Gespräche

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~Cam
Die Lehrerin mit den braunen Augen sah wieder zu mir. So besorgt und gleichzeitig ernst, dass ich beinahe ein schlechtes Gewissen bekam, sie vor gar nicht all zu langer Zeit vor der gesamten Klasse bloßgestellt zu haben.

"Komm mit Camille, ich bringe dich hoch", meinte sie sanft und berührte kurz meinen Arm. Ich nickte nur. Alles an ihr war so wiederlich vertraut, dass ich es selbst nicht glauben konnte und ich hatte, Angst, dass genau diese Ähnlichkeit das ganze Kartenhaus und meine ganze Fassade zum Einsturz bringen würde.

Wir schwiegen, wärend wir nebeneinander durch die Gänge gingen. Ich hatte diese Lehrerin in der Zeit an dieser Schule noch nie zuvor gesehen, allerdings schien sie sich bestens auszukennen und dirigierte mich alleine mit ihrer Körpersprache bis zu einem schmalen Zimmer im dritten Stock.

"Da wären wir...", murmelte sie und schloss die Tür hinter uns, während ich mich in dem Raum umsah. Auf der linken Seite befanden sich zwei Liegen, auf denen ziemlich unordentlich mehrere Decken lagen und an der rechten Wand befanden sich mehrere, deckenhohe Schränke.

"Setz dich." Ihre Stimme war weder kalt noch besonders warm, was mich auf eine merkwürdige Weise verunsicherte.

"Was tut dir denn weh?" Ich zeigte wortlos zuerst auf meine Nase, in der immernoch Taschentücher steckten und dann auf mein linkes Handgelenk, was eigeartig pochte und sich kaum bewegen ließ.

Wenige Sekunden später hatte sie sich einen Verband, eine knatschgelbe Salbenschachtel und ein Kühlpack aus einem kleinen Gefrierfach geholt und kam damit zu mir.

"Darf ich?", fragte sie und zog nach rinem Nicken meinerseits die blutigen Taschentuchfetzen aus meiner Nase. Aus irgendeinem Grund war es mir nicht peinlich, dass sie sich so um mich kümmerte - im Gegenteil, es erweckte ein seltsam warmes Gefühl in mir, das ich so schon lange nicht mehr gespürt hatte.

"Oh scheiße!", fluchte mein Gegenüber leise und presst mir ohne Vorwarnung ein Kühlpack in den Nacken und ein weiteres Tuch vor die Nase, die erneut angefangen hatte zu bluten.

Und dann herschte schweigen. Ich saß einfach so da und ließ mir von einer Frau, die ich quasi überhaupt nicht kannte, meine blutige Nase versorgen. Erst gefühlte Stunden später hörte die Blutung auf und sie nahm vorsichtig den Fetzen von meinem Gesicht.

Ihr hübsches Gesicht war mir jetzt näher als jemals zuvor und ich spürte wie sich mein Herz bei dem Anblick ihrer warmen, braunen Rehaugen krampfhaft zusammenzog.

"Vielleicht solltest du dein Gesicht noch waschen, bevor du in den Unterricht zurück gehst!", meinte sie sanft und lachte leise. "Durch das Blut siehst du... nunja ein bisschen gruselig aus."

Ich wollte sie anlächeln, ich wollte in diesem Moment nichts lieber, als einfach mit ihr mitzulachen und den ganzen Kram für ein paar glückseelige Augenblicke vergessen - aber ich konnte nicht. Ich DURFTE nicht. Diese Frau war die letzte, die jemals hinter meinen Schutzpanzer sehen durfte.

"Sag mal", meinte die junge Lehrerin wieder etwas ernster, nachdem sie mein writerhin etnstes Gesicht mit einem verwirrten Blick quittiert hatte und ergriff sanft mein verletztes Handgelenk. "Hast du eigentlich Spitznamen? Camille ist ja schon ein langer Name - wie wäre es denn zum Beispiel mit Camie?"

Es war, wie als würden diese Worte, wie ein Blitz in mir einschlagen. Ruckartig entriss ich ihr meine Hand und sprang von der Liege, auf der ich bis eben noch gesessen hatte. Tränen brannten in meinen Augen und ich funkelte sie halb wütend und halb verzweifelt an.

"Niemand darf mich Camie nennen! Nur sie darf das! Und nur sie darf mich verarzten! Sie können das nicht!!", brüllte ich schon fast besinnungslos und spürte die ersten heißen Tränen über meine Wange rollen.

Sie war nun ebenfalls aufgestanden und sah mich erschrocken und auch etwas ängstlich an. "Aber... Das ist doch gar kein Problem wenn du nicht... Aber Camille, ich muss mir doch deine Hand -"

"Nur sie darf mich verarzten!", schrie ich nocheinmal, während die immer mehr werdenden Tränen meine Sicht vernebelten.

Ich wollte sie nicht sehen. Diese Lehrerin und ihre braunen Augen, die mich so sehr an sie erinnerten. Ihre Worte, die mir so schmerzhaft vertraut waren und sich jetzt wie Nadelstiche in meinem Herzen anfühlten.

Ich musste hier raus, ich musste etwas tun um alles zu stoppen, um MICH zu stoppen! Fast taumelnd stürzte ich zur Tür, riss sie auf und sprintete blindlings los. Ich sah fast nichts und drohte immer wieder zu fallen, aber trotzdem rannte ich einfach weiter.


Du musst weiter, Camie. Weiter und immer weiter, du darfst nicht stehen bleiben, Camie, du wirst niemals gut genug sein.


Purple Hair II gxg txsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt