„Yesterday, all my troubles seemed so far away
Now it looks as though they're here to stay
Oh, I believe in yesterday"
~The BeatlesIdris Johnson war bereits in der Grundschule mein bester Freund gewesen. Damals schon war er ein kleiner Streber gewesen, was die anderen Mitschüler abgeschreckt hatte. Aber mir hatte er zugegebenermaßen imponiert mit all seinem Wissen, das er sich selbst anlas. Und da ich damals auch eine Liebe zu Büchern hatte, sahen wir uns des öfteren mal in der Bibliothek unseres winzigen Dorfes, was unweigerlich dazu führte, dass wir uns anfreundeten. Und während er mir Mathematik erklärte - denn meine Grandma, bei der ich damals lebte, hatte selbst zugegeben, dass diese 'vererbte' Schwäche auch nicht an ihr ohne Weiteres vorbeigegangen war - teilte ich mit ihm mein Pausenbrot. Für ihn war das Brot mit der guten Butter und dem Rapshonig wie eine Religion, doch sein Dad hatte es nie für ihn gekauft. Eduard Johnson war Fischer und seine Gattin Hausfrau, was selten genug Geld eingebracht hatte, um sich den teuren Rapshonig zu leisten, den sein Sohn so liebte.
Irgendwie fand dann noch Mary Lou, für uns May, ihren Weg in die Clique. Sie war die Tochter aus einer Werbezeitschrift-Bilderbuchfamilie. Ihr Dad war nach meinem letzten Wissenstand Leiter einer Anwaltskanzlei in Truro und ihre Mutter half regelmäßig in Fördervereinen und Hilfwerken aus.
Doch nach unserem Abschluss war ich nach Deutschland in eine Wohnung meines Vaters gezogen. Seit dem Tod meiner Grandma 2 Monate später hatte ich keinen Kontakt mehr zu irgendwem in diesem Dorf gehabt.~
Ich wachte auf einem überraschend gemütlichen Krankenhausbett auf, gehüllt in eine kuschelige Decke. Ich lag in einem kleinen Zimmer, alle Wände waren weiß. Auf eine komische Art und weise fühlte ich mich wohl, denn hier war es allemal besser, aufzuwachen, als im Schlamm an der Küste.
ROT!
Ich schreckte hoch. In meinem dröhnenden Kopf donnerte mein Puls. Kaum stand ich auf meinen Beinen, schwankte das Bild vor mir und ich kippte zur Seite. Beim Versuch, mich festzuhalten, riss ich irgendwelche Becher vom Beistelltisch. Ich meinem Bein begann etwas so fürchterlich zu stechen, dass ich schon befürchtete, ich hätte auf einem Schraubenzieher geschlafen.
Der Schmerz durchzuckte meinen Körper und legte mich entgültig lahm. Ich fiel zu Boden, meine Hand versuchte sich krampfhaft am Bettgestell festzukrallen. Dennoch knallte ich schutzlos auf das Laminat, winselnd und jammernd wie ein Heuler.
ROT!
Vor meinem inneren Auge blitzte etwas auf, aber ich war zu abgelenkt, um es zu beachten, bevor die Erinnerung wieder verschwand.
In meinem Augenwinkel schien jemand vom Besucherstuhl hochschrecken.
"Morwenna!" Idris klang nicht mal halb so panisch, wie ich es im Moment war. Höchstens besorgt. Nicht ganz bewusst nahm ich wahr, wie er mich routiniert untersuchte, dann fluchte er leise und rief nach einer Schwester. Er griff wieder unter meine Beine und Arme und hob mich - nicht ohne meinen schmerzbewegten Protest - wieder auf das Bett.
"Hatten wir das nicht schon?", fragte ich. Eine Schwester kam herbeigeeilt.
"Jaaa...", sagte er ein wenig aufgebracht. "... aber ich hätte ungern, dass du das Krankenhaus vollblutest wie meinen Jeep."
Ich verstand nicht wirklich den Grund für sein Aufregen, bis ich auf den blutigen Verband an meinem linken Oberschenkel sah. "Oh."
"Ja, oh.", sagte die wirklich hübsche Schwester in einem für mich etwas zu sarkastischem Tonfall und zückte neues Verbandszeug.
Sie hatte den vollgebluteten Verband abgenommen und stellte glücklicherweise fest, dass die Naht nicht gerissen war. Sie legte einen neuen Verband an und tauschte dann Blicke mit Idris.
„Kannst du ihr die Dusche zeigen? Ihre gewaschene Kleidung und ihre Wertsachen liegen in der Kiste dort.", sagte die junge Frau, die Idris zu kennen schien. Er nickte und bedankte sich, dann dampfte die Schwester ab.Schließlich sah er mich wieder ernst an. "Du hast Glück, der Schnitt war nicht so tief. Es hätte deine Schlagader treffen können."
"Der Schnitt...", murmelte ich leise. Aber ich verstand nicht wirklich.
"Und ich bin zufällig am Strand gefahren, sonst hätte dich um die Uhrzeit wahrscheinlich niemand gefunden."
"Am Strand...", sagte ich mechanisch.
"Du wiederholst, was ich sage. Vielleicht war die Gehirnerschütterung schlimmer, als ich dachte."
Ich fasste mir automatisch an die Schläfe. Das verursachte also die Kopfschmerzen.
"Wie lange habe ich geschlafen?"
"Neun Stunden vielleicht. Mich gehen deine Privatangelegenheiten nichts an, aber die Situation ist doch recht eigenartig.", analysierte er. „Du bist mitten in der Nacht am Strand, überhaupt hier in High Castle, ohne Bescheid zu sagen. Dann bist du auch noch voller Schlamm, unterkühlt und verletzt. Tut mir Leid, aber der Moorleichenlook ist nicht wirklich beruhigend - oder normal."
Nachdem ich darauf nichts zu erwidern wusste, schwiegen wir eine Weile. Dann stand Idris wieder aus dem Besucherstuhl auf und klatschte in die Hände.
"Ich will nicht unhöflich sein, Wenny, aber du musst duschen." Erst wollte ich einen bissigen Kommentar von mir lassen, aber dann besann ich mich eines besseren.
"Du hast mir den Arsch gerettet. Du hast eine Menge negativer Kritik gut bei mir."
Ich sah Idris jetzt im Tageslicht an, während er das Klemmbrett studierte, dass bis eben noch am Fußgeländer des Bettes hing. Er hatte sich kaum verändert und dennoch war etwas anders: Er sah erwachsener aus. Automatisch musste ich an den 6-Jährigen Idris Johnson denken, wie er immer mit dem Ausdruck wohliger Zufriedenheit von einem Honigbutterbrot abgebissen hatte.
"Rapshonig.", sagte ich, in Erinnerungen schwelgend.
"Wie bitte?" Idris sah mich fragend an.
"Butterbrot mit Rapshonig. Isst du das immernoch so gerne?"
Idris musste schmunzeln. "Dass du dich daran noch erinnerst...", sagte er leise. "Aber ja, mittlerweile kann ich es mir sogar selber schmieren.", juxte er.
Dann sammelte er sich wieder aus seiner Nostalgie. "Also gut, das hier ist dein Bad.", sagte Idris und deutete auf die Tür in meinem Zimmer. "Ich hole dir gleich noch ein Handtuch. Brauchst du Hilfe?" Da ich nur ungern erneut fallen wollte, nickte ich. Ich richtete mich auf ließ mir von ihm unter die Arme greifen, während er im Gehen mein verletztes Bein ersetzte. In der Dusche gab es glücklicherweise Möglichkeiten zum Festhalten.
"Danke.", sagte ich und lächelte matt.
„Selbstverständlich.", sagte Idris, schloss die Tür zum Bad und ging.
Ächzend humpelte ich, die Zähne zusammengebissen, zum Waschbecken.
"Ach du scheiße.", sagte ich leise. Mein Blick wanderte zum Spiegel an der Wand. Meine Haare waren nicht blond, wie sonst, sondern grau-braun vom Matsch am Strand. Ich war wohl nur sporadisch gesäubert worden, irgendjemand hatte auf meine Wunde am Kopf ein dickes Pflaster geklebt.
Es klopfte an der Tür.
"Du kannst reinkommen.", krächzte ich. Mein Hals fühlte sich verdächtig wund an.
Idris reichte mir ein Handtuch und eine Rolle Frischhaltefolie. „Damit solltest du den Verband umwickeln, sonst brauchst du gleich einen neuen." Dann verschwand er wieder und ich schälte mich so schnell es ging aus dem Nachthemd und umwickelte mein Bein mit der Folie.
Schließlich stieg ich endlich in die Dusche, schloss den Vorhang und ließ mich von warmem Wasser berieseln. Während das Wasser mir in den Nacken prasselte, versuchte ich mich zwanghaft daran zu erinnern, was passiert war. Wie war ich hierhergekommen und warum? Warum war ich am Strand wieder aufgewacht? Warum konnte ich mich an nichts erinnern? Woher kamen die Verletzungen?
Ich nahm die Seife von der Halterung und schäumte mir ordentlich die Haare.
Die Wasserpfütze um meine Füße wurde immer klarer, bis ich mich schließlich sauber genug fühlte, um die wohlige Wärme der Dusche zu verlassen.
Während ich in meine frisch gewaschene Kleidung schlüpfte, versuchte ich, meine letzten Erinnerungen zu rekonstruieren. Doch alles, was mein Hirn hervorkramen konnte war, wie ich gestern nach meinem letzten Arbeitstag nach Hause gekommen war. Markus, mein Mitbewohner und Irgendwie-fast-Freund in Hamburg, und ich wollten wie jeden Freitag zusammen kochen.
Augenblick mal!
Ich sprang (wenn man es so nennen konnte) zur Kiste, in der meine Klamotten gewesen waren und holte mein hoffentlich unversehrtes Handy hervor. Ungeduldig drückte ich auf den On-Knopf. Der Bildschirm leuchtete auf und zeigte mir einen Akkustand von sage und schreibe 1%. Das tat mir schon in der Seele weh, noch mehr aber, dass es erst 11 Uhr war.
Das konnte nicht sein. Ich war um 17 Uhr nach Hause gekommen, niemand schaffte es in maximal 19 Stunden nach Essex zu fliegen, runter nach High Castle zu fahren, sich irgendwo am Strand eine Kopf- und Beinverletzung zuzuziehen und dann ohne Erinnerung am nächsten Morgen aufzuwachen - in ein und derselben Nacht.
Mit klopfendem Herzen wischte ich rüber zur Übersicht meines Kalenders. Heute war nicht Freitag. Der kleine rote Kreis umrundete den Montag der nächsten Woche. Das konnte einfach nicht wahr sein. Mein Handy verabschiedete sich und ich schreckte auf wie aus einer Trance.
"Idris?", rief ich und riss die Badtür auf.
"Was ist?", fragte er und kam gerade mit 2 Bechern durch die Tür zu meinem Zimmer.
"Was für ein Tag ist heute?"
"Was?", fragte er stirnrunzelnd und stellte die dampfenden Becher auf den Tisch. Wie sehr sehnte mich gerade danach...
"Welcher Tag ist heute? Also Wochentag." Meine Stimme kiekste vor Hysterie.
"Ähm, Montag.", sagte Idris verwirrt.
Ich fühlte mich, als hätte mir jemand einen Schlag in die Magengrube verpasst. Mein Verstand war nur Milisekunden davon entfernt, sich völlig der Überreizung hinzugeben.
"Drei Tage.", flüsterte ich fassungslos, während ich mir die Hände an den Kopf drückte und mich auf das Bett fallen ließ.
„Tut mir Leid, ich komme gerade nicht mit. Wovon redest du?"
Ich starrte fassungslos auf den Boden.
"Morwenna? Geht's dir gut? Ist dir schwindelig?", begann Idris sofort wieder damit, seinen Beruf auszuleben.
"Was? Nein. Obwohl, doch, aber das ist gerade irgendwie Dauerzustand."
"Was ist dann los? Was hast du da unten am Strand gemacht?", fragte Idris.
"Das ist es ja.", schluchzte ich, hielt die Tränen aber eisern zurück. "Ich weiß es nicht mehr. Und weißt du was? Meine letzte Erinnerung ist 3 Tage alt! DREI TAGE! Und da war ich noch in Hamburg."
Idris schwieg kurz. "Du weißt also nicht mehr, wie du in diese... Lage geraten bist?", fragte er ungewöhnlich ruhig."Nein.", sagte ich und schluckte die Angst und Hysterie herunter. Das brachte mich im Augenblick gar nicht weiter. Ich musste mich dringend beruhigen."Vielleicht wollte ich euch nach der Uni besuchen."
"Du müsstest jetzt deinen Bachelor haben, richtig?", fragte Idris. Ich schwieg geistesabwesend. "Dann hättest du mich aber gleich besucht - oder May."
"Vielleicht wollte ich einen kleinen Spaziergang machen.", erklärte ich mir selbst.
"Du bist also an den Strand gegangen und plötzlich war die Erinnerung der letzten 3 Tage weg?"
"Nein. Ich bin am Strand AUFGEWACHT. 100 Meter von der Küste entfernt."
Idris drehte sich jetzt doch sichtlich beunruhigt zu mir um. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen, als müsste er zunächst gründlich überdenken, was das hieß. Das Tageslicht, dass aus den Fenstern hereinfiel, ließ seine Augen funkeln. Dann sah er zur Seite und atmete schwer ein. Schließlich setzte er sich neben mich.
"Was ist?", fragte ich verwundert.
"Ist..." Er brach ab und sammelte sich erneut. "Hast du Probleme in Hamburg? Psychologischer Natur?"
"Was? Nein! Wie kommst du da drauf?"
Er sah mich an. In seinem Blick lag etwas Ernstes, als würde ich in Schwierigkeiten stecken.
"Was ist?", fragte ich kraftlos und ließ mich auf das Bett fallen.
"Menschen, die etwas Traumatisches durchleben, neigen dazu, sich in ein bekanntes, sicheres Umfeld zu begeben. Nach Hause, zum Beispiel. Und deine Kopfverletzung könnte eine vorübergehende Amnesie verursacht haben. Aber das kann ich nicht genau sagen, ich bin kein Arzt."
"Wie gesagt, ich kann mich an nichts vor dem Aufwachen erinnern. Ich dachte erst, ich wäre noch in Deutschland, aber dann hab ich das Meer gehört und die Flut ist gekommen und ich musste in die nächste Bucht zur Treppe rennen, um es zu schaffen..." Ich ließ mein Kopf in meine Hände sinken und seufzte.
Idris sah kurz nachdenklich auf den gegenüberliegenden Stuhl. "Ob nun etwas in Hamburg passiert ist oder nicht: Morwenna, du bist am Meer aufgewachsen. Du weißt, dass man sich über die Tide informieren muss. Du kennst dich hier aus. Sowas vergisst man nicht. Und das macht mir Sorgen."
Ich starrte betreten in die Ecke. Hamburg. Daran hatte ich nicht wirklich gedacht.
"Hast du ein Aufladekabel?" Ich schniefte und wischte mir über die Nase. "Ich muss jemanden anrufen, aber mein Akku ist leer."
Idris erwachte aus seinem nachdenklichen Gesichtsausdruck, der ihm so ähnlich sah. "Ja, zu Hause habe ich eine Sammlung.".
Ich seufzte. Irgendwie musste ich mit Aenna oder Markus reden, aber es war mehr ein Bauchgefühl als ein Wissen, das mich das Gespräch aufschieben ließ.
Entweder würde ich feststellen, dass es für meine Abreise eine logische Erklärung gab und ich es hier geschafft hatte, 3 Tage Erinnerungen auszulöschen, oder ich war vollends wahnsinnig geworden, ohne es zu wissen.
Es war ein chaotisches, nervenaufreibendes Netz aus Möglichkeiten, dessen Auflösung mir aber mehr zusetzen könnte, als ich dachte.
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Faded - Erinnere Dich!
Dla nastolatkówEigentlich dachte Morwenna, sie hätte Filmrisse nach ihrem Studium in Deutschland mittlerweile hinter sich gebracht, aber als sie plötzlich mitten in Nirgendwo in ihrem Heimatort an der Küste Cornwalls aufwacht, sind ihre Erinnerungen an die letzten...