Meeresliebe

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Leise rauschte der Wind. Fuhr über die Klippen, umspielte das vertrocknete Gras der Dünen, bevor er auf das offene Meer verschwand.

Und hier, an diesem von Mondlicht beschienenden Felsen stand eine Gestalt, eine junge Frau, die sehnsüchtig auf das weite Meer raus starrte. Ihre langen weißen Haare flatterten mit dem Wind um die Wette, schienen wie ausgestreckte Hände nach etwas Unerreichbarem zu greifen. Im Kontrast dazu, hielt der schwarze Umhang den Stoff ihres hellgrünen Kleides davon ab, ebenso am Windspiel teilzunehmen. Fast reglos stand sie da, nur ihre grauen Augen suchten unruhig die Wellen ab, hielten Ausschau nach einem braunem Haarschopf.

Noch eine unsagbar lange Minute des Wartens verging, in der ihre Hände immer wieder unruhig den Stoff ihres Kleides umfassten und wieder losließen. Sie war nervös, vor Vorfreude und auch vor Angst. Angst davor, ob alles so werden würde, wie sie es sich vorgestellt hat. Angst davor, was ihre Kinder machten, wenn es soweit war. Aber am meisten Angst davor, dass er nicht kam. Dass er sie nach all den Jahren vergessen hatte, sie nicht mehr liebte.

Da, eine Bewegung im Wasser!

Es blitzte kurz grün zwischen den Wellen auf, dann sah man wieder nichts als dunkles Wasser. Erwartungsvoll trat sie näher an die Klippe, bis ein paar kleine Steinchen warnend in die Tiefe fielen und mit einem leisem Plopp im Wasser verschwanden.

Da! Wieder tauchte kurz etwas grünes auf, dann, näher am Strand, etwas lilanes. Zu dem Grün und Lila kam noch ein Dunkelrot dazu. Und ein Gelb. Ein Orange. Weiß, Schwarz, Hellblau.
Sie alle waren da um sie, um ihre Zustimmung, ihr vor langer Zeit gegebenes Versprechen einzulösen.

Nervös tanzten ihre Augen über das Wasser, hielten Ausschau. Immer öfter schlossen und öffneten sich ihre Hände um den Stoff ihres Kleides. Ihre Atmung wurde flacher, ihre Augen hektischer, ihre Hände nass. Sie hatte Angst, wohl eher Panik. Da fanden ihre Augen ihn.

Wie ein Prinz, der er auch war, schwamm er mit erhobenen Kopf durchs Wasser, vorbei an seinen Schwestern und Brüdern, die jetzt ebenfalls auftauchten.
Ihr Herz setzte aus, schlug dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter.
Er war der Grund, warum sie das alles machte.

Er, der ihr geholfen hatte, ihre Träume zu verwirklichen.

Er, der ihr schlaflose Nächte beschert hatte.

Er, der Vater ihrer Kinder.

Sie schloss die Augen, setzte einen Fuß ins Leere und ließ sich dann fallen. Wie eine Prinzessin segelte sie hinunter, getragen vom Wind.
Wie leicht, dachte sie. Ich bin eine Feder, eine Feder, der noch eine lange Reise bevor stand. Dann umschloss sie auch schon das Meer, umfing sie, wie eine lang vermisste Tochter.

KurzgeschichtenWhere stories live. Discover now