III

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Neptuns geheime Route

   Kyron ließ seinen Blick schweifen und betrachtete die glühende Sonne dabei, wie sie langsam am Horizont aufstieg und zeitgleich mit der Natur aus ihrem nächtlichen Schlaf erwachte. Die vereinzelten Sonnenstrahlen fielen auf die Oberfläche der leicht wippenden Wellen und brachten diese zauberhaft zum Schillern. Wie kleine Perlen tanzten die Lichtfunken über die Wellen, sodass man glaubte durch ein Meer aus Glanz und Schimmer zu fahren. Die Segel des Schiffes waren weit aufgezogen und die hügelige Graslandschaft von Tarfu verschwand allmählich in der Ferne.

Der alte Zauberer summte eine fröhliche Melodie und genoss das warme Wetter. Das glockenhelle Gezwitscher einiger bunter Paradiesvögel leistete ihm Gesellschaft, bis diese an dem Schiff vorbeizogen und geradewegs auf den wunderbaren Glutball der Sonne steuerten.

Plötzlich erschien Merricks schlaksige Gestalt neben dem graubärtigen Zauberer. „Mein bester Mann hält mithilfe deines Kompasses den westlichen Kurs", gab der Blondschopf kund. Nach einigen Augenblicken des Schweigens räusperte sich Merrick nachdenklich und kratzte sich am Nacken. „Woher stammt diese alte Karte überhaupt, Kyron?" Die Augen des Jünglings ruhten auf dem alten Magier.

„Sie gehörte einst einem Freund, der mindestens genauso alt gewesen ist, wie ich jetzt und lange davor ist die Karte im Besitz des sagenumwobenen Meergottes Neptun gewesen." Merrick weitete die Augen verdutzt, während sich sein Herzschlag so rasant beschleunigte, dass man das Herz deutlich pochen hören konnte.

„Das ist die Karte eines Gottes?", gab er stotternd mit erstaunter Tonlage von sich und schluckte tief.

„So ist es. Mein alter Zaubererfreund Sofus und ich machten es uns zur Aufgabe die Mysterien dieser Welt zu offenbaren. Auf einer unserer zahlreichen Reisen erzählte man uns von einer geheimnisumwitterten Karte, die dem Gott Neptun gehört haben soll", erklärte der Zauberer mit gehobenen Brauen und gestikulierte dabei in der Luft, während der Jüngling fasziniert den Worten des Alten lauschte.

„Und warum hatte er diese Karte, Kyron?", fragte der Junge mit einer naiven Stimmlage, die zu einem Kind hätte gehören können. Der Zauberer lächelte entzückt von der kindlichen Art des Jungen. Es entflammte sein Herz, denn Merrick hatte sich seit seiner flegelhaften Jugend kaum verändert. Er hatte nie aufgehört an Märchen zu glauben.

So begann der alte Zauberer die Geschichte von Neptuns Route zu erzählen. „Neptun war einst in eine Sterbliche verliebt, obwohl er bereits der Nymphenprinzessin Salacia versprochen worden war. Um seine Avancen für die Sterbliche vor seinen Brüdern Pluto und Jupiter zu verschleiern, hob Neptun eine prächtige Insel aus dem Ozean empor, auf der er sich fortan mit seiner Geliebten traf. Es heißt die geheimnisumwitterte Insel, welche den Namen Neptuns Geliebter Maceira trägt, birgt unbezahlbare Schätze. Es sollen an diesem geheimen Ort noch heute magische Wesen leben, welche die Natur sorgsam umhegen", erzählte Kyron und linste unscheinbar zu Merrick, der gänzlich gebannt von der Erzählung interessiert an den Lippen des Zauberers hing.

„Das klingt ja traumhaft!", schoss es euphorisch aus dem Jungen heraus. „Wurden sie denn auch glücklich?Was passierte mit Maceira?", fragte der Blondschopf sogleich und visierte den Zauberer erwartungsvoll an.

„Nachdem Neptun die Nymphe Salacia ohne Erklärung verließ, glühte diese vor Wut. Sie war sich sicher, dass eine andere Frau für seine Handlung verantwortlich war. Aus Verbitterung und Eifersucht machte es sich Salacia zur Aufgabe die Geliebte Neptuns zu finden, um deren Glück zunichtezumachen. Darum schlichen sich zu später Stunde einige ihrer Untergebenen in die privaten Gemächer von Neptuns Unterwasserpalast und entwendeten die mysteriöse Karte. Als Neptun seine Karte nicht mehr finden konnte, wusste er sofort, dass sie gestohlen wurde. Er hatte seine Route im Kopf abgespeichert und reiste geradewegs zu der geheimen Insel, auf der seine Geliebte schon begierig warten würde. Doch als er endlich ankam, war es schon zu spät. Maceira wurde erstochen. Aus schmerzlichem Liebeskummer verbannte Neptun jede Nymphe aus seinem Reich. Seitdem sind die Nymphen heimatlos und halten sich in Sümpfen, Flüssen, düsteren Verstecken, oder an der Wasseroberfläche auf." Als Kyron seine Erzählung beendet hatte, herrschte für einige Momente Stille. Nur die sprudelnde Gischt des Meerwassers und das leise Quietschen der Holzdielen waren zu vernehmen.

„Die auf der Karte verzeichnete Route, Neptuns Route, führt also zu Neptuns Geheiminsel", schlussfolgerte Merrick und lehnte sich leicht über das golden lackierte Geländer des Schiffes. Wie aus dem Nichts schnellten Merricks Augen zu dem Zauberer, sodass dieser unverhofft aufzuckte. „Wieso jagt mir der Gedanke diese Insel zu finden, plötzlich eine solche Angst ein?"

„Weil du ein kluger Junge bist", schmunzelte Kyron.

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