*~2~*

2.7K 201 19
                                    

Und schon stand ich auf dem Bahnsteig. Helles Licht von Scheinwerfern strahlte in mein Gewicht und stach in meinen Augen. Ich blintzel ein paar mal, um mich an das gleißende Licht zu gewöhnen. Nun erkannte ich endlich etwas, aber eine Überbelichtung, sodass ich nichts erkannte wäre mir doch um einiges lieber. Man hatte ein großes Zelt über die gesamte Straße gespannt wegen des Schnees. Weit über hundert, was red ich da, zehntausend Menschen standen vor dem Bahnhof bis ich nicht mehr sehen konnte. So viele Farben strahlten mir entgegen, sie jubelten und klatschten mir entgegen. Die ganze Stadt musste gekommen sein, um mich und meinen Vater zu sehen. Sie nahmen extra das Risiko des Schnees auf sich um mich zu sehen. Ich wurde richtig nervös.
Der Druck wuchs immer mehr. An den Hochhäusern, die sich an den Seiten der Straße befanden, hingen große Bildschirme. Ich sah mich in meinem rotem Kleid und blonden hochgesteckten Haaren, ich sah hübsch aus, doch ich sah die Menge einfach nur an. Ich blickte auf sie herab, angewurzelt und stumm wie ein Fisch. Ich hatte total meinen Einsatz verpasst. Ich fing an zu lächeln und winkte der Menge zu. Diese jubelten mir noch mehr zu, das ließ mich nur noch nervöser werden.

Der Redner oder auch Moderator dieser ganzen Veranstaltung fing an zu sprechen:" Meine Damen und Herren, ich präsentiere ihnen den Herrscher unseres geliebten Mamorias, Christopher Verlost Ronald und seine liebreizende Tochter Harmonia Rose Ronald." Er strahlte und deutete auf mich und meinen Vater. Schnell lief ich zu diesem hin und stellte mich neben hin. Mein Vater lächelte, wie immer bei solchen Auftritten. Ich hatte ihn lange nicht mehr gesehen, so lange. Seine braunen dunklen Haare waren von ein paar grauen Strähnen durchzogen und in seinem Gesicht bildeten sich langsam Falten.

Er trat an das Pult und begann seine Rede: "Vor hunderten Jahren hinterließen uns unsere Vorfahren ein verschmutztes und zerbrochenes Land. Durch die Kriege wurden die Menschen immer hasserfüllter und achteten von da an nicht mehr auf die Natur. Sie führten Kriege und verwüsteten alles um sich herum. Doch nun haben wir es endlich geschafft! Wir haben Armut und Elend in unserem Land besiegt und auch die Natur haben wir wieder regeneriert. Endlich ist unseren Kindern ein schönes, erfülltes Leben vergönnt." Ein tosender Jubel ging durch die Menge. Ich klatschte auch ein paar mal in meine kalten Hände. "Nun möchte ich euch meinen Hoffnungsschimmer für die nächste Generation vorstellen meine Tochter Harmonia."

Oh Mann, jetzt war ich dran. Ich zitterte am ganzen Leib. Einfach an die Anweisungen halten. Ich ging lächelnd noch ein wenig weiter auf meinen Vater zu, sodass ich an das Mikrofon heran langen konnte. "Guten Tag, ich bin Harmonia Rose die Tochter unsres Anführers," ich versuchte die Worte möglichst überzeugend zu sagen, doch sie klangen aus meinem Mund stocksteif und gespielt, künstlich. Gib dir mehr Mühe, Harmonia! Tadelte ich mich selbst in Gedanken.
"Nun denn, Harmonia ich glaube jeder hier wartet nur auf deine Worte", der Moderator lächelte mich an und nahm mir ein wenig den Druck. Seine Zähne waren strahlend weiß und sein Gesicht strahlte nichts als Freude pur aus, sein blondes Haar war nach hinten gekämmt und glänzte im Scheinwerferlicht. Er musste den Job schon Jahre lang machen.

Ich begann erneut zu reden und versuchte einen etwas freundlicheren und offeneren Ton anzuschlagen: "Nach der Regenerierung der Welt, hatten unsere Vorväter das Land zwar geheilt, doch die Kinder fehlten. Durch Krankheiten und Kriegen starben viele von ihnen. Doch nun gibt es wieder viele von uns. Dank der voran schreitenden Technik gelang es uns Kinder ohne Einflüsse aus der Umwelt im Labor zu züchten", ich stockte mit diesen Worten. Kinder wurden abgehetzt im Labor gezüchtet, statt natürlich mit der Mutter verbunden heranzureifen? Ich riss mich zusammen und redete weiter. "Die Kinder wuchsen danach in Einrichtungen auf in denen sie gepflegt wurden und einen Beruf erlernten. Heute zeigen sich diese Wunder endlich dem Volk. Und das erste dieser Kinder, werde ich sein.", resigniert schaute ich den Text an. Das konnte doch nicht sein. Mein Blick lag auf diesem Satz und las ihn immer wieder. Immer wieder und immer wieder. Aber was war mit meiner Mutter? Wer war ich? Wo kam ich her? Ich wurde im Labor erschaffen, deswegen hatte ich nie meine Mutter kennengelernt. War mein Vater überhaupt der Präsident von Marmoria oder einer der Leute die sich nur wegen mir hier versammelt hatten? Rede weiter, Harmonia, los jetzt. "Ich bin Harmonia, 15 Jahre alt und trotz meiner Herkunft, immer noch die Tochter von Christopher Ronald. Ich wuchs in einem Palast auf, mein Kindermädchen Odette kümmert sich noch heute um mich und ich bin vollkommen gesund. Ich bin froh, in dieser Umwelt aufwachsen zu dürfen und nicht, wie andere Kinder in Armut und Elend." Dafür aber mit Eltern die sie lieben, fügte ich in Gedanken hinzu. "Ich und die anderen sechs Kinder sind meinem Vater für diese reine und freie Kindheit ewig dankbar." Eine Kindheit voller lügen und Unwissenheit. Ewig dankbar war ich jedenfalls nicht. Ich hatte eine solche Wut auf alle, die das vor mir geheimgehalten hatten und ich war enttäuscht. So enttäuscht. Ich dachte immer... Ich wüsste wo ich hingehören, ich dachte immer, wegen dem ganzen Arbeitsstress hatte mein Vater keine Zeit für mich, aber jetzt zweifelte ich daran. Ich war ihm völlig fremd. Ich gehörte nicht zu ihm. Ich gehörte nicht hier her. Zum Glück war mein Vortrag nun zu Ende. Ich war nämlich kurz davor in Tränen aus Wut und Traurigkeit auszubrechen. Ich zitterte noch mehr als vorher. Wieso hatte man es mir nicht gesagt? Wieso kam ich mir nun als so anders vor? Als unzugehörig?
"Vielen Dank für deinen Beitrag Harmonia. Nun möchte ich ihnen die restlichen 6 Kinder zeigen."
Wohl meine Geschwister... Jedenfalls so etwas ähnliches... Meine wahre Familie.
Fünf Jungen und ein Mädchen betraten den Bahnhof. Sie waren alle zwischen 16 und 15 Jahre alt. Das Mädchen hatte lange, dunkelbraune Haare, dunkle Haut und war ziemlich groß, anders als ich, denn ich fühlte mich neben ihr wie ein Zwerg. Ihre Figur war auch viel besser als meine. Schöne lange Beine und einen gut geformten Oberkörper. Sie war so wunderschön.

Zwei der Jungen sahen sich extrem ähnlich. Wahrscheinlich waren sie Zwillinge. Doch ich erkannte einen Unterschied, der eine Zwilling hatte eine kleine Narbe an den Augenbrauen. Sie hatten blonde Haare und waren groß gewachsen, aber trotzdem ziemlich dünn.

Der kleinste Junge sah noch ziemlich jung aus und hatte gelockte schwarze Haare und alles an ihm weckte meinen Beschützer Instinkt, er war noch kleiner als ich. Doch er war garantiert nicht viel jünger als die anderen.

Ich hatte keine Zeit mir die anderen Kinder noch genauer anzusehen, denn das große Mädchen trat hervor und versperrte mir die Sicht. Sie kam auf mich zu oder doch eher auf meinen Vater, der neben mir stand, vielleicht aber auch auf uns beide, zu. "Lange wurden wir auf diesen Moment vorbereitet und nun ist es endlich so weit", freundlich lächelte sie mich an und überreichte mir einen Strauß blaue Rosen. Die schönsten Blumen, die ich je gesehen habe und doch ließ ich mich von ihrer Schönheit nicht täuschen. Sie waren falsch, so wie ich. "Die haben wir in dem Hofgarten angebaut. Ich hoffe sie gefallen euch."

"Ähm ja, vielen Dank ich freue mich schon euch näher kennen zu lernen.", wenigstens brachte ich eine vernünftige Antwort zustande, wenn auch keine sonderlich gute. Mein Stimme bebte gefährlich, doch scheinbar hatte es keiner gemerkt.

"Ihr werdet euch sicher noch gut kennenlernen, geht doch schon mal zusammen ins Haus", sagte mein Vater zu uns und deutete auf eine Glastür keine zwanzig Meter entfernt. Schon wendete er sich wieder der Menge zu.

"Komm, ich brenne darauf dich besser kennen zu lernen", meinte das Mädchen freundlich, drehte sich um, winkte der Menge zu und stolzierte auf die Glastür zu. Ich lief - oder stolperte - ihr rasch, gefolgt von den anderen Kinder, nach.

Gezüchtet - Die Offenbarung #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt