Eins

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Was der König nicht weiß, macht ihn nicht heiß.
Dieser Spruch hat mich meine gesamte Kindheit über begleitet. Davian hat ihn mir immer zugeflüstert, kurz bevor wir ein neues Abenteuer starteten. Seine weiche Stimme und das goldene Funkeln in seinen sonst, braunen Augen konnte mich immer beruhigen. Nur das Davian jetzt nicht da war. Aber sich aus dem Schloss schleichen und den Geschichtsunterricht zu versäumen, war auch nicht annähernd so aufregend wie das, was wir früher taten. Die Aktion heute war eigentlich nur ein trauriger Abklatsch davon. Ein Versuch mir ein Stückchen meiner Kindheit zurück zu stehlen. Damals haben ich und mein Bruder uns aus dem Schloss geschlichen um die Stadt zu erkunden, heute ist alles was im interessiert das Militär und neue Kriegsstrategien.

Also nahm ich die Sache selbst in die Hand. Ich wechselte das unbequeme, viel zu enge Seidenkleid gegen ein schlichtes, aus grobem Leinen, das noch von früheren Zeiten in meinem Kleiderschrank hing und war heilfroh als es passte. Ich hatte es eine Ewigkeit nicht mehr getragen, zuletzt vor drei Jahren, beim Erntedankfest in Loma, zu dem ich und Davian heimlich gingen. Das Fest in der Stadt war weit fröhlicher und lustiger wie das, dass zuhause stattfand.

Das Schloss durch den Lieferanteneingang zu verlassen war ein Kinderspiel gewesen. Im Dienstbotentrakt herrschte immer jähes treiben, ein Mädchen, gekleidet wie eine einfache Magd fiel also nicht weiter auf. Sicherheitshalber versteckte ich mich einmal in einer dunklen Nische, als ein gehetzter Diener an mir vorbei lief, der mich glücklicherweise nicht beachtete. Dieser Zwischenfall war glücklicherweise auch der einzige dieser Art und ehe ich mich versah hatte ich das Schloss durch den Lieferantenausgang verlassen. Zu meiner Enttäuschung blieb das berauschende Hochgefühl, ausgelöst durch Adrenalin, aus. Die Palastmauern zeichneten sich trotzdem verschwommen in der Ferne ab. Ich war immer noch gefangen. Zwar in einem goldenen Käfig, doch Gefängnis bleibt Gefängnis, egal wie schön verpackt.

Auch jetzt, in der Astgabelung einer hohen Buche blieb mir der Anblick nicht erspart. Durch eine Lücke, im sonst so dichten Blätterdach konnte ich sie erkennen. Ebenso wie die Dächer niedriger Hütten, die in einem kleinen Graben errichtet worden sind. Das Klirren von Schwertern und gelegentliches fluchen und Stöhnen von Männern erklang gelegentlich. Sich so nah bei einem Trainingsplatz des Militärs aufzuhalten war zwar gewagt, der Baum auf dem ich befand war jedoch seit je her mein kleines Geheimnis. L. A. J. war in kantigen Buchstaben in den Stamm geritzt worden. Loretta Amalia Juleika. Mein Name, geritzt in diesem Baum, wies in als meinen aus. Selbst Davian, dem ich früher alles erzählt hatte, wusste nichts davon. Er war das perfekte Versteck, niemand würde mich auf einem Baum suchen, wenn überhaupt.

Und so saß ich da, und genoss den schönen Tag. Es war einer der ersten warmen Tage des Jahres. Ich genoss diese Jahreszeit. Frost und Schnee die das Land viel zu lange geplagt hatten, machten Platz für Warme und Sonnenschein und damit neuen Leben. Ich lauschte dem Gezwitscher der, aus dem Süden zurückgekommen, Zugvögel und bestaunte ihre schillernden Gefieder. In Remsa oder Tamar, dem südlichsten Land des Kontinents, haben alle Vögel solch wunderschöne Federn, das stand in einem Biologie Lehrbuch das ich verbotenerweise aus der großen Bibliothek entwendet habe. Den Wahrheitsgehalt des Werkes kann ich nicht bestätigen, immerhin war ich noch nie dort und dass, obwohl die beiden Länder direkt an Kremera angrenzen. Schnell schluckte ich den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hatte. Ein bunter Fleck ließ mein Herz schneller schlagen. Unwillkürlich musste ich lächeln. Auf einem Fleckchen Gras im Sonnenschein hatten sich Tarlblumen niedergelassen. Es waren kleine Blumen, die nie alleine auftauchten und deren Farbenpracht vom dunkelsten Blau, zum grellsten Pink, bis zum hellsten Gelbreichten. Tarlbblumen, in der alten Sprache Glücksblumen, waren die Lieblingsblumen meiner Mutter erzählte mir meine Tante, ihre Schwester, als sie uns vor ein paar Jahren besuchten. Damals machten wir beide einen Spaziergang durch den Garten, ungefähr zur selben Jahreszeit wie jetzt. Mutter hatte ein Händchen für Blumen. Nichtumsonst wuchsen in ihren Beeten die schönsten und seltensten von ihnen. Über den ganzen Kontinent hinweg war ihr Garten berühmt.

Dem Untergang GeweihtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt