Tapas, Hypnose und ein Bleistift

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Bestimmt würde Eve, wenn sie einmal alt war, eine Oma werden, die dauernd am Fenster herum klebte und beobachtete, was in der Straße passierte - oder auch nicht passierte. So zumindest kam sie sich vor, als sie mit einem Fernglas auf ihrem Fensterbrett saß, Chips aß und Eistee trank. Bluna hatte es sich, nachdem sie Eve's leer gefutterten Chinamannschalen gründlich aus geschleckt hatte, auf ihrem Schoß bequem gemacht und döste schnurrend vor sich hin.

Den ganzen Nachmittag hatten sie beide dort gesessen und das Nachbarhaus beobachtet, beziehungsweise geschlafen. Die Hausaufgaben und Sandras liebevoll mitgeschriebenen Unterlagen verweilten immer noch unberührt und unbesehen in ihrer Schultasche.

Gegen 16 Uhr waren die Möbelpacker fertig, dann war eine Weile lang nichts geschehen.

Schließlich beobachtete sie, wie jemand von Raum zu Raum ging und dicke Vorhänge aufhing.

19:15 Uhr, als es schon dunkel geworden ist, verließ ein Mann mit schwarzen Haaren, Hut, Sonnenbrille und einem schweren, schwarzen Ledermantel das Haus und kam zehn Minuten später mit einer Schnapsflasche und Zigaretten zurück. Er sah schon mal nicht aus, wie der Typ von Silvester, also waren mindestens zwei Personen dort eingezogen.

Inzwischen waren alle Fenster zu gehangen.

In ihren Augen ein höchst verdächtiges Verhalten.

Immerhin war es doch schon fast Nacht, warum also die verhangenen Fenster? Wieso die Sonnenbrille? Und wozu dieser große Hut oder der hochgeschlagene Kragen des Mantels?

Alles Indizien, die ihre schreckliche Theorie nur bestätigten – Vampire! Ja richtig. Vampire.

Sie fischte sich eine Hand voll Chips aus der Tüte und stopfte sie sich - das Nachbarhaus nicht aus den Augen lassend - in den Mund.

Ob sie sich in der Nacht mit einigen Pflöcken und Knoblauch bewaffnet hinüber schleichen und die Lage sondieren sollte? Sie verzog den Mund und schüttelte den Kopf.

Nein, auf die Idee kamen auch immer die Protagonisten aus Horrorfilmen. Kurz darauf waren dann die Gruppen auf eine oder zwei Personen reduziert, und meist noch nicht klar, ob die restlichen zwei auch überleben würden.

Ihre Überlebenschancen, wenn sie sich zu einer solchen Aktion aufraffen würde, waren also sehr gering. Zumal sie nur eine einzelne Person war - in solchen Fällen sind die Überlebenschancen stets gleich Null. In Betracht ziehen sollte man allerdings auch die Tatsache, dass in Horrorfilmen die Leute, die alleine in solche Häuser oder Situationen kamen, nur Nebencharaktere waren und sie sterben mussten, um zu zeigen, wie ernst die Lage ist. Aber herausfinden, welche Rolle sie in dieser Geschichte spielte, wollte sie nun wirklich nicht. Zumindest nicht auf diese Weise.

Inzwischen konnte sie das Kribbeln ihrer eingeschlafenen Beine nicht mehr ignorieren, hob Bluna von ihrem Schoß und trat vorsichtig mit wabbeligen Beinen von der Fensterbank hinunter.

Nachdem sie einige Minuten im Zimmer umher gehumpelt war, um das unangenehme Kribbeln und Stechen in ihren Beinen loszuwerden, hüpfte sie wieder auf die Fensterbank und nahm erneut ihren Observationsposten auf.

Nach einigen weiteren ereignislosen Minuten klopfte jemand an ihre Zimmertür. Erschrocken drehte sie sich um und ließ dabei ihr Fernglas fallen.

Bluna, die ihren Schlafplatz wieder eingenommen hatte, hüpfte nörgelnd von ihren Beinen runter.

„Ja?", fragte sie laut und schob mit Schwung das Fernglas mit dem Fuß unters Bett. Sie atmete erleichtert aus als sie sah, dass es Sandra war, die die Tür öffnete.

„So willst du mit mir ausgehen?", fragte ihre beste Freundin entsetzt und stemmte ihre Hände in die Hüften.

Eve hatte immer noch die Kleidung an, die sie zur Schule getragen hatte. Eine zerschlissene Jeans und ihren Lieblingskapuzenpulli mit der tanzenden Voodoo Puppe darauf. Ihre Socken hatten auch schon bessere Tage gesehen.

Die (furchtlosen) VampirjägerWhere stories live. Discover now