Ihre blasse Hand lag in einer roten Pfütze und ihr grau-braunen Haare waren in Blut getränkt. Der Marmorboden war mit der schrecklichen Farbe gesprenkelt und der Geruch des Todes hing in der Luft. Neben ihr lag ihr Gatte. Sein olivfarbener Anzug hatte sich ebenfalls rot gefärbt und das Grauen erfüllte seine kalten, blauen Augen. Voller Entsetzen packte das junge Mädchen die Hand ihres Bruders und rannte. Ihre Schritte auf dem kalten Marmor hallten durch das Anwesen und das Schluchzen tat es ihnen gleich. Wie konnte so etwas schreckliches nur passieren? Die große Tür flog auf und sie und ihr kleiner Bruder stürmten ins Freie. Der starke Regen durchnässte ihre Kleidung schnell, aber sie blieben nicht stehen. Die Lederschuhe klatschten auf die nasse Erde und das Wasser spritzte in alle Richtungen. Sie verließen das Grundstück und rannten unter dem Torbogen hindurch und auf die Straße. Erneut trat sie in eine Pfütze. Dieses Mal hallte es aber in der plötzlichen Stille wieder. Es war als wäre die Zeit stehen geblieben. Dunkelheit umgab die junge, in weiß gekleidete Lady und legte sich um sie wie eine Kette. Ihre emotionslosen Augen starrten geradeaus in die Leere und ein leichter Wind setzte ihr Kleid in Bewegung. Auf einmal legte sich eine schwarze Hand um ihren Knöchel. Sie schreckte auf und sah nach unten, die Angst im Gesicht. Eine Weitere Hand packte sie von der Seite und zog sie an ihrem Arm nach unten. Immer mehr Hände griffen nach ihr und versuchten, sie in die Dunkelheit zu ziehen. Der Boden unter ihr war wie ein See, in dem sie langsam versank, von den Händen nach unten gezogen. Es war kalt. So furchtbar kalt. Eine Hand legte sich um ihren Hals und schnitt ihr die Luft ab. Sie versuchte ihre Hand auszustrecken und um Hilfe zu schreien, allerdings vergebens. Schließlich verschluckte sie die Dunkelheit. Als befände sie sich im absoluten Nichts. Das weiße Kleid hatte sein Leuchten verloren und die Spitzen des Stoffen begannen sich zu verfärben. Und zwar in dasselbe schreckliche Rot, in das die Leichen ihrer Eltern getaucht wurden.
,,Milady!"
Schweißgebadet schoss sie in die Höhe. ,,Milady! Seid ihr wohlauf? Mir war als hättet ihr einen Albtraum gehabt...". Sie sah zur Seite und erblickte die besorgte Miene ihrer Treuen Zofe Abigail. Ihre ozeanblauen Augen waren von Sorge erfüllt und sie hielt ein nasses Tuch in den Händen. ,,J-Ja Abigail. Mir geht es gut..." antwortete sie und hielt sich den Kopf. ,,Wenn ihr mir die Frage erlaubt, habt ihr schon wieder von damals geträumt?" fragte Abigail. Sie nickte. Sie strich sich ihre braunen Haare aus dem Gesicht und verweilte mit ihrer Hand im Haar. Ihre Zofe reichte ihr das Tuch und Sie tupfte sich die schwitzige Stirn ab. ,,...Lady Jenna?". Sie sah auf. Abigail wirkte extrem besorgt. ,,Was ist es Abby? Hatte ich dir nicht gesagt, dass du mich nicht formell anreden musst, wenn wir unter uns sind?" Sagte Jenna. Ihre Zofe seufzte. ,,Du solltest versuchen, wieder in die Welt zurückzukehren. Wieder ins Leben zu treten. Du kannst dich und Finnigan nicht ewig hinter den Türen dieses Hauses verstecken." sagte sie schließlich. Ein bisschen überrascht sah Jenna Abigail an. Ihre Zofe und beste Freundin sah auf ihre Füße herab und wirkte sehr bedrückt. Die junge Lady legte ihr eine Hand auf die Schulter. ,,Abigail...du weißt weshalb Finnigan und ich dieses Anwesen nicht verlassen. Wir verstecken uns - ja, das ist richtig. Aber nur, weil die Mörder unserer Eltern noch da draußen sind. Wenn Sie uns finden würden, dann würden sie uns um jeden Preis umbringen, denn wir wissen was sie getan haben." erklärte Jenna. Ihre Zofe sah sie an. Man konnte sehen, dass sie Angst hatte. Angst um ihre Herrin. Das was Lady Jenna und ihr junger Bruder damals erleben mussten, das wünschte sie keinem. Nicht einmal den ärgsten Feinden der Familie Castarell.
,,Guten Morgen Schwester! Habt ihr gut geschlafen?". Mit großen grünen Augen sah der junge Finnigan seine ältere Schwester an. Er lächelte Breit und tänzelte um Jenna's Bett herum, seine hellbraunen Haare auf und ab hüpfend. Jenna setzte sich auf und rieb sich die Augen. ,,Finnigan sei doch nicht so laut..." murmelte sie. ,,Entschuldige, Jenna. Aber ich bin so aufgeregt!" sagte ihr Bruder, der kaum älter als 13 war. ,,Aufgeregt? Gibt es denn dazu einen Anlass?" fragte Jenna verwundert. ,,Aber ja doch! Hast du denn vergessen, welcher Tag heute ist?". Finnigan grinste unaufhörlich. Jenna sah ihn verwirrt an. ,,Heute ist Mallory's Geburtstag!!" verkündete ihr Bruder und die Miene seiner Schwester verzog sich. War es denn wirklich schon wieder soweit? Sie stöhnte genervt und stand auf. Mallory Tenace. Ihr war ihr Bruder versprochen worden. Er sollte sie eines Tages heiraten. Das war vor der Tragödie. Jenna war bewusst, dass sich dieses Versprechen schon längst aufgelöst hatte. Trotzdem benahm Finnigan sich, als wären sie niemals von der Bildfläche verschwunden. Als würde Mallory wissen, dass er noch lebt. Aber das tat sie nicht. Sie war wahrscheinlich schon längst einem anderen jungen Lord Versprochen worden. ,,Wir müssen sie dieses Jahr kontaktieren! Wir haben es die letzten Jahre nicht getan und ich will es endlich tun!" sagte Finnigan und hüpfte auf und ab. ,,Hör auf zu hüpfen, das macht mit ganz nervös." knurrte Jenna. Ihr Bruder stoppte und sah sie ein bisschen ängstlich an. Jenna sah aus dem Fenster mit einer gestressten Miene. Dann seufzte sie und drehte sich zu Finnigan um. ,,Deine Schleife hat sich gelöst..." murmelte sie und kniete sich hin. Sie schnürte das schwarze Band schnell zu einer neuen Schleife und strich das Hemd ihres kleinen Bruders glatt. Ihre Miene wurde weicher. ,,Tut mir leid Finnigan...ich bin nur-" ,- Du hast wieder von damals geträumt oder?". Jenna sah ihn verwundert an. ,,Woher-" ,,- Du hast bisher immer so geguckt wenn du davon geträumt hast... Mittlerweile kann ich das zuordnen. Aber du darfst nicht zulassen, dass dich das kaputt macht, hörst du? Du musst erhobenen Hauptes voran marschieren und lächeln und die Vergangenheit, Vergangenheit sein lassen!" sagte Finnigan in einem gespielt mächtigen Ton. Jenna kicherte. ,,Von wem hast du das denn?" fragte sie. ,,Von Charles! Er sagt, dass die ganz großen und berühmten Leute das auch machen! Und oft sind sie gerade dadurch auch so stark geworden!" erklärte ihr Bruder und streckte seinen Arm mit geschlossener Faust in die Luft. Jenna lachte und nahm ihn auf den Arm. ,,Ich bin doch schon sehr stark. Schließlich kann ich dich hochheben!" sagte sie. Finnigan grinste, bis er kapierte, was seine Schwester damit eigentlich ausdrücken wollte. ,,Du bist so doof Jenna!" meckerte er und versuchte von ihr weg zu kommen, aber sie behielt ihn mit stählernem Griff auf ihrem Arm und lief gemütlich in Richtung Speisesaal. Gerade durchquerten sie den Gang dorthin, als auf einmal ein Servier-Wagen die Ecke schoss. Jenna konnte sich und Finnigan noch gerade so an die Wand pressen, bevor der Wagen an ihnen vorbei schoss. Kurz darauf kamen auch die dafür Verantwortlichen hinterher; Emmet Mayver und Rosie Beaker - die Köche des Hauses. ,,Milady! Äh...wir äh...." Rosie suchte die passenden Worte, doch sie wurde von einem andren unterbrochen. ,,Rosie! Emmet!". Mit wütender Miene kam er um die Ecke und starrte die beiden Bediensteten an. ,,Lauf Rosie!" brüllte Emmet und die beiden ergriffen Hals über Kopf die Flucht. Jenna kicherte und Finnigan musste sein Lachen unterdrücken. ,,Lady Jenna, ich bitte um Verzeihung wegen dieses unangenehmen Zwischenfalls.". Der Mann in dem schwarzen Wrack verbeugte sich demütig und seine schwarzen Haare verdeckten sein Gesicht. ,,Es ist in Ordnung, Charles. Das ist bei weitem nicht das schlimmste, was es in diesem Haus gibt." sagte Jenna und setzte Finnigan endlich ab. Dieser rannte in die Richtung, in die auch Rosie und Emmet geflüchtet waren. Wahrscheinlich wollte er wieder irgendeinen Unsinn mit den beiden anstellen. ,,Sagt Milady, ist heute nicht der Geburtstag der jungen Lady Tenace?" fragte Charles. Jenna seufzte. Natürlich musste er sie darauf ansprechen. Als Butler des Hauses war es seine Pflicht, über solche Dinge informiert zu sein und auch seine Lady darüber in Kenntnis zu setzen oder bei Gelegenheit zu erinnern. ,,Ja ist er." sagte sie trocken. ,,Was gedenkt ihr zu tun?" fragte ihr Butler. Ein kurze Weile herrschte Stille. Jenna dachte über die Worte ihrer Zofe und ihres Bruders nach. Dann drehte sie sich zu Charles um. ,,Das werde ich nach dem Frühstück beschließen." sagte sie mit einem leichten Lächeln. ,,Wie ihr wünscht Milady." sagte er und geleitete seine Lady zu Tisch.
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Victorians
ParanormalLondon 1845. Die Familie Castarells ist sehr bekannt; Ein großartiger Erfinder, eine erfolgreiche Astronomin und ihre zwei Kinder. Allerdings legt sich der Schatten der Verdammnis wie ein Schleier über die Familiengeschichte der Castarells und sorgt...