Die Neue

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~Sue
Als ich so leise wie möglich die schwere Holztür zum Lehrerzimmer aufdrückte, hatte ich das Gefühl, die Blicke aller anwesenden Lehrer auf mir zu spüren. Das nervöse Prickeln, das ich vorhin noch erfolgreich heruntergeschluckt hatte, stieg erneut in mir hoch und ich musste ein paar Mal schlucken, ehe ich mich zu einem Lächeln überwinden konnte.

"Na hallo, Sushi!", hörte ich plötzlich eine Stimme aus der Richtung der kleinen Küchenzeile an der einen Wand des Raumes und wenige Sekunden später, fand ich mich in einer innigen Umarmung mit meinem besten Freund wieder.

"Hallo...", nuschelte ich gegen sein rot braun kariertes Flanellhemd und drückte ihn wenige Sekunden wieder sanft von mir weg.

"Sag mal, warum schauen die denn alle so komisch? Erkennen die mich nicht oder hat hier Keiner erwartet, dass ich wieder komme?", zischte ich Daniel zu und riskierte einen kurzen Blick in die Mitte des Raumes, von der ich immernoch von einigen Kollegen argwöhnisch gemustert wurde.

Mein Gegenüber wiegte leicht den Kopf hin und her und sah mich dann entschuldigend an. "Naja, ich denke eher zweiteres... Außer mir und dem Direx weiß ja glaube ich keiner was passiert ist und soweit ich gehört habe, denkt ca die Hälfte, dass du in frühzeitige... nunja Schwangerschaftszeit gegangen bist!"

"Und der Rest?" "Der Rest dachte bis vor ein pasr Sekunden... dass du gefeuert wurdest."

"Warte, was?" Ich sah Daniel verständnislos an. "Warum sollte ich denn gefeuert werden??"

"Ja was weiß ich!", meinte er und hob abwehrend die Hände. "Was würdest du denn denken, wenn irgendeiner von den Kollegen ohne etwas zu sagen, mitten im Schuljahr verschwindet?"

Ich sagte nichts und seufzte nur leise. Daniel hatte Recht, aber trotzdem fühlte ich mich unglaublich unwohl unter den Blicken der Anderen und wäre am liebsten sofort aus dem Raum geflohen.

"Komm, kleine Sushi!", sagte mein bester Freund sanft und führte mich am Arm zu einem der Tische, auf dem bereits seine geliebte, aber schon zimlich abgewetzte Aktentasche lag. "Kümmer dich nicht um sie, die kriegen sich schon wieder ein."

Ich nickte erschöpft und ließ mich wenige Herzschläge später auf den harten Stuhl sinken, den mir Daniel netterweise herausgezogen hatte. Doch gerade als ich meine Unterlagen herauskramen wollte, schob sich ein weiteres Gesicht in mein Blickfeld, das mich hochnäsig und auch etwas skeptisch musterte.

"Miss Fletch! Was für eine... nun ja... Freude Sie wiederzusehen!" Ich presste meine Lippen aufeinander und versuchte meine Mundwinkel ein Stück höher zu ziehen, was mir allerdings nur halbherzig gelang.

"Guten Morgen Mrs Dexter.", meinte ich knapp und hoffte inständig, meine nervtötende Kollegin würde sich mitsant ihres unglaublich aufdringlichen Parfums so schnell wie möglich wieder verkrümeln. Tat sie nur leider nicht. Stattdessen zog sie sich einen Stuhl heraus und ließ sich wie selbstverständlich darauf nieder.

"Also wenn ich das noch richtig im Kopf habe, dann haben Sie jetzt den Englisch Kurs? Mit der Elften? Ich hab da mal für Sie etwas nachgeschaut und habe herausgefunden, dass Camille auch in ihrer Klasse sein wird! Sie tun mir jetzt schon Leid, Liebes." Sie grinste mich herausfordernd an und ich musste mich zusammenreißen um nicht die Augen zu verdrehen.

Ich wusste, dass sie mit ihrem Wissen angeben wollte und ich wusste auch, dass ich jetzt nachfragen sollte, wer denn die Camille sei, die ganz offensichtlich neu hier war.

"Vielen Dank Mrs Dexter, aber ich werde mich schon selbst mit der neuen Schülerin vertraut machen! Und zwar genau... jetzt."

Ein flüchtiger Blick auf die Uhr sagte mir, dass es durchaus schon Zeit war in meine Klasse zu gehen, also schenkte ich meiner Kollegin ein überfreundliches Lächeln und floh aus dem Lehrerzimmer.

Die Gänge im ersten Stock waren wie erwartet zum Bersten voll, aber anders als sonst genoss ich es, etwas im Schülerstrom unterzugehen. Ich ließ mich mehr oder weniger zur Treppe treiben und stieg dann die Stufen in den zweiten Stock, wo ich im Raum 202 meinen Kurs erwarten würde.

Entgegen meiner Erwartung war ich dieses Mal nicht halb so aufgeregt, wie am Anfang des Tages und schaffte es sogar ein kleines Begrüßungslächeln auf mein Gesicht zu zaubern. Im Gegensatz zu vielen anderen Kollegen hatte ich das Glück, meine Woche mit einem sehr angenehmen Kurs starten zu können und dementsprechend freute ich moch fast sogar auf die nächste Schulstunde.

Ich drückte die dunkelgrüne Tür vor mir auf und wurde sofort in das mäßig laute Gemurmel der bereits anwesenden Schüler  gehüllt.

"Morgen Ms Fletch!", kam es erfreut aus der vorletzten Reihe und ich ließ meinen Blick zu Stella, dem Mädchen mit den seidigen schwarzen Locken wandern.

Ich grinste ihr kurz zu und ließ mich dann auf den Drehstuhl hinter dem Lehrerpult fallen. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich noch etwa 3 Minuten hatte, bis der Unterricht begann und ich kramten meinen Ordner für die Q11 hervor. Alles würde klappen, da war ich mir ganz sicher.

Als wenig später der Gong ertönte, und ich meine Schüler begrüßt hatte, ließ ich meinen Blick erneut über die Klasse schweifen. Mrs Dexters Worte über die Neue Schülerin Camille kamen mir wieder in den Sinn, aber ich konnte kein neues Gesicht in meinem Kurs entdecken.

Doch gerade als ich den Mund öffnen wollte um mit dem Unterricht zu beginnen, wurde die Tür rechts von mir aufgerissen und jemand platzte ins Zimmer. Ich wirbelte herum und musterte das große, schlanke Mädchen das jetzt gemütlich zu ihrem Platz schritt, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen.

"Ähm, Entschuldigung?", meinte ich iritiert und auch etwas sauer, weil ich bei einem Zuspätkommen zumindest ein schlichtes 'Tut mir leid' gewohnt war.

Die Schülerin aber reagierte nicht. Ohne Eile schlenderte sie unter den Blicken der Anderen in die letzte Reihe und nahm dort Platz.

Und dann sah sie mich an. Ihr großen grünen Augen stachen förmlich aus ihrem blassen Gesicht hervor, das von halblangen, lilafarbenen Haaren eingerahmt wurde. Ihr Blick hatte etwas so intensives, dass ich kein Wort hervorbrachte und das Mädchen einfach nur anstarrte.

Sie war anders. Und gleichzeitig... irgendwie besonders.

Purple Hair II gxg txsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt