Kapitel 5: Das Anliegen

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Manchmal konnte London wirklich abstoßend sein. Aber das störte Lady Catherine Rose herzlich wenig. Ihr Bruder Oliver saß ihr in der Kutsche gegenüber und sah ernsten Blickes aus dem Fenster. Er ließ seine Augen über die Häuser gleiten und musterte die Menschen, deren Gesichter langsam am Wagen vorbei gingen. ,,Oliver, mein Lieber. Wieso dieses verdrießliche Gesicht? Stimmt denn etwas nicht?" fragte sie mit einem ihres abgehobenen Lächelns. ,,Tch." war das einzige, was sie als Antwort bekam. Catherine verzog ihr Gesicht. ,,Na, na. So antwortet man doch nicht auf eine höflich gestellte Frage, oder?" sagte sie dann ein wenig arrogant. Kurz war es noch still, dann seufzte ihr Bruder. ,,Diese Stadt ist so verseucht... jeder vierte. ist hier bestimmt eins von diesen Monstern. Ich meine, wie viele haben wir schon getroffen? Sechs? Sieben? Acht?" fragte er genervt und angeekelt. Catherine lachte. Es war dieses typische, alte Lady Lachen. Dieses ,,Ohoho!"- Lachen. Es war fast schon ein Erkennungszeichen für die Lady mit den schneeweißen Haaren. Früher hatte man angenommen, dass sie ein Mensch mit paranormalen Fähigkeiten war, aber es ergab sich dann, dass es wohl nur ein genetischer Defekt war, der ihr Haar, ihre Augenbrauen und auch komischerweise ihre Wimpern weiß färbte. Dadurch stachen die grünen Augen erst recht aus dem blassen Gesicht der Lady des Rosen Clans heraus. Oliver war eigentlich genau das Gegenteil; er hatte braunes Haar, braune Augen und einen leicht gebräunten Hautton. Die einzige genetische Ähnlichkeit der Beiden war, das keines der Geschwister mit Paranormalen Fähigkeiten geboren worden war. ,,Ach Oliver. Das ist doch kein Grund direkt solche Vermutungen aufzustellen. Es waren Neun von ihnen bisher und natürlich ist das viel im Vergleich, aber London ist eine sehr große Stadt mit fast der vierfachen Anzahl an Bürgern als unsere geliebte Heimatstadt." sagte Catherine und sah ihn mit einem leichten Grinsen an. Erneut seufzte ihr Bruder. ,,Das ist mir durchaus bewusst. Es ist ja nicht so als könne einem dies entgehen. Man kann das ja aber auch nicht vergleichen." sagte er, wobei er den letzten Satz eher zu sich selbst sagte. Catherine sah nun auch aus dem Fenster. ,,Was meinst du, werden wir hier ebenfalls Menschen begegnen, die unsere Ansicht teilen?" fragte sie dann. Oliver brummte. ,,Höchstwahrscheinlich. Hier leben immerhin sehr viele Menschen, da ist das gut möglich. Weshalb fragst du?" fragte er zurück. ,,Nun... vielleicht schaffen wir es, einen Großteil zu einem Akt anzuregen, der diesen paranormalen Biestern schadet?" sagte Catherine und legte ein süffisantes Grinsen auf. Oliver lachte. ,,Ja, wieso denn nicht?" fragte er mit einem gruseligem Lachen und kalten Augen, die jeden Feind erzittern ließen. Die Bösartigkeit der Beiden war erschreckend. Doch so waren sie nunmal - die letzten beiden Kinder des Rosen-Clans.

Jenna sah sich um. Es waren so viele Menschen in dieser Stadt. Und so viele, die so waren wie sie. Das war eigentlich selbstverständlich, da die ganze Stadt, Nein das ganze Land mit Paranormalen gespickt war. Sie konnte sich gut vorstellen, dass es sogar ein ganzes Dorf voller Menschen mit diesen Kräften gab, in dem nicht ein einziger normaler Mensch lebte. Sie lächelte. Aber sicherlich wäre es dort auch gefährlich. Für die Menschen die dort leben natürlich, da die, die jene Leute verabscheuen, das Dorf sicherlich irgendwann finden würden. Der Gedanke ließ ihr Lächeln verblassen. Sie wollte gar nicht daran denken, wie groß der Hass der Menschen auf die Paranormalen war und zu was dieser Hass sie treiben könnte. Ihr wurde ein wenig kalt, weil sie an die Reihe von Fällen denken musste, bei denen mehrere Menschen mit paranormalen Fähigkeiten starben. Jenna war so in ihren Gedanken versunken, sodass sie nicht die bemerkte, wie sie beinahe auf die stark befahrene Straße lief. Ein starker Arm allerdings packte sie und zog sie zurück. Sie hätte beinahe geschrien, aber als sie sich umdrehte, beruhigte sie sich. Sie hatte ihn sofort erkannt; den Mann, dessen Gesicht immer öfter auf der Titelseite der Zeitung war. ,,Vorsicht. Wir wollen doch nicht dass ihnen etwas passiert, oder?" sagte er mit einem leichten Lächeln. ,,Alexander Conner. Gut dass ich sie treffe. Ich wollte ohnehin zu ihnen." sagte Jenna mit unverändertem Ton. ,,Ach ist dem so?" fragte Conner und grinste. ,,Dann lassen sie uns doch am besten in mein Büro gehen. Es sei denn sie möchten ihr Anliegen direkt hier preisgeben?" sagte er und Jenna rollte die Augen. Conner richtete seinen Hut und wies ihr als Gentleman den Weg, obwohl Jenna diesen schon so gut kannte sie ihre Rocktasche. Es dauerte daher nicht lange, bis sie das Polizeipräsidium durch die große hölzerne Pforte betraten. Sie gingen die Treppe hinauf und liefen den Gang entlang, wobei ihnen einige Polizisten entgegenkamen. Sie kamen auch am Büro des Polizeipräsidenten vorbei. Erneut war lautes, wütendes Geschrei daraus zu hören, worauf ein Knall folgte, bei dem das goldene Türschild mit der Aufschrift ,,Michael Thamson" ordentlich verrutschte. Wahrscheinlich faltete er gerade wieder Officer Stronghold zusammen. Conner kicherte nur und schüttelte den Kopf. ,,Ein sehr impulsiver Chef nehme ich an?" fragte Jenna ohne eine Miene zu machen. ,,Ja, in der Tat." antwortete der Inspektor und blieb stehen um eine weitere hölzerne Tür zu öffnen, auf der das Schild mit seinem Namen hing. ,,Aber er ist ein guter Mann." fügte er mit einem leichten Lächeln hinzu. Jenna verzog immer noch kein Gesicht. Es war schließlich eine ernsthafte Situation. Conner bat die ins Büro zu treten und sich zu setzen, damit sie ihm ihr Anliegen nennen konnte. ,,Also, womit kann ich ihnen behilflich sein?" fragte er und nahm ebenfalls Platz, allerdings auf der anderen Seite des Tisches. ,,Ich bin hier auf Anweisung der Königin und auch auf eigenes Anliegen." sagte Jenna und Conners fröhliche Miene wurde ernst. Er legte sich zurück und stützte seine Arme auf die Armlehnen seines Stuhl, die Hände vor dem Gesicht zusammengeschlagen. ,,Verstehe..." murmelte er. Ging es um den Serienmörder? Machte nun auch die Königin Druck? War es etwa noch viel schlimmer als er gedacht hatte? ,,Wie war noch gleich ihr Name?" fragte er dann Jenna und lehnte sich wieder vor, Griff nach der Schublade zu seiner linken und holte einen Notizblock hervor. ,,Jenna Edisburgh." antwortete Jenna fälschlicherweise. Warum? Da man ja annahm, dass die Castarells alle tot waren und der Mörder womöglich noch frei war, wäre es wohl nicht so gut, wenn herauskäme, dass eine gewisse Jenna Castarell existiert. Selbst bei der Polizei leugnete sie ihren Namen. Um die Sicherheit ihrer noch verbleibenden Familie zu wahren. ,,Nun denn, Miss Edisburgh. Was ist ihr Anliegen?" fragte Conner und sah sie an. Jenna stand auf. ,,Ich bin hier, weil ich euch helfen werde, die Verbrecher zu fangen, die sich paranormale Fähigkeiten zu Nutze machen, um Böses zu tun. Und bevor ihr fragt, ich komme sehr gut mit Blut und Tod zurecht." erklärte sie und Conner erstarrte mit erstauntem Blick. Die Königin musste wohl großes Vertrauen in diese Frau setzen, wenn sie sie hierher schickte. ,,Das ist allerdings nur mein persönliches Anliegen. Das der Königin ist... sagen wir mal, speziell." sagte die Frau mit den braunen Haaren und dem grau-blauem Kleid. ,,Hm?". Conner hob eine Augenbraue. ,,Speziell"? Was sollte das denn heißen... ,,Die Königin möchte Menschen mit paranormalen Fähigkeiten der Stadt näher bringen, damit man sie als normalen Teil der Bevölkerung annimmt. Um dies zu tun, braucht sie eine sichere Stadt und natürlich ein Vorzeige Exemplar." sagte Jenna und sah Conner ernst an. Diesem wurde mit einem Mal kalt. Wusste die Königin etwa... ,,Ich möchte, dass sie mir helfen, einen geeigneten Kandidaten zu finden." sagte die Lady und Conner atmete erleichtert aus. Wohl etwas zu erleichtert, denn Jenna sah ihn verwundert und ein wenig skeptisch an. ,,Wie dem auch sei... glauben sie sie können mir helfen?" fragte sie dann und erlöste den Inspektor aus der peinlichen Situation. ,,Das glaube ich schon. Aber ich kann mir vorstellen, dass das sehr schwierig wird." sagte Alexander und klopfte mit der Stiftspitze leise auf dem Tisch. ,,Dem kann ich nur zustimmen. Aber ich möchte trotzdem darum bitten, ein spezielles Team aufzustellen." sagte die Lady und Conner stutzte. ,,Warum das denn? Wir haben hier genug gute Polizisten." sagte er. ,,Nun.... normale Polizisten könnten uns die Quere kommen und sonstiges versuchen. Das Team sollte aus Leuten bestehen, die über Fähigkeit sowie Wissen verfügen und unser Vertrauen haben." sagte Jenna. ,,Ich bin mir sicher dass sie auch schon einige Ideen haben." fügte sie hinzu. Conner sah nachdenklich auf die Tischplatte. Er hatte definitiv Ideen. Marie und Peter sollten definitiv dabei sein, wenn sie so eine gewagte Aktion machten. Vielleicht war es auch gut, Stronghold mit ins Boot zu holen. Er war zwar ein etwas... schüchterner Geselle, aber er kannte sich sehr gut aus und kam mit allerlei Leuten zurecht. ,,Sie können ihre Gedanken ruhig mit mir teilen. Das würde die Zusammenarbeit sehr viel einfacher machen." sagte Jenna und Conner lehnte sich zurück. ,,Ich habe in der Tat einige Ideen. Was ist mit ihnen?" fragte er. ,,Ich habe ebenfalls einige, aber sie sind nicht gerade.... gesichert." sagte Jenna. ,,Gesichert? Was meinen sie damit?" fragte der Inspektor. ,,Ich bin nicht sicher ob sie die Richtigen sind. Es sind spontane Ideen." gab die Lady nach kurzem Schweigen zu. ,,Also müssen sie noch klären ob diese Personen geeignet sind. Verständlich. Mir geht es aber genauso." sagte Alexander und stand auf. ,,Dann lassen sie uns jetzt gemeinsam das Team zusammenstellen. Meine Kandidaten sind zum Großteil hier." sagte er dann und deutete zur Tür. Jenna nickte. ,,Gut. Um meine Personen zu fragen müssten wir so oder so ein bisschen weiter reisen. Es wäre also wirklich gut, wenn wir ihre Seite eventuell schon hätten." sagte sie und stand auf. Der Inspektor tat es ihr gleich. ,,Weiter reisen? Ich bin eigentlich kein großer Liebhaber von langen Reisen... aber gut. Wenn es das Anliegen der Königin ist..." lachte er trocken. Jenna hob eine Augenbraue. ,,Die Ersten auf meiner Liste befinden sich noch im Gebäude, aber nicht mehr lange. Randall und Walther machen gleich Feierabend und Stronghold fliegt wahrscheinlich irgendwo im Archiv herum." sagte Conner und verließ das Büro, gefolgt von seiner weiblichen Begleitung. Er lief mit erhöhtem Tempo den Gang hinunter und gelangte schließlich zum Büro seiner beiden Kollegen. Er wollte gerade die Tür öffnen, als Jenna ihn am Arm packte und von der Tür wegriss. Conner wollte protestieren, da wurde die  Holztür mit Ächzen und Splittern aus ihrem Rahmen geschleudert und flog knapp an dem kreidebleichen Inspektor vorbei an die Wand. ,,Verdammtes Miststück! Monster du!" hörte er eine fremde, männliche Stimme aus dem Raum fluchen. Conner riss sich los von der Lady und stürmte ins Büro. Und was er da sah, ließ ihn erstarren.

Lady Catherine verzog das Gesicht als sie aus der Kutsche stieg. Die untergehende Sonne blendete sie, als sie durch die Dächer der vielen Häuser schien. ,,Wie nervig..." knurrte sie. Vor ihr lag das alte Stadthaus des Rosenclans. Es war groß und sehr majestätisch mit dem vielen Gold und den cremefarbenen Außenwänden. Hinter ihr stieg Oliver aus der Kutsche. ,,Sollen wir dann?" fragte er und wies zum großen Tor. Catherine lachte ihr ,,Ohoho"-Lachen und ging voran, während ihr Bruder folgte und langsam den Kopf schüttelte. Das Tor öffnete sich mit quietschenden Angeln und der Butler des Hauses trat hindurch auf die Lady und den Lord zu. ,,Mylord, Milady. Wie schön dass ihr endlich hier seid. Wir alle haben eure Ankunft sehnsüchtigst erwartet." sagte er und verbeugte sich tief. Hinter ihm hatte sich das restliche Personal aufgereiht und tat es ihm gleich. ,,Hach ist das schön. So viel Autorität hat man hier..." wisperte Catherine ihrem Bruder zu. ,,Entladen sie die Kutsche, George. Catherine und ich werden im Speisesaal warten. Wir haben einiges zu besprechen." sagte der Lord und sah ein wenig arrogant auf den Butler nieder. ,,Wie ihr wünscht, Mylord." sagte dieser und deutete den Bediensteten, den Wunsch seines Lords auszuführen. Catherine stand daneben und das fiese Lächeln wollte ihr Gesicht nicht verlassen. Oh ja, sie liebte es Macht auszuüben, andere herumzukommandieren und sie ihren Befehlen zu unterwerfen. Sie war wahrlich ein Teufel. Aber das lag in der Familie. In der Familie, die soviel Leid in ganz England gebracht hatte, bevor man sie fast ganz ausgemerzt hatte.

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