Jo,
es ist nun einige Zeit vergangen, seit ich das erste Mal im Zentrum war.
Mittlerweile bin ich richtig oft dort, fast jeden Tag. Eigentlich komme ich nur noch zum Schlafen nach Hause, den Rest der Zeit verbringe ich im Café oder im Zentrum.Ich habe Lukes Angebot angenommen, dass er mir hilft, politischer zu werden. Oh Gott, das hört sich echt seltsam an. Luke nennt mich sein "Politisierungs-Projekt" und er scheint echt Freude daran zu haben.
Er sagt, das gehört auch zu den Aufgaben des Zentrums, also dass man Menschen weiterbildet.Luke und ich verbringen viel Zeit miteinander, manchmal schauen wir im Zentrum Dokus und Reportagen oder er gibt mir Bücher, die ich mir ausleihen darf oder wir diskutieren über aktuelle Nachrichten. Manchmal chillen wir aber auch einfach nur zusammen, ganz unpolitisch.
Wir sind mittlerweile richtig gute Freunde geworden. Und ja, ich muss zugeben, manchmal wünsche ich mir, dass wir ein bisschen mehr als Freunde wären. Er ist auch single, soweit ich weiß. Und schwul. Mal sehen, was die Zukunft bringt.Ich bemühe mich, ein möglichst guter "Schüler" von Luke zu sein. Ich denke, es klappt auch ganz gut.
Jedenfalls weiß ich jetzt, was Faschismus ist. Und Kapitalismus und Opposition und Koalition.Dadurch, dass ich kaum mehr zu Hause bin, hat sich der Kontakt zu Mutter auf ein Minimum reduziert. Ich denke, das tut uns beiden ganz gut, denn gestern hatte ich ein interessantes Gespräch mit ihr.
Es klopfte an meiner Zimmertür. "Pi- Kind, ich möchte einmal mit dir reden. Hast du Zeit?", hörte ich die Stimme meiner Mutter. "Ist offen.", antwortete ich nur knapp und sie betrat mein Zimmer, wo sie sich auf meinem Schreibtischstuhl setzte. Ich richtete mich in meinem Bett auf.
"Was gibt's?", wollte ich misstrauisch wissen. Ich war etwas skeptisch, denn dass meine Mutter aktiv das Gespräch mit mir suchte, kam normalerweise eher selten vor. Die letzten Wochen sind wir beide sehr auf Abstand gegangen und haben nur das nötigste miteinander kommuniziert.
"Ich möchte mich bei dir entschuldigen.", begann sie. Na, das konnte ja interessant werden. Ich legte mein Buch zur Seite, das ich bis eben noch gelesen hatte.Sie fuhr fort: "Es tut mir Leid, wie ich dich in der letzten Zeit behandelt habe. Ich wusste nicht, wie ernst dir diese Trans-Sache war. Ich habe in den vergangenen Wochen viel darüber gelesen und recherchiert und habe nun das Gefühl, dich besser zu verstehen und bin bereit, dich so zu akzeptieren, wie du bist." Ihre Stimme zitterte leicht und ich merkte, wie schwer ihr es fiel, diese Worte auszusprechen. Meine Mutter entschuldigte sich nicht oft.
Erwartungsvoll sah sie mich an."Ich weiß ehrlich gesagt gerade nicht, was ich darauf sagen soll.", murmelte ich, während ich mit dem Zipfel meiner Bettdecke spielte. "Du weißt, dass so eine Entschuldigung nicht alles wieder gut macht.", sagte ich und sah sie nun direkt an.
"Ich weiß. Aber ich will, dass du weißt, dass ich bereit bin, dazuzulernen. Ich bin bereit, dich zu unterstützen, bei Hormontherapien, Behördengängen zur Namensänderung und alle Schwierigkeiten, die noch so auf uns zukommen werden." Wow, sie schien sich echt informiert zu haben."Danke, das bedeutet mir echt viel."
Aber meine Mutter war noch nicht fertig: "Du musst aber auch verstehen, dass das für mich alles andere als einfach ist. 17 Jahre lang hatte ich eine Tochter, meine einzige Tochter, und plötzlich soll ich einen Sohn haben? Für dich ist es einfacher, du weißt das vermutlich schon eine ganze Weile. Aber für mich kam das alles komplett unerwartet. Deswegen, sei bitte nicht so streng mit mir, wenn ich dich mal beim falschen Namen nenne. Ich versuche mein Bestes, Alex.", fuhr sie fort.
"Okay.", sagte ich nur, wobei mir ein kleines Lächeln über die Lippen huschte, als sie zum ersten Mal meinen richtigen Namen sagte.Ich hoffe wirklich, dass meine Mutter es ernst meint. Es ist momentan noch sehr ungewohnt, sie plötzlich "auf meiner Seite" zu haben. Es ist jetzt auch nicht wieder sofort alles Friede-Freude-Eierkuchen, so funktioniert das nicht. Schließlich wurde mein Vertrauen in sie ziemlich zerstört und sowas braucht Zeit.
Inwiefern sie sich an ihre Versprechungen hält, wird sich sowieso erst in den nächsten Wochen zeigen. Aber ich bin optimistisch.Ach Jo, ich bin echt froh, dass es momentan so gut läuft. Ich habe Freunde gefunden, einen Ort, an dem ich mich wohl fühle und meine Mutter scheint sich auch zu bessern.
Ich habe Perspektiven.- Alex
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Teenage Anarchist [boyxboy]
Ficção AdolescenteAuf der einen Seite ist Luke. Luke ist ein rebellischer Teenager, der mit seiner Crew ein Zentrum gegründet hat, von dem aus sie ihre illegalen Aktionen steuern. Immer wieder treten sie dabei in Konflikt mit der Polizei. Auf der anderen Seite ist A...