Evelyn

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Wenn man Evelyn, oder auch „Eve" als normales Mädchen bezeichnen wollte, so wie es oft getan wird, wenn man jemandes Geschichte erzählt, blieb man an ihrem Erscheinungsbild und ihrer inneren Einstellung, die für ihre Altersklasse eher untypisch waren, hängen.

Ihre Altersgenossinnen zogen es vor, sich schillernd bunt zu schmücken, nach der neuesten Mode zu kleiden und Unmengen von Geld in Kosmetikartikel zu investieren, die ihre Jugend erhalten sollten. Natürlich alles Bio und ohne Tierversuche.

Nun, Werbung konnte schon recht überzeugend sein, auch bei den unter 20 Jährigen. Ein Hoch auf die konsumgesteuerte, aktuelle Gesellschaft.

Wenn man seinen Blick auf sie schwenkte, stach sie sofort aus der Menge heraus.

Ihre Haare waren schwarz gefärbt, sie schminkte sich zwar auch, aber beschränkte sich dabei auf eine dunkle Untermalung ihrer Augen. Morgens im Bad sparte das Zeit, da sie nicht mit verschiedenen bunt glitzernden Püderchen herumhantieren musste, die ihr im Endeffekt die Augen verklebten und gemeingefährlich teuer waren.

Ein weiterer Vorteil daraus: Mehr Schlafenszeit.

Sie trug keine Miniröcke oder Stiefel, die bis zu den Knien gingen und Absätze, die einen laufen ließen wie ein Storch.

Converse und Jeans waren ihr am liebsten. Manchmal ein Nietenhalsband oder Armband. Sie trug T-Shirts mit aufgedruckten Sprüchen und Kapuzenpullis, überwiegend schwarz. Auf einem Pulli hatte sie sich eine tanzende Voodoo Puppe gestickt, ihr Lieblingsmotiv.

Was ihr Gefühl und ihre Selbsteinschätzung aber anbelangte, war sie ein ganz normales Mädchen auf der letzten Stufe vor dem „Erwachsenwerden", so wie die Schulpsychologin es immer freundlich ausdrückte.

Wie jedes Mädchen in ihrem Alter saß sie also in der Klasse, unterdrückte ein Gähnen und versuchte dem Drang zu widerstehen, ihren Kopf zu einem kleinen Nickerchen auf die Tischplatte zu betten.

Der Unterricht war, wie konnte es auch anders sein, langweilig. Sie hatte es irgendwie durch die ersten fünf Stunden geschafft, doch jetzt sah sie jede Minute zur Uhr und fragte sich, warum die Zeit nicht schneller verging, kickte kleine Papierkügelchen durch die Gegend und hörte mit halbem Ohr zu.

Vorne an der Tafel stand der Lehrer und erklärte ihnen hoffnungsvoll die Wunder der Integralrechnung.

Eigentlich sollte sie wirklich aufpassen. Allerdings kam sie leider nicht mehr mit, weil ihr Hirn sich bereits vor einer halben Stunde abgemeldet hatte und in den Feierabend spaziert war. Mathe halt.

Ihr Blick wanderte durch die Klasse.

Svenja und ihre Tussen-Clique schminkten sich hinter ihren aufgestellten Ordnern und schrieben sich kichernd WhatsApp Nachrichten, obwohl sie doch nebeneinander saßen. Ein Phänomen, welches die Zettelchen ablöste, die man zur schweigenden Kommunikation aus den Schulheften riss. Wenigstens mussten nun keine Bäume mehr für Klatschereien sterben.

Moritz, von allen Moe genannt, kippelte mit dem Stuhl herum und kam das ein oder andere mal tatsächlich bedrohlich nahe an den Punkt des Kontrollverlustes über den Stuhl und eine mögliche, darauffolgende Gehirnerschütterung. Schade, sie hätte gerne gesehen, wie er sich hinlegt.

Sandra, ihre beste Freundin, schrieb aufmerksam mit, was Herr Schmidt blubberte. Sie hoffte inständig, dass sie diese Notizen später abschreiben konnte.

Langsam wanderte ihr Blick wieder nach vorne und sie beobachtete entsetzt, wie der Klassenstreber Jonas popelte. Schnell wandte sie ihren Blick ab und sah zu Marc.

Marc, der Klassenschwarm.

Marc, das Sportass.

Marc, der zu allen freundlich war, abgesehen von ihr.

Die (furchtlosen) VampirjägerWhere stories live. Discover now