9. „Rucke di guck, rucke die guck, Blut ist im Schuck..."

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„... Der Schuck ist zu klein, die rechte Braut sitzt noch daheim."

Auf dem Sofa im Wohnzimmer zurückgelehnt und die Füße auf den Couchtisch gelegt, musterte ich den Hackenschuh mit dem abgebrochenen Absatz. Nachdem sich die Fahrstuhltür hinter Marissa und ihrer Freundin geschlossen hatten, ich die erstbeste Möglichkeit genutzt und die Schuhe aus dem Mülleimer gefischt. Meine Freunde und die anderen Gäste hatten es zum Glück nicht mitbekommen.

Die Worte der Fremden wollten mir nicht mehr aus dem Kopf gehen, während ich ihren Schuh hin und her drehte. „Was wäre, wenn ich nicht in einem Penthaus wohnen würde, sondern in einem kleinen sehr baufälligen Haus? Was wäre, wenn ich kein reiches Mädchen wäre, sondern nur eine, die weiß wie viel das Essen hier gekostet hat und wann der Lieferant, der es gebracht hat, vom Laden losgefahren ist? Würdest du mich dann immer noch wollen?" Und wie sie mich dabei angeschaut hatte. In ihren smaragdgrünen Augen stand ein flehentlicher, ja fast verzweifelter Ausdruck. Als wären meine Antworten ihr sehr wichtig gewesen und trotzdem schien sie auch Angst vor ihnen zu haben.

Dachte die Fremde, ich würde sie einfach links liegen lassen, nur weil sie scheinbar kein super reiches Girl ist? Für was für einen Typen hielt sie mich? Ich fuhr mir durch die Haare. Nur weil ich Kohle besaß und weltberühmt war, war ich noch lange kein solches Arschloch. Nur, um das mal Klar zu stellen. Egal ob sie Geld besaß oder nicht, die Fremde hatte mich vom ersten Augenblick verzaubert. Meine ganzen Sinne waren auf sie gerichtet, sobald sie auch nur im gleichen Raum war wie ich und sonst nahm sie auch so meine Gedanken in Anspruch, seit unserer ersten Begegnung. Daher wollte ich sie auch unbedingt näher kennenlernen. Ich war in meinem ganzen 25 Lebensjahren noch keiner Frau begegnet, die mich so fesselte.

Wieder drehten sich meine Gedanken um ihre Fragen. Mehrere Wörter stachen immer wieder hinaus. „Wie viel das Essen hier gekostet hat", „Lieferant" und „losgefahren" brachen mir den Lichtblitz.

„Thomas?" schrie ich. „Thomas, wo bist du?"

Eine Tür von einem der Gästezimmer ging auf. „Was!" knurrte mein Freund verschlafen.

Ich stand vom Sofa auf und ging zu ihm hinüber. „Ich muss was wissen."

„Und das kann nicht warten?" grummelte er.

„Nop." Antwortete ich knapp.

Thomas lehnte sich gegen den Türrahmen. „Okay, was willst du so dringend wissen?"

„Woher kam das Essen auf den Partys?"

„Ernsthaft?! Dafür holst du mich aus dem Bett? Sorry Mann, aber ich geh jetzt wieder schlafen." Schnell packte ich ihn am Arm, um ihn aufzuhalten.

Ungeduldig drängelte ich. „Bitte! Ich muss es unbedingt wissen."

Verwirrt schaute mich mein Freund an. „Alles in Ordnung mit dir Nil? Du bist schon die ganze Woche so komisch drauf."

„Ja, ja, alles klar. Aber ich muss es unbedingt wissen."

Er musterte mich von oben bis unten, ehe er mit den Schultern zuckte. „''Rosas Feinschmeckerladen''. War das alles?"

„Jap, danke Mann." Sagte ich lächelnd und wand mich rasch zum Ausgang.

Ich griff nach meiner Lederjacke und war schon fast am Ausgang, als mich Thomas stimme abrupt Anhalten ließ. „Ich weiß zwar nicht, was du dort willst, aber da heute Sonntag ist, wirst du dort niemanden antreffen. Du musst wohl bis morgen warten."

Fluchend blieb ich stehen. Warum musste gerade heute Sonntag sein?

***

Der Regen prasselte auf die Frontscheibe meines Mustangs, während ich am nächsten Tag den Laden auf der gegenüberliegenden Seite anstarrte. ''Rosas Feinschmeckerladen'' stand in Großbuchstaben über die Eingangstür geschrieben. Also hier arbeitete mein fremdes Mädchen.

„Also, hast du jetzt genug auf die Ladenfront gestarrt? Können wir dann jetzt reingehen?" motzte Lewi mich von der Rückbank an. Jakob nickte bekräftigend.

Genervt schaute ich die Zwillinge durch den Rückspiegel an. „Hab euch ja nicht gezwungen, mit zu fahren." Ganz im Gegenteil, eigentlich wollte ich sie sogar abwimmeln. Leider ohne Erfolg.

Thomas lachte laut auf. „Als würden wir dich das alles alleine durchziehen lassen, Mann."

Ich schaute zu meinem Freund auf dem Beifahrersitz. Dankbarkeit machte sich in mir breit. Obwohl ich die drei eigentlich nicht dabeihaben wollte, standen sie mir trotzdem bei und halfen mir durch dick und dünn. Nervige, aber echte Freunde!

Seufzen öffnete ich die Autotür. „Leute, auf eure eigene Verantwortung." Mit diesen Worten stieg ich aus in den kalten Novemberregen.

***

„Was kann ich für euch tun?" mit kräftigem Hüftschwung kam kokett lächelnd eines der beiden Mädchen von der Party uns entgegen. Sissy war das, glaube ich.

„Hallo Stella Schätzchen..." Ups, also doch die Andere. Naja, wen interessierte es. „...wie geht's, wie stehts?" begrüßte Thomas die Brünette.

Was sieh darauf antwortete ignorierte ich. Stattdessen suchte ich die Gänge mit meinen Augen ab. Doch ich fand nur die zweite Brünette, die mit einem süßlichen Lächeln auf den Lippen zu uns kam. Sonst war keine weitere Person hier im Laden. Wo war nur die Fremde?

Eine kräftige Hand landete auf meiner Schulter und riss meine Aufmerksamkeit zurück zum Gespräch.

„Nil hier ist der Grund für unseren erneuten Besuch." Klärte Jakob gerade die beiden Frauen auf.

„Ach ja?" fragte Sissy verführerisch mit den Augen klimpernd. „Was können wir den für dich tun?"

„Ähm... Ich such das Mädchen von der Party, die der Schuh gehörte." Ich zog aus einem Beutel den unversehrten goldenen Hackenschuh und zeigte ihn den Mädels.

Stella ergriff den Schuh und sah ihn sich genau an. „Der könnte jedem Mädchen gehören. Nichts Besonderes." Sie ging hinüber zu einem Stuhl im Kassenbereich, zog einen ihrer Schuhe aus und probierte den Hackenschuh an. „Also wer den anziehen kann, der hat sich die Zehen abgehackt." Mit diesen Worten zog sie den Schuh wieder aus und reichte ihn an Sissy weiter. Diese unterzog ihn ebenfalls einer genauen Musterung.

„Kleine Füße, 35 oder 36." Murmelte sie, bevor sie sich ebenfalls auf den Stuhl setzte, um den Schuh anzuprobieren. „Nicht nur die Zehen muss man sich bei dem Ding abschlagen, sondern auch die Ferse."

Sissy gab mir den Schuh zurück und zuckte die Schultern. „Keine Ahnung, wem der gehört."

„Gibt es nicht noch jemanden hier, der diesen Schuh testen konnte." Fragte ich schon fast verzweifelt.

„Nein, diese Stella und Sissy sind meine einzigen Angestellten." Kam es von einer älteren, streng wirkenden Dame in steifer, weißer Bluse und schwarzen eleganten Rock. „Guten Tag die Herren, ich bin Rosa Elster. Mir gehört dieser Laden." Sie streckte mir auffordernd ihre Hand entgegen.

Überrumpelt ergriff ich ihre Hand und schüttelte sie. Ich wollte gerade etwas erwidern, als die Ladentür aufgerissen wurde und eine stinkwütende Marissa in den Laden gestürmt kam. „Wo ist sie? Wo ist Olivia?!"

altes, neues Märchen - AschenputtelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt