Kapitel 27

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Am Montag ist es schließlich soweit. Der Urlaub beginnt. Jeder von uns hat eine kleinere Tasche. Da wir mit dem Zug fahren, ist es kontraproduktiv, wenn man viel Gepäck hat. Ich genieße die Zugfahrt. Mal sehe ich verträumt aus dem Fenster, dann hat Sachiko oder Mama die Idee, dass man ja das eine oder andere Spiel machen kann.

Es tut gut, mal nicht an Shinji zu denken und die Sorgen um ihn zu vergessen. Ich lasse mich darauf ein. Selbst in L.A. war ich selten am Strand. Was aber eher was damit zu tun hat, dass diese entweder mit Menschen vollgestopft oder, nennen wir es mal, nicht für Familien geeignet waren.

Am Bahnhof angekommen gehen wir ein kurzes Stück zu Fuß. "Nur noch wenige Meter, dann sind wir in unserem Ferienhaus! Hier waren wir schon seit Jahren nicht mehr!" Sachiko und ihr Bruder Kiri laufen aufgeregt nebeneinander her. So im Einklang sieht man die Geschwister selten. Auch Takeru und ich gehen zusammen die Straße entlang.

"Hier ist es so ruhig. Ganz anders als in der Stadt." teilt er mir seine Gedanken mit. Ich stimme ihm zu. "Hier ist nichts los. Und ich liebe es!" Urplötzlich biegt Naru-san in eine Einfahrt. Das Haus kommt in Sicht und es sieht fantastisch aus. Gespannt auf das Innenleben folge ich dem Rest der Gruppe.

Von außen sieht es wie ein ganz gewöhnliches Ferienhaus aus, aber im Inneren erkenne ich, dass es verwinkelt und dennoch lichtdurchflutet ist. Nachdem jeder seinen Schlafplatz zugewiesen bekommen hat, zieht mich das Meer, welches nur wenige Meter vom Haus entfernt ist, in seinen Bann.

Nachdenklich setze ich mich auf den weichen Sand und starre ich die Wellen. Das Wellenrauschen versetzt mich in eine Art Meditation. Ich lasse mich also von den Wellen treiben und entleere meinen Kopf von allen Sorgen. Erst als die Sonne langsam über dem Meer untergeht, höre ich jemanden nach mir rufen. "Ich bin hier!" antworte ich.

Es ist Mum, die sich neben mich setzt. Schweigend schauen wir uns die untergehende Sonne an, die mehr und mehr hinterm Horizont verschwindet. "Es ist so friedlich hier. Findest du nicht auch?" Ich nicke. So wie ich Mum kenne, versucht sie jetzt aus mir heraus zu bekommen, was ich ihr seit den Prüfungen verschweige.

"Kazu, ich habe das Gefühl, dass es dir bei etwas nicht gut geht. Du sollst wissen, dass wir alle für dich da sind, wenn du bereit bist, darüber zu reden." Sie umarmt mich und steht wieder auf. Schnell macht sie noch ein paar Fotos vom Horizont, bevor sie Anstalten macht, zum Haus zu gehen. "Mum. Bleibst du noch ein bisschen bei mir?" Sie lächelt sanft. "Natürlich."

Sie kniet sich neben mich und legt mir ihren Arm über die Schulter. Ich lehne mich bei ihr an mit meinen Kopf auf ihrer Schulter. So sehen wir auf die Wasseroberfläche, auf der sich mittlerweile die Sterne spiegeln. Plötzlich beginnt sie ein wenig zu zittern. "Lass uns rein gehen. Das Meer läuft uns ja nicht weg." Sie lacht kurz und hilft mir dann beim Aufstehen.

Am nächsten Morgen bin ich wach geworden, weil es richtig lecker duftet. Schnell habe ich mich angezogen und gehe der Quelle des Geruches nach. Es stellt sich heraus, dass Dad und Takeru am Herd stehen. "Guten Morgen!" begrüße ich die beiden. "Ach, guten Morgen Kazu. Frühstück ist gleich fertig. Gehst du die anderen wecken?"

Gesagt, getan. Kurz danach sitzen wir am Tisch und tauschen angeregt die Pläne des Tages aus. Mum und Dad wollen mit Naru-san in die Stadt. "Ihr könntet doch am Strand Ball spielen oder schwimmen gehen!" schlägt Dad vor. "Aber ich kann gar nicht schwimmen!" meldet sich Kiri dazwischen. "Dann lernst du das jetzt. Ich bringe es dir bei." bietet Takeru an.

"Das ist eine gute Idee. Ich vertraue darauf, dass ihr alle nicht zu weit raus geht. Ihr seid schließlich alt genug. Aber dennoch hat Takeru das Sagen. Ich gebe dir die Verantwortung für Kiri." Naru-san schaut Takeru streng an. "Kein Problem. Am Ende des Tages wird er besser schwimmen als wir alle!" sagt Takeru lächelnd.

Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von unseren Eltern. Als diese außer Sichtweite sind, greift mich Sachiko am Arm. "Fünf Minuten Mädchengespräch!" raunt sie mir ins Ohr und zieht mich sogleich Richtung Zimmer. "Wir ziehen uns jetzt um. In 10 MInuten treffen wir uns wieder hier!" ruft sie den Jungs im Vorbeigehen zu.

Sie schiebt mich ins Zimmer und schließt die Tür hinter sich ab. Kurz danach lässt sie sich mit einem Seufzer aufs Bett fallen. "Ich habe das Gefühl, dass du ein Problem hast. Wolltest du darüber reden?" "Gut geschlussfolgert, Sherlock. Wie bist du nur darauf gekommen?" antwortet Sachiko sarkastisch.

Irgendwie ist sie total niedlich, wenn sie sich so benimmt. Ich setze mich zu ihr. "Sachi-chan. Was ist denn los?" Sie starrt weiterhin die Decke an. "Ist dir etwas peinlich? Hat das vielleicht damit zu tun, was wir heute vorhaben?" Erschrocken schaut sie mich an. "Okay... Woher weißt du das?" Volltreffer!

"Ich hatte da so eine Ahnung. Man könnte es als Bauchgefühl oder Instinkt bezeichnen." Sachiko nickt vorsichtig. "Ja, es ist mir peinlich. Ich hatte Takeru-san erzählt, dass ich schwimmen kann. Weil er davon so geschwärmt hatte und mit mir unbedingt mal wohin wollte, aber ich brachte es nicht zustande, ihm die Wahrheit zu sagen!"

"Aber das muss dir doch nicht peinlich sein!" Ich umarme sie tröstend. "Echt nicht?" "Nein. Du erklärst ihm die Situation und er wird sicher nicht sauer sein. Ich denke, dass er darüber lachen kann und euch beiden dann Schwimmen beibringt." "Meinst du?" "Na klar. Er ist mein Bruder. Ich kenne ihn besser, als jeden anderen Menschen!"

Jetzt lachen wir beide. "Na dann ziehe ich mir mal meine Badesachen an. Schließlich warten die Jungs bestimmt schon ungeduldig auf uns." Sachiko zeigt sich wieder so fröhlich wie eh und je. Die Badesachen sind zwar schnell angezogen, allerdings benögtigen wir für unsere Haare mehr Zeit.

Sachiko's Haare sind nämlich total verknotet, was uns beiden viel abverlangt. Schlussendlich haben wir es hin bekommen. Sie hat zwei seitliche Zöpfe, die heute ausnahmsweise nicht geflochten sind. Meine Haare fangen links und rechts geflochen an und werden zusammen geführt. Eines von Sachiko's Meisterwerken, wie sie es nennt.

Unten entschuldigen wir uns bei den Jungs. "Es hat etwas länger gedauert. Haare halt!" sagt Sachiko und führt ihnen unsere Frisuren vor. "Gut, dann können wir je jetzt endlich ans Wasser. KIri wird schon ganz ungeduldig." antwortet Takeru völlig unbeeindruckt. Ich verdrehe die Augen. So sind Jungs nun mal.

Am Strand angekommen, cremt sich jeder ein, bevor die Jungs sich ins Wasser stürzen und gegenseitig nass machen. "Die Beiden verstehen sich ziemlich gut." bemerke ich. "Ja, das hätte ich nicht gedacht. Schließlich sind sie ziemlich verschieden. Allein das Alter." Ich nicke zur Bestätigung.

Takeru wird nächsten Monat 18, während Kiri 13 geworden ist. Letzterer kommt zwar gerade in die Pubertät, aber ist dennoch recht klein. Ein echt amüsanter Anblick wie die beiden miteinander raufen. Auf einmal flammt ein Bild vor meinen Augen auf. Ein Mann, der wie Takeru aussieht und Mum, wie sie das Gleiche machen. Was hat das zu bedeuten? Und warum sehe ich sowas?




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