„Ich habe schon so lange nach dir gesucht, da werde ich unsere Zeit jetzt nicht mit solch Förmlichkeiten verschwenden." Ich folgte ihm und seinen Wachen durch den Garten in das Schloss, gespannt darauf was er mir jetzt zu erzählen hatte.
„Liebste Jade...", seufzte er. „Wo fange ich nur an zu erzählen."
Ich schluckte nervös als wir durch den wunderschönen Schlossgarten spazierten. Der gesamte Boden war mit saftig, grüner Wiese bedeckt, überall schoss Wasser aus unterirdischen Quellen und bildete kleine Teiche. Der Holzweg auf dem wir gingen führte in geschwungenen Wegen durch den ganzen Garten und verlief bis zu einem kleinen Schlosseingang.
„Das was du vermutlich als erstes erfahren sollst ist, dass deine Mutter von hier stammt. Ich kannte sie mein ganzes Leben lang, sie war immer eine treue Freundin der Königsfamilie und eine meiner längsten und engsten Freunde selbst."
Mein Kopf schoss in die Höhe und ich sah in entsetzt an. Meine Mutter kam von hier? 1000 Fragen gingen mir durch den Kopf, angefangen dabei, ob sie denn noch am Leben wäre. Als würde er meine Frage ahnen, schüttelte er den Kopf. „Ich weiß es nicht, sie ist damals mit dir in ihren Armen geflüchtet, seitdem hat sie keiner mehr gesehen. Ich habe alles in meiner Macht stehende getan um sie bzw. euch zu finden, vor einem Jahr fand ich das erste Lebenszeichen von dir und es hat mich, wie du siehst, nochmal ein Jahr gekostet um dich sicher hierher zu bringen."
Ich schluckte als ich an meine bisherige Reise hierher dachte. „Warum war es denn so wichtig mich zu finden?"
„Du gehörst hier her Jade, eure Erde, die "neue Welt" wie wir sie nennen, macht dich über kurz oder lang krank und unglücklich. Dein Schicksal wartet hier auf dich."
Unglaubwürdig schüttelte ich den Kopf. „Ich war äußerst zufrieden mit meinem Leben in der neuen Welt!"
Er lachte. „Früher oder später hätte sich das geändert. Beantworte mir nur eine Frage Jade: Wie alt denkst du bin ich?", fragte er mich amüsiert.
Oh nein, solche Fragen konnte ich noch nie gut beantworten. „Ähm...nun ja..." Man sah die ersten grauen Haare auf seinem Kopf und auf seiner Stirn zeichneten sich schon kleine Fältchen ab. „So zwischen 40 und 50?", wog ich vorsichtig ab.
Lachend nickte er. „Ja so sehe ich ungefähr aus, aber wir altern langsamer Jade, ich feiere nächstes Jahr meinen 150. Geburtstag." Mit offenem Mund starrte ich ihn an und stolperte dabei fast über ein unebenes Holzbrett vor mir. Das konnte unmöglich wahr sein.
„Wir sind jetzt in Immemorial Jade, hier laufen viele Dinge anders als in der neuen Welt, aber du wirst begeistert sein! Es gibt die schönsten Plätze hier bei uns, denn merk dir eins: Alles ist möglich! Wasserfälle die bergauf fließen, Sterne die in der Nacht nicht stillstehen, sondern sanft umherwandern, Blumen die nach Belieben Form und Farbe wechseln. Ich könnte noch so vieles aufzählen, aber du sollst all dies selbst entdecken."
In Gedanken versuchte ich mir all jenes vorzustellen, aber mein logisches Denken wollte es nicht wahrhaben. Für mich waren wissenschaftliche Beweise und logische Schlussfolgerungen schon immer ein wichtiger Ansatz um an etwas glauben zu können, und das war hier eindeutig nicht der Fall. Verzweifelt sah ich ihn an und wieder schien es, als wüsste er was ich denke.
„In wenigen Tagen wirst du dich selbst davon überzeugen können." Seine Miene verfinsterte sich und er wurde wieder nachdenklich. „Jedoch ist es auch meine Pflicht dich als dein König über alle Gefahren aufmerksam zu machen."
Traurig strich er über seinen schwarzen 3-Tages-Bart und seufzte. „Bis vor wenigen Jahren war hier alles so wie ich es gerade beschrieben habe: harmonisch, friedlich und wunderschön. Du solltest wissen, dass hier jedes unserer Königreiche verschiedene Aufgaben bewältigen muss um das Universum im Gleichgewicht zu behalten. Ein kleines Beispiel: unser Wasserkönigreich istfür alle Meere, Seen und vor allem für Regen zuständig, die Feuerseite für die Sonne und Wärme." Zögernd nickte ich. „Was hat sich geändert?"
„Vor einigen Jahren starb der damalige König des Feuerreiches unerwartet, wer sein Nachfolger werden sollte, war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht geklärt. Das Feuerkönigreich lebte also kurzzeitig ohne richtigen Herrscher und somit ohne lebenswichtige Entscheidungen, was natürlich fatale Folgen im Universum hatte. Unkontrollierte Hitzewellen, plötzliche Vulkanausbrüche und viele mehr, das ganze Gleichgewicht wurde verschoben."
Sprachlos blieb ich auf der Stelle stehen, egal ob er die Wahrheit sagte oder nicht, dass klang unglaublich. Ein kurzer unbeaufsichtigter Moment hier, und Planeten wie die Erde werden ins Chaos gestürzt. „Wenn das alles wahr ist, warum hat das Chaos dann nicht wieder aufgehört als ein neuer König bestimmt wurde? Es gibt doch wieder einen neuen König oder nicht?"
Traurig sah er mich an und schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ja aber..."
„EURE HOHEIT, EURE HOHEIT!", schreiend kamen mehrere bewaffnete Soldaten angerannt, völlig außer Atem und verschwitzt. Mit ernster Miene entschuldigte er sich kurz bei mir und ging ihnen einige Schritte entgegen. Besorgt musterte ich sie, der letzte drückte sich mit verzweifeltem Gesichtsausdruck ein Stück Stoff an den Oberschenkel und fluchte vor sich hin, die anderen konnten sich ebenfalls gerade so auf den Beinen halten. Der Größte trat mit geneigtem Kopf vor und wisperte dem König einige Worte zu. Neugierig trat ich ein paar Schritte näher, bekam aber sofort warnende Blicke zugeworfen. Schweren Herzens sah er von mir zu den bewaffneten Soldaten. „Wartet einen Augenblick."
„Jade, es gibt einige Komplikationen am Strand, du musst mich vorerst entschuldigen, eine Hausangestellte wird dich auf dein Zimmer bringen. Ich melde mich sobald ich zurück bin." Mit diesen Worten drehte er sich um und marschierte mit den Soldaten schnellen Schrittes durch den Garten zum Schlosstor. Verwirrt und überfordert stand ich einige Sekunden auf dem Holzweg neben einem kleinen Teich und fragte mich, was zum die letzten paar Stunden eigentlich passiert ist.
„Lady Silver?", fragte eine zarte Stimme hinter mir. Erschrocken fuhr als wie von Zauberhand plötzlich eine junge Frau in meinem Alter neben mir stand. Sie trug ein schlichtes, pastellfarbenes Kleid mit blauer Schürze, mit ihren zusammengebundenen blonden Haaren und den großen blauen Augen sah sie jedoch noch ziemlich jung aus. „Bitte folgen Sie mir, im Schloss ist es sicherer für Sie.", zögernd wies sie mir den Weg.
„Was ist passiert?"
Schüchtern sah sie mich an, „Ich darf Ihnen leider nichts sagen Lady Silver."
„Bitte nenn mich Jade.", sagte ich lächelnd. „Weißt du denn nicht was mit den Soldaten passiert ist?"
Unsicher sah sie mich erneut an, "Reden wir am besten im Schloss weiter, bitte folgen Sie mir..."
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Afterglow
FantasyPhantasie ist wie dichter Nebel im Herbst, düster, verwirrend und scheinbar unüberwindbar. Doch erblickt man die ersten Sonnenstrahlen, so folgt bald eine klare, alles überleuchtende Freiheit. * * Als Jade eines Tages in einer ihr völlig unb...