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„So Dr.Sherbaz, dann wollen wir mal. Wie geht es Ihnen? Irgendwelche Beschwerden?", mit diesen Worten setzte sich Julia Berger neben die Behandlungsliege, auf der ich bereits Platz genommen hatte. „Wenn ich ehrlich bin..", begann ich, während ich mich auf die Seite drehte, damit Julia die Messfühler mit dem Gurt um meinen Bauch befestigen konnte „..ist es schon ziemlich anstrengend. Ich habe Rückenschmerzen, abends sind meine Füße manchmal stark angeschwollen und Übungswehen habe ich auch immer wieder." Julia nickte und begann alles, was ich gesagt hatte, auf ihrem PC zu dokumentieren,. „Wie ist es mit den Kopfschmerzen und der Übelkeit? Ist das besser geworden?", wollte sie dann wissen und sah mich an. „Hmm, naja. Nach dem Essen fühle ich mich schon oft unwohl und die Kopfschmerzen kommen und gehen.", gab ich zu. Julia stand kurz auf, um eine Blutdruckmanschette zu holen und lege mir diese dann um meinen Arm. Als sie nach dem Messen die Luft wieder abließ, runzelte sie die Stirn „170 zu 100!", verkündete sie dann ungläubig und sah mich an. Wow, das war tatsächlich hoch! „Ben hat heute morgen einen echt starken Kaffee gemacht.", versuchte ich die Situation zu entschärfen. „Allein am Kaffee liegt das aber glaube ich nicht, Leyla. Wir machen jetzt das CTG und dann nehme ich Ihnen zu Sicherheit nochmal Blut ab, ok?". Frau Berger hatte gerade ausgeredet, als die Tür aufging und Ben den Kopf hinein streckte. „Oh hi! Sorry, hat länger gedauert bei mir!", entschuldigte er sich und kam auf uns zu. Er küsste mich, schob sich einen Stuhl heran und setzte sich zu mir. „Hab ich was verpasst?", fragt er dann und verschränkte seine Finger in meinen.

„Ich lasse euch jetzt mal alleine", sagte Julia, während sie aufstand. Sie lächelte Ben und mich an und schloss die Türe hinter sich. Das Licht im Behandlungsraum war leicht abgedunkelt und es war fast ein wenig gemütlich hier, auch wenn ich jetzt lieber in einem weichen Bett, als auf dem Untersuchungsstuhl gelegen hätte... Anstatt viel zu reden lauschten wir dem Herzschlag unseres Kindes. Es war jedes Mal magisch, wenn man sich vorstellte, dass da in mir ein kleiner Mensch heran wuchs. Ein kleiner Mensch, den ich jetzt schon abgöttisch liebte, für den ich alles, wirklich alles tun würde! Manchmal ist es verrückt, dass man für jemanden, den man eigentlich nicht kennt und - außer im Ultraschall - noch nie gesehen hat, solche Gefühle entwickeln kann. Als hätte das Baby meine Gedanken gelesen, fing es an sich zu bewegen. Diesmal waren es aber keine Tritte, sondern eher ganz leichte Stupser. Zaghaft, so als wollte mir die kleine Bohne zeigen, dass auch sie mich liebte. Ich drückte Bens Hand etwas fester und blickte ihn an. Wie ich schien auch er gerade in Gedanken versunken zu sein. Sein Gesicht war in Richtung Wehenschreiber gewandt, der kontinuierlich sowohl den Herzschlag, als auch eventuelle Kontraktionen aufzeichnete. Aber aus irgendeinem Grund sah er nicht so glücklich aus, wie ich es erwartet hatte. "Leyla...", murmelte er dann, löste aber seinen Blick nicht vom Papier. "ich glaube, wir sollten lieber Julia wieder dazu holen!" Nun sah er mich doch an, in seinen Augen pure Sorge! "Was ist denn los?", wollte ich sofort wissen und richtete mich etwas auf, damit auch ich die aufgezeichneten Kurven besser sehen konnte...

Die Herztöne zeigten immer wieder starke Abfälle, was darauf schließen ließ, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich sah ängstlich zu Ben, der wie gebannt auf die Kurven starrte. "Hol Julia! Schnell!", rief ich dann, mit einer plötzlich aufkommenden Panik in der Stimme. Mein Freund ließ sich das nicht zweimal sagen, sprang auf und stürzte aus dem Zimmer. Natürlich wusste ich, dass die Herztöne bei Ungeborenen zum Beispiel auf Bewegung oder Emotionen reagieren konnten. Aber so oft und so extrem? Jetzt merkte ich, dass auch mein eigenes Herz wieder zu rasen begann und presste unwillkürlich meine Hand auf die Brust. Das Atmen fiel mir ziemlich schwer und ich versuchte mich gerader hinzusetzen. In dem Moment kamen auch schon Ben und Frau Berger in den Untersuchungsraum. „Ich..ich kann nicht atmen!", stieß es nur aus mir heraus.
"Ganz ruhig Frau Dr. Sherbaz, wird gleich besser!", versprach mir Julia und reichte mir eine Sauerstoffmaske. „Schön tief und gleichmäßig einatmen", hörte ich Ben, der nun neben mir stand und mir den Rücken streichelte. Tatsächlich wurde meine Atmung wieder etwas kontrollierter und ich lehnte mich an Ben, der mich in den Arm nahm. Julia musterte währenddessen das CTG. Ihr Blick war alles andere als entspannt. „Frau Dr. Sherbaz,wie stark sind denn die Übungswehen, die Sie immer haben? Und seit wann haben Sie sie?", fragte sie dann und legte die Kurven beiseite. „Naja, so seit knapp einer Woche. Sie sind sehr unregelmäßig und kaum schmerzhaft. Ich spüre nur immer wieder, dass mein Bauch hart wird.", erzählte ich ihr, woraufhin sie langsam nickte. „Ich nehme Ihnen jetzt Blut ab und dann würde ich Sie gerne aufnehmen.". Die Worte von Frau Berger hallten in meinen Ohren wider. Aufnehmen...Es war also doch ernster, als ich befürchtet hatte. Ich fühlte, wie auch Ben neben mir kurz die Luft anhielt und mich dann fest an sich drückte. „Es wird alles gut, mein Schatz! Es wird alles gut!".

Keine halbe Stunde später lag ich in einem Patientenzimmer. Verdacht auf Präeklampie also? Es ergab alles einen Sinn... Meine Symptome waren typisch dafür! Bluthochdruck, Kopfschmerzen, Übelkeit, Herzrasen und Atemnot - Klassisch! Und durch mein Alter hatte ich ohnehin eine Risikoschwangerschaft. Was mir gerade am meisten Angst machte war, dass es unserem Kind dadurch auch nicht gut ging. Dass die Herzfrequenz immer wieder abfiel deutete darauf hin, dass es unterversorgt war. Dass seine Organe zu wenig Blut und Sauerstoff abbekamen. Ich befand mich aber gerade erst in der 32. Schwangerschaftswoche, das bedeutete dass es noch viel zu früh für eine Geburt war. Frau Berger hatte mir erklärt, dass sie erstmal versuchen würden, meinen Blutdruck medikamentös in den Griff zu bekommen. Trotzdem war es jetzt wichtig, dass ich engmaschig überwacht wurde und sie rechtzeitig eingreifen können würden, falls es mir oder dem Baby schlechter gehen sollte.
Ich zog mir die Decke bis zum Kinn hoch und schloss kurz die Augen. Das ging mir gerade alles viel zu schnell! Eben war noch alles gut und jetzt? Ich hatte nicht erwartet, dass es in diesem Stadium meiner Schwangerschaft nochmal zu Komplikationen kommen würde. Eigentlich ging es mir bis vor einigen Tagen doch noch so gut!
Ben wollte mir nur schnell ein paar Sachen von zuhause holen, denn wie es aussah musste ich erstmal für die nächste Zeit hier in der Klinik bleiben. So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt! Ich merkte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten und über meine Wangen liefen. Auch das Kleine fing gerade wieder an, sich in mir zu bewegen und ich streichelte vorsichtig über meinen Bauch, um so zu versuchen es zu beruhigen.. Durch das Sedativum, das mir Julia vorhin nach meiner Panikattacke gegeben hatte, war ich ziemlich müde und versuchte irgendwie mich zu entspannen...

Ich wurde von einem leisen Gemurmel geweckt und öffnete langsam meine Augen. Ben saß an meinem Bett. Er hatte seine Unterarme neben meiner Hüfte auf das Bett gelegt, sein Kopf ruhte auf den Händen. „Du musst durchhalten, kleiner Engel!", hörte ich ihn flüstern. „Deine Mama und ich freuen uns zwar schon so sehr auf dich, aber gerade ist es noch das Beste, wenn du bei Mama im Bauch bleibst, weißt du? Auch wenn ich mir vorstellen kann, dass du es nicht erwarten kannst, Sie endlich kennen zu lernen. Sie ist der Wahnsinn! Du wirst in deinem Leben keinen Menschen treffen, der so ein großes und gutes Herz hat wie sie. Sie will immer nur das Beste für jeden und steckt dabei oft selbst zurück. Und sie ist so unfassbar schön! Du wirst begeistert sein! Wenn sie lacht, geht einfach nur die Sonne auf und man kann nicht genug davon bekommen. Als ich sie das erste Mal gesehen habe, war ich auch einfach nur sprachlos! Ich hoffe sehr, dass du das alles von ihr erben wirst. Und jetzt bitte, kleine Bohne... bleib noch ein bisschen länger bei deiner Mama und werde groß und stark! Die Welt hier draußen ist nämlich leider nicht selten kalt und grausam. Eins verspreche ich dir aber: Ich werde dich immer beschützen! Immer! Ich werde alles dafür tun, dass es dir gut geht und dass du keine Angst haben musst, egal was passiert! Ich liebe dich so sehr!" Mit diesen Worten küsste er sanft meinen Bauch. Ich musste mich sehr anstrengen meine Tränen zurück zu halten. Ben war einfach der tollste Papa, den ich mir für unser Baby hätte vorstellen können. Vorsichtig fing ich an ihm über das Haar zu streicheln und er zuckte zusammen. „Hey",hauchte ich leise. Er blickte mich an und lächelte. „Guten Morgen, mein Schatz! Bist du schon lange wach?"

Du, ich und das BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt