Kapitel 4

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Das Glücksgefühl nach dem Eisdielenbesuch mit meiner Mum hielt leider nicht lange an. Bereits am nächsten Tag erwischte ich mich dabei, wie ich einfach liegen bleiben wollte. Mich den ganzen Tag im dunklen Zimmer unter der schweren Bettdecke verkriechen und mich dem Schmerz hingeben. Das erschien mir wie die bequemste Lösung. Ein weiterer Tag hin oder her, dachte ich mir. So schlimm wird das schon nicht sein. 

Ich versuchte mich zu motivieren. Ich versuchte es wirklich. Es war bloß so verdammt schwer. Ich fühlte mich, als wäre ein Lastwagen über mich gefahren. All meine Glieder taten mir weh und es kam mir vor, als würde ich mit Ketten ans Bett gefesselt sein. Ich versuchte, ein wenig zu lesen, nahm ein Buch nach dem anderen, doch legte sie alle wieder neben mich auf den Nachttisch. Es war vergebens ich konnte mich nicht konzentrieren, solange mein Kopf so weh tat und voller Gedanken war. 

Ich spürte, wie meine Gedanken immer düsterer wurden und immer wieder in alte Muster abrutschten. Es war doch sowieso egal oder nicht? Warum nicht für immer liegen bleiben?

Irgendwann stand ich plötzlich auf. Ich konnte mir nicht erklären, woher dieser plötzliche Schub kam, doch ich hatte das dringende Bedürfnis, mich zu bewegen. Ich ging hinüber zu Tür und öffnete sie. Ich schaute mich nach Mum und Das um, doch Sie schienen nicht auf dieser Etage zu sein. Ich ging ins Bad.

Nachdem ich mich einigermaßen hergerichtet hatte, ging es mir ein wenig besser. Erfrischt lief ich langsam die Treppe hinab, wobei ich die düsteren Gedanken nicht vollkommen abschütteln konnte. Ich fragte mich, ob ich sie jemals ganz beiseite schieben konnte. 

Als ich im Erdgeschoss angekommen war, hörte ich ein leises Schluchzen und hier inne. Vorsichtig näherte ich mich dem Wohnzimmer, aus welchem ich Geräusche und Stimmen vernahm. Die Tür war nur angelehnt, trotzdem konnte ich meine Eltern nicht sehen. Ich wusste trotzdem, dass sie darin waren. Ich hörte, wie meine Mutter versuchte, weitere Schluchzer zu unterdrücken und meinen Vater, wie er beruhigend auf sie einredete. 

"Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Es wird einfach nicht besser. Ich dachte dieser Klinikaufenthalt hätte ihr geholfen. Ich dachte, dass alles wieder gut wird, wenn sie nur wieder zuhause ist. Doch sie scheint bedrückter denn je. Was soll ich denn tun Nathaniel? Ich habe das Gefühl, alles jeden tag nur schlimmer zu machen."

"Du machst doch nichts falsch Olivia, Liebling. Du kannst nichts dafür, es ist diese verflixte Krankheit."

"Aber was ist es denn überhaupt? Hat sie jemals eine vernünftige Diagnose bekommen? Die Ärzte sagen mir nichts, sie sagt mir nichts, ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Es hat ja noch nicht mal einen Namen! Wie soll man etwas bekämpfen, was keinen Namen hat?"

"Ich weiß es auch nicht, Liebling. Ich weiß es doch auch nicht. Ich weiß nur, dass du nicht die Schuld daran trägst. Du machst dich unnötig fertig, so kannst du Werder dir selbst noch ihr helfen."

"Aber wie soll ich ihr denn helfen Nathaniel? Sie spricht ja nichtmal mit mir, sie sagt nie, wie sie sich fühlt. Sie hockt den ganzen Tag in diesem verdammten Zimmer. Ich weiß einfach nicht, wie ich an sie herankommen soll."

Meine Brust schmerzte. Ich konnte nicht mehr atmen. Dieses Gespräch lies alle Wunden in meinem Inneren aufreißen. Ich sank zu Boden und umfing meine Knie mit meinen Armen. Ich kniff die Augen zusammen und verzog meinen Mund zu einem stummen schrei. Die Tränen liefen mir unaufhaltsam über die Wangen. Ich konnte mich nicht bewegen. 

"Als ihr gestern vorm Eiscafé zurück kamt, saht ihr beide richtig glücklich aus. Ich glaube, das ist das erste Mal seit Jahren gewesen, dass ich Mary aufrichtig lächeln gesehen habe."

Nun seufzte Mum, aber es klang nicht traurig. Sie klang irgendwie...erleichtert.

"Ja du hast Recht, das war wirklich ein schöner Ausflug. Du hättest sie sehen sollen. Als dieser Kellner das ganze Eis auf sich kleben hatte konnte sie sich kaum das Lachen verkneifen. Sie wirkte so frei so...gelöst. So wie früher. Nathaniel, wann ist das alles passiert? Wann ist aus unserem süßen, fröhlichen kleinen Mädchen dieser wandelnde Schatten geworden? Warum haben wir es nicht früher gemerkt? Warum musste sie erst in dieses verfluchte Auto steigen und..."

Jetzt schluchzte Mum wieder. ich hörte, wie Dad sie in dem Arm nahm und zu ihr flüsterte. 

Das reichte. Es reichte nun endgültig. Wie kann ich weiterhin solche Gedanken haben, wenn es doch offensichtlich ist, wie sehr ich andere damit verletzte? 

Ich musste hier raus. Sofort. Doch ich konnte nicht einfach davonlaufen. Nicht, wenn Mum und Dad sich solche Sorgen um mich machten.

Kurzerhand lief ich nach oben in mein Zimmer. Als ich die Tür öffnete, schlug mir stickige Luft entgegen. Hatte ich wirklich die letzten Stunden in diesem Raum aufgehalten? jetzt wollte ich nur noch so schnell wie möglich raus hier. 

Ich riss meine beiden Fenster auf und schnappte mir einen Stift und ein Blatt Papier. Schnell kritzelte ich eine Notiz

"Ich gehe spazieren. Macht euch keine Sorgen. Ich habe mein Handy dabei. Ruft mich gerne an, wenn etwas sein sollte."

Die Notiz ließ ich in meinem Zimmer liegen. Ich schnappte mir eine Jacke, streifte mir im gehen meine Schuhe über und schloss die Haustür hinter mir.


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