Gedankenverloren lief ich durch die Straßen. Rempelte Menschen an, lief in sie hinein. Sie schimpften mit mir, ich solle doch besser aufpassen. Ich merkte von alle dem jedoch nichts. Wie durch einen Schleier drang alles nur leise zu mir hindurch.
Ich starrte in den Himmel, sah schon wieder diese schwarzen Schatten.
Bumm.
Ich hatte wieder jemanden übersehen und hatte ihn angerempelt. Immerhin hatte ich es diesmal wirklich gefühlt und entschuldigte mich.
Mit einem knappen Nicken lief er weiter.
Ich starrte wieder in den Himmel.
Die schwarzen Schatten waren verschwunden.
Ich richtete meinen Blick auf die Straße vor mir und versuchte mich zu konzentrieren, um weiteren Hindernissen aus dem Weg zu gehen und nicht weiter aufzufallen.
,Das bist du doch bereits', hallte es in meinem Kopf.
,,Ach halt doch deine Klappe!'', murmelte ich.
,,Wie bitte?'', fuhr mich eine Frau an.
,Oh shit! Das konnte doch nicht wahr sein!', dachte ich verzweifelt. ,Was wird wohl noch alles heute schiefgehen?'
Gerade noch rechtzeitig entschuldigte ich mich bei der empörten Frau.
Sie kam mir irgendwie bekannt vor, doch ich konnte ihr Gesicht nicht einordnen.
Vielleicht arbeitet sie in der Bibliothek drei Blöcke von der Uni entfernt. Oder sie arbeitet in dem Café zwei Straßen weiter.
Ich versuchte mir nicht weiter den Kopf zu zerbrechen, doch die Frau wollte mir nicht aus dem Kopf gehen.
Um auf andere Gedanken zu kommen zog ich meine Kopfhörer aus der Jackentasche. Beziehungsweise ich wollte sie herausholen.
Wenn sie doch bloß da wären.
Ich griff erneut hinein.
Wieder nichts.
,Fuck!', fluchte ich innerlich.
Entweder ich hatte sie heute morgen Zuhause liegen lassen oder sie sind mir während des Tages aus der Tasche gefallen.
Kurz: sie könnten überall sein.
Ich schaute über die Straße.
Ein ganz in schwarz gekleideter Mann mit tief in die Stirn gezogener Kapuze schien mich an zu starren. Schnell schaute ich weg.
Der Mann hatte irgendwie etwas merkwürdiges an sich. Mir wurde unwohl.
Ich schaute noch einmal auf die andere Straßenseite.
Der merkwürdige Mann war verschwunden.
Wahrscheinlich hatte ich ihn mir nur eingebildet.
Jemand rempelte mich und entschuldigte sich. Immerhin war er so höflich.
Scheinbar bin ich stehengeblieben. Ich konnte mich gar nicht daran erinnern, dass ich nicht weiter gegangen war.
Der merkwürdige Mann wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Ich rannte los.
Ich wollte diese Straße hinter mir lassen.
Zurück in den Park.
Nachschauen, ob meine Kopfhörer noch da waren.
Ich brauchte sie.
Ich brauchte Musik.
Musik hat mir schon immer geholfen, auf andere Gedanken zu kommen. Aber ohne Kopfhörer konnte ich keine Musik hören.
Und ohne Musik konnte ich meine wirren Gedanken nicht ordnen oder sie gar loswerden.
Ich rannte.
Egal ob ich über rot lief oder nicht.
Mir war egal, dass die Autos mich an hupten, dass die Fahrer mich beschimpften.
Ich lief.
Ich lief so schnell ich konnte.
Die Welt fing an wieder wie in Watte gepackt zu werden. Ich versuchte den aufgehenden Nebel aus meinen Gedanken zu verbannen.
Es funktionierte.
Scheinbar half das rennen.
Nur noch zwei Blöcke bis zum Park.
Ich fing an zu husten.
Ich lief weiter, versuchte das Husten zu unterdrücken.
Ich rannte so schnell wie es der Husten zu ließ.
Ich rannte, mit der Hoffnung, dass ich meine Kopfhörer nur auf der Bank im Park vergessen hatte. Und dass sie keiner mitgenommen hatte.
Dass sie noch da waren.
Ich rannte.
Meine Verzweiflung spornte mich an.
Die Verzweiflung, meine finsteren Gedanken. Meine alltäglichen Begleiter.
Und meine einzige Erlösung war die Musik.
Ich überquerte eine Straße.
Diesmal hupten keine Autos, keiner schimpfte mich aus.
Vielleicht hatten sie Mitleid. Sahen meinen gehetzten Blick. Oder meine Ampel war mal ausnahmsweise grün.
,Nur noch ein Block' , dachte ich innerlich.
Dann sah ich ihn.
Den schwarz gekleideten Mann.
Er stand da. Mitten auf dem Weg.
Abrupt blieb ich stehen. Hustete. Passanten liefen in mich hinein. Sie hatten nicht bemerkt, dass ich stehen geblieben war.
Sie entschuldigten sich.
Keiner schien den Mann zu bemerken.
Er drehte sich um.
Und schaute mich an.
Eine Gänsehaut schlich über meinen Rücken.
Ich hustete.
Ich versuchte sein Gesicht zu erkennen.
Wieder nichts. Seine Kapuze saß zu tief.
Er trat zur Seite und verschwand in dem sich stetig bewegenden Strom der Menschen.
Einen kurzen Augenblick konnte ich seine schwarze Kapuze noch ausmachen, bis auch diese schließlich verschwand.
Ich schauderte und wandte den Blick ab.
Was machte mich eigentlich so sicher, dass die Person ein Mann ist. Und dass er mich angeschaut hat? Dass er überhaupt irgendwen hier angeschaut hat?
Es war nur ein Gefühl. Aber ich hatte das schon öfter gespürt. Und es hatte mich nie belogen. Es versucht mir irgendetwas zu sagen, mich vor irgendetwas zu warnen. Doch ich wusste nicht wo vor.
Ich fing an, mich schon wieder in meinen Gedanken zu verlieren.
Ich schüttelte meinen Kopf, versuchte ihn einigermaßen frei zu bekommen.
Ich löste meine Starre und ging weiter. Rennen konnte ich nicht mehr, bekam zu schlecht Luft, hustete.
Ich musste eventuell wieder an meiner Ausdauer arbeiten.
Mein Nacken kribbelte. Vielleicht beobachtete mich jemand. Ich versuchte nicht darauf einzugehen, meiner Paranoia nachzugeben.
Dennoch blieb ich stehen, drehte ich mich um und schaute über die Schulter.
Sah nichts.
Ging weiter.
Ich griff in meine Jackentasche. Bemerkte, dass meine Kopfhörer immer noch nicht da waren.
Ich schaute weiter gerade aus, sah den Park.
Und betete, dass meine Kopfhörer da waren.
Dass ich endlich meinen Gedanken entfliehen und mich beruhigen konnte.
Ich überquerte die letzte Straße, die zwischen mir und meiner Erlösung lag.
Es hupte. Ich ignorierte es.
Diesmal hatte ich es klar und deutlich gehört.
Also hatten mich meine Gedanken diesmal nicht allzu stark befallen.
Ich lief in den Park hinein, folgte dem Weg. Vorbei an der alten Trauerweide, unter der ich im Sommer gerne lag und laß, da sie mir Schatten spendete und mir ein Gefühl von Geborgenheit gab.
Vorbei am kleinen See, wo im Sommer die Kinder plantschten und im Winter, sobald er zu gefroren war, man Schlittschuh laufen konnte. Ich lief weiter. Sah die Bank. Steuerte darauf zu.
Aus dem Augenwinkel sah ich erneut einen Schatten. Ich drehte den Kopf, sah nichts.
Ich war an der Bank angekommen. Auf ihr lag nichts. Keine Kopfhörer.
Ich bückte mich. Nichts.
Suchend schaute ich um mich herum.
Ich sah nichts weißes aufblitzen.
Ich hörte das zwitschern der Vögel nur leise. Die Welt schien schon wieder abzudriften. Ich schüttelte den Kopf, versuchte mich zu konzentrieren.
Ich setzte mich auf die Bank, ließ meinen Blick schweifen. Überlegte.
,,Suchst du etwas Bestimmtes?'', riss mich eine tiefe Männerstimme aus den Gedanken. Er schien mich schon länger beobachtet haben.
Ich schüttelte den Kopf, er hob fragend die Augenbrauen. Wieso konnte er mich nicht einfach in ruhe lassen, ich sprach nicht gerne mit fremden Menschen, da konnten sie noch so gut aussehen.
Der Mann stand noch immer da, schien auf eine Antwort zu warten. Er musterte mich.
Ich seufzte.
,, Nein, ich suche nichts Bestimmtes, ich genieße nur die Natur'', antwortete ich.
Ich wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden. Und wenn ich erwähnte, dass ich nur nach meinen Kopfhörern suchte, würde er wahrscheinlich anfangen zu lachen. So wie die meisten anderen in letzter Zeit.
Der Mann schüttelte verwundert den Kopf, lächelte mich an, zuckte mit den Schultern, drehte sich um und ging.
Ich beobachtete ihn. Er hatte irgendetwas an sich, ich konnte es nicht erklären. Es war nichts dunkles wie bei dem schwarz gekleideten Mann. Es war irgendetwas anderes. Faszinierendes.
Eine Krähe flog über meinen Kopf.
Ich ließ meinen Gedanken freien Lauf, hoffte mich selbst daraus befreien zu können.
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Shadows
FantasySie verfolgten mich. Erst nur in den Träumen. Dann auch in der wirklichen Welt. Ich dachte, meine Welt wäre perfekt. Ich wurde an meiner Traumuniversität genommen, hatte mein eigenes Apartment. Studierte, in der Hoffnung, ich hatte das richtige g...