[Juli 2019]
"Ich glaube, es ist besser so", sagst du und legst auf.
Deine Hand sinkt auf die Kissen neben dich.
Dein Blick wandert durch dein Zimmer. Er wandert durch die Dunkelheit deines Zimmers.
Kurz bleibt er an deinem Klavier hängen. Du denkst daran zurück, an die Zeit, als du es bekommen hast. Du hast es geliebt und jeden Tag gespielt.
Jetzt tust du das nicht mehr.
Du hast zu wenig Geduld, ein neues Lied zu lernen und die alten kannst du schon nicht mehr hören.
Dein Blick wandert weiter. Da stolpert er über deinen Basketball, der da in der Ecke liegt. Den hast du vor einiger Zeit zum Geburtstag bekommen. Du erinnerst dich, wie du am liebsten jeden Tag nach draußen gerannt wärst, um mit deinen Freunden zu spielen.
Jetzt nicht mehr.
Du hast festgestellt, dass deine Kondition zu schlecht für das harte Training ist. Und generell ist dir das Training zu anstrengend geworden.
Dein Blick wandert weiter. Auf dem Regal über deinem Schreibtisch liegt dein Volleyball. Erst vor wenigen Monaten hast du ihn voller Stolz gekauft. Du hast es geliebt, dich mit deiner Clique am Volleyballfeld in der Nähe zu treffen und wie in diesem einen Anime Bälle übers Netz zu pfeffern.
Jetzt nicht mehr.
Natürlich gehst du noch gerne mit deinen Freunden zum Feld, aber du bist unzufrieden mit deinem Schaffen. Und auf dem Sand, mitten in der Sonne, wird dir viel zu schnell warm.
Dein Blick wandert weiter. Auf deinem Computermonitor ist noch die Datei deiner letzten Zeichnung offen. Als du vor zwei Jahren dein eigenes Grafiktablet zu Weihnachten bekommen hast, konntest du kaum ein paar Tage den Stift aus der Hand legen. Du hast es geliebt, deine ganzen Ideen in der Kunst zu verwirklichen.
Jetzt nicht mehr.
Die Farben scheinen zu verschwimmen, die Linienführung ist unsauber und die Figur unförmig. Es ist dir zu stressig geworden, deinen Ideen Leben zu verleihen.
Dein Blick wandert weiter. Zu deinen Füßen liegt Papas alte Westerngitarre. Eigentlich hast du sie nur aus dem Keller geholt und gestimmt, weil du sie für ein Schulprojekt brauchtest. Aber seit du Papa darauf hast spielen sehen bist du wie gefesselt gewesen und wolltest es unbedingt selbst lernen.
Jetzt nicht mehr.
Deine Fingerkuppen schmerzen und deine Handgelenke sind steif. Wie für fast alles sind deine Finger zu kurz und zu ungelenk, als dass du so greifen könntest, wie du wolltest. Und sowieso dauert das viel länger, als du dachtest.
Dein Blick wandert weiter. Im Regal an der gegenüber liegenden Wand steht die blaue Tasche mit den Schlittschuhen. Seit einigen Jahren liebst du das Schlittschuhlaufen. Du hast begonnen, jedes Jahr dem Winter entgegen zu fiebern, um endlich wieder aufs Eis zu können. Dein Taschengeld ging für den Eintritt in die Halle drauf und für die Tasche und die Kufenschoner. Aber es hat dir nichts ausmacht. Denn Schlittschuhlaufen war doch schließlich deine Leidenschaft.
Jetzt nicht mehr.
Es ist Sommer und im Sommer kannst du nicht aufs Eis. Dir bleibt nichts anderes übrig, als dich für den Winter fit zu halten. Aber das gefällt dir nicht. Und manchmal, ja, manchmal verlierst du sogar das Interesse am Schlittschuhlaufen.
'Es ist doch eh immer jemand besser als ich' - das ist es doch, was du dir denkst, nicht wahr?
'Was bringt es, ein Hobby zu verfolgen, wenn ein Erfolg eh aussichtslos ist?'
Und du hast recht. So glaubst du.
So recht, wie du recht hattest, als du vorhin den roten Hörer gedrückt hast.
Ob du recht hast, weißt du nicht.
Aber du hoffst es.
Auch, wenn es dich zum Weinen bringt.
'Es macht doch eh keinen Sinn', denkst du.
Und du stehst auf und verlässt dein Zimmer. Dein Handy lässt du liegen.
Und dann verlässt du auch das Haus und fährst zum Hauptbahnhof, einfach so, steigst in einen Zug und fährst weg, einfach so.
Und dann stehst du wirklich auf, hörst auf, zu träumen, räumst die Gitarre weg, fährst den Computer herunter, schaltest das Handy aus und legst den Basketball wieder neben den Volleyball.
Du schließt das Fenster, lässt die Rollläden herunter und schaltest nur das LED-Licht an dem Bett an.
Dann schließt du das Tablet an die Stereoanlage an, aber der Akku ist alle.
Also lässt du es bleiben.
Und dann legst du dich auf das Bett und starrst schweigend ins Leere.
Irgendwann später ruft man dich zum Essen.
Du stehst auf und verlässt dein Zimmer.