• Chapter I •

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🔺Kylies Sicht:
Vier Jahre.

Vier Jahre ist es her, seit man meine Schwester tot in einem Badesee gefunden hatte.

20.9.2014. Ihr Todestag. Eingraviert in den Grabstein, vor dem ich kniete.

Tränen verließen meine Augen, ich berührte zitternd die eingravierte Schrift. Warum musste sie von uns gehen? Sie hatte das nicht verdient. Nicht meine Alina.

Wir waren beste Freundinnen seit meiner Geburt. Mit meinen sechzehn Jahren war ich um zwei Jahre jünger als sie. Wir spürten diese tiefe Verbindung zwischen uns, Streit war ein Fremdwort. Wir teilten uns alles, taten alles für einander, lachten gemeinsam, weinten gemeinsam. Wir waren wie ein Herz und eine Seele.

Doch jetzt saß ich hier alleine, weinte nicht mit ihr, sondern um sie. Die Polizei bestätigte einen Selbstmord, da ihre Lungen mit Wasser gefüllt waren. Doch das war die abwegigste Theorie für mich.

Alina war sehr lebensfroh, sah in allem das Gute, war sehr positiv. Sie half depressiven Menschen aus ihrem Loch zu kommen, schaffte dies auch perfekt. Sie träumte von einer Karriere als Psychologin und wir alle unterstützten sie dabei. Sie wäre die Letzte, die Selbstmord begehen würde. Das konnte einfach nicht sein.

Schniefend stellte ich den Blumentopf mit den blauen Veilchen auf dem bunt geschmückten Grab meiner Schwester ab. Es waren ihre Lieblingsblumen gewesen.

„Ich liebe dich!", murmelte ich und berührte noch einmal den Grabstein, bevor ich aufstand, mich umdrehte und mir zwischen den Grabsteinen einen Weg nach draußen bahnte.

Der Friedhof war für mich eine dunkle Macht, die mir das Atmen erschwerte. Hier lagen so viele Tote Menschen, jeder hatte seine Geschichte, jeder sein Leid.

Ich verließ den zentralen Friedhof durch das schwarze Eisengittertor, das das Totenreich mit dem meinigen, den Lebendigen trennte. Zumindest fühlte es sich für mich so an.

Ich wusste, dass es keine Geister der Toten gab, aber für mich war der Friedhof so erdrückend, als gäbe es Geister, die mir die Lunge eindrücken würden, was natürlich nicht stimmen konnte.

Ich steckte meine Hände in die Taschen meiner grünen Winterjacke und setzte meine Kapuze mit dem unechten Fell als Zierde auf.

Es war Herbst. Der 20.9.2018. Der Todestag meiner Schwester, bloß vier Jahre später. Ich konnte es noch immer nicht glauben. Es fühlte sich so surreal an. Sie war tot. Weg. Für immer.

Obwohl es schon so lange her war, saß der Schmerz noch tief. Ich hatte mir geschworen, den wahren Grund ihres Todes herauszufinden. Koste es was es wolle.

Der Weg zu unserem kleinen Haus zog sich in die Länge. Es war, als würde ich bei jedem Schritt auf der Stelle stehen bleiben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam ich an unserem Haus an. Ich öffnete die Tür und trat ein. sorgfältig zog ich meine Schuhe aus und stellte sie auf den braunen Parkettboden neben den schweren Stiefeln meines Vaters ab.

Ich betrat die Küche, wo mir meine Mutter zuwinkte. Sie sah wirklich alt aus. Seit Alinas Tod war sie gefühlt um zehn Jahre gealtert und hatte dunkle Augenringe. Allgemein sah sie nicht gesund aus. Egal ob sie lächelte oder nicht, man sah ihr den Schmerz immer noch an. Es hatte sie schlimm mitgenommen.

"Ich bin dann mal oben!", rief ich meiner Mutter zu, bevor ich die Treppen nach oben hetzte und langsam die Tür zu Alinas Zimmer öffnete. Nach ihrem Tod hatte sich nichts verändert. Wir hatten uns nicht getraut, irgendetwas anzufassen, zu tief saß der Schmerz.

Ich ging auf ihre Fotocollage zu. Es waren alles Bilder mit ihr, uns, also mir, meiner Mutter und meinem Vater und Bilder von Alina mit ihren Freundinnen.

Ich berührte eines der Bilder und spürte die Tränen wieder hochkommen. Jedes Mal wurde ich schmerzhaft daran erinnert, wie sehr Alina mir fehlte.

Kurz darauf drehte ich mich schluchzend weg, begann endgültig zu weinen und sank zu Boden. Ich schaffte es noch immer nicht, darüber hinwegzukommen.

Warum musste das Alina passieren, warum?

Stiller Mord •slow updates•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt