Kapitel 2

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Das Gesicht dieses Mannes ging mir nicht mehr aus dem Kopf. So sehr ich mich auch vor ihm und seinem plötzlichen Erscheinen gefürchtet hatte, musste ich mir eingestehen, dass ich ihn überaus attraktiv fand. Diese dunklen Haare und die strahlend blauen Augen, die mich rundheraus angestarrt hatten. Ich fragte mich, wer er war und warum er plötzlich im Garten meiner Nachbarn aufgetaucht war. Ich lebte seit über 19 Jahren in diesem Haus und hatte ihn nie zuvor gesehen. 

Seit meiner Begegnung mit ihm waren einige Tage vergangen und langsam aber sicher fing ich an, wieder das gesamte Haus zu betreten. Draußen war ich nicht wieder gewesen. Mum und Dad hielten es für die beste Idee, wenn ich es langsam angehen lies. Ein Schritt nach dem Anderen. 

Ich lief gerade die Treppe runter als ich sah, wie Mum sich mit mehreren Einkaufstüten beladen durch die Tür quetschte. Sofort ging ich auf sie zu, um ihr ein paar Tüten abzunehmen. 


„Vielen Dank Schatz", sagte sie und lächelte mich an. 


„Warum sagst du nicht, dass du einkaufen gehst? Ich hätte dir helfen können." 


„Oh Spätzchen ich danke dir aber..." 


Ich sah, wie Mum mit sich haderte. Es war offensichtlich, dass sie Angst davor hatte, mich mitzunehmen. Angst davor, dass ich plötzlich Panik bekam, womit sie nicht umgehen konnte. Ich verstand sie sehr gut. Nicht mal ich selbst konnte einschätzen, ob ich für einen Einkaufsbummel schon bereit war. Aber ich wollte es sein. Ich wollte endlich wieder normal an meinem Leben teilhaben. Und mich nicht für immer in diesem Haus verkriechen.

"Mum? Würdest du heute mir mir raus gehen?"

Skeptisch sah sie mich an. "Bist du dir sicher, dass du das möchtest, Spätzchen?"

"Ja ganz sicher." Ich sah sie eindringlich an. Sie sollte wissen, dass es mir diesmal ernst ist. Dass ich es schaffen kann. "Wir könnten vielleicht zusammen ein Eis essen gehen oder so."

Ein kleines Lächeln umspielte nun ihre Lippen. "Das fände ich sehr schön Süße. Das haben wir früher oft gemacht."

Ich sah, wie ich Lächeln langsam verblasste. Es tat weh zu sehen, wie sehr sie mein Zustand belastete. Ich wollte endlich etwas ändern und meine Eltern wieder glücklich machen. 

"Gut. Fahren wie nach dem Mittagessen?", fragte ich sie und trug währenddessen die Einkaufstüten in die Küche. "Sehr gerne", antwortete sie. Schweigend räumten wir gemeinsam die Einkäufe aus.

...

Mein Herz begann schon zu rasen, als ich mir die Schuhe zuband. Ich würde das erste Mal seit langer Zeit wieder unter Menschen gehen. Auch Mum wirkte sichtlich nervös. Sie versuchte jedoch, sich nichts anmerken zu lassen und lächelte mich an. 

Am Auto angekommen warf Mum einen raschen Blick zu mir, setzte sich dann jedoch schnell hinters Steuer. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Zwar hatte ich einen Führerschein, doch ich war nie eine besonders gute Fahrerin gewesen. Und nach meiner Unfall und dem darauffolgenden Klinikaufenthalt war ich nicht mehr gefahren. Ich wusste nicht, ob ich überhaupt jemals wieder fahren wollte. 

Die Fahrt verbrachten wir schweigend. Hin und wieder spürte ich, wie Mum mich anschaute. Ich warf ihr ein Lächeln entgegen. Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie unangenehm mir die Situation war. Kalter Schweiß brach in mir aus, mein Herz raste und ich versuchte angestrengt, das Zittern meiner Hände zu unterdrücken. Ich atmete tief ein und aus. Keine Panik, bloß keine Panik. Ich wiederholte mein Mantra ein ums andere Mal, doch es half nichts. Ich hatte mich mit dieser Aktion grandios überschätzt, wollte Mum jedoch keinesfalls bitten, umzukehren. Ihre Hoffnung auf Besserung sollte nicht durch eine Panikanfall zerstört werden. 

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