer." Fox klang traurig und schnell legte Laura die Decken ab. Sie um armte ihn. "Das stimmt. Meine Mutter ist auch fort. Meine ganze Familie."

Schon mehrere Stunden lag Laura wach und sah an die Decke. Es war schön, wie Fox neben ihr zusammengerollt lag und ruhig schlief, doch sie vermisste auch die Menschen im Bunker. Sie waren ihr ganzes Leben lang ihre Familie gewesen und dann hatten sie sie einfach fallen lassen. Hinausgeworfen und zum Sterben verurteilt. Sie sah runter, zu dem Tier. Fox würde sie auch in wenigen Tagen verlieren, aber wenn das stimmte, was er über das nächste Leben erzählt hat, dann würde sie zumindest ihre Mutter wiedersehen - und Fox' Mutter von ihrem Sohn erzählen.
Höchstens sieben Tage blieben ihr, bevor die Reste der Vergangeheit ihren Preis fordern würden. Ihr Leben außerhalb des Bunkers war begrenzt - doch wenigstens konnte sie den Himmel sehen. Den ECHTEN Himmel. Nicht das Gemälde in den Schlafräumen.
Ein Gedanke jedoch drängte sich in den Vordergrund. Die Angst vor dem Tod. Sie wusste nicht, wie es wäre zu sterben, an der Strahlung zu sterben. Und die nächsten vier Tage würde sie sich vielleicht nicht einmal über die Freiheit freuen können...
"Laura, schläfst du?", fragte Fox leise und schnell tastete sie nach seinem Kopf. Sie kraulte ihn hinter dem Ohr und sofort schnurrte er. "Nein, aber fast."
"Willst du, dass ich dich durch den Wald führe. Ich möchte dir meine LIeblingsplätze zeigen."
"Oh, das wäre schön. Aber..." Sie überlegt einen Moment und stoppte dabei kurz die Bewegungen ihrer Finger, bevor sie fortfuhr: "Aber in drei Tagen muss ich gehen."
"Dann komme ich mit. Ich mag dich." Er bewegte sich, drehte sich auf, nur um sich wieder zusammen zu rollen, sie diesmal jedoch anzusehen. "Wir können Abenteuer erleben. Und viele Dinge der Ahnen sammeln."

Fuchsgesicht - Als die Welt in den Abgrund fiel...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt