Kapitel 4 - Vom Thron gestoßen

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Kapitel 4:

Meine Gedanken überschlagen sich, als ich immer und immer wieder die Worte des Generals in meinem Kopf revue passieren lasse, wie eine Schallplatte mit Sprung. Insbesondere hallen die Worte „letzte Chance“ gespenstisch lange nach und bereiten mir eine Gänsehaut.
Ich atme tief ein und aus. Ganz ruhig! Was kann schon so schlimm daran sein einen auf treudoofen Hund zu machen? Alle anderen kriegen das auch hin, also wirst du das erst recht schaffen!
Augenblicklich kommt mir ein anderer Gedanke.
Was, wenn ich mich zuvor nie genug einfach bemüht habe? Was, wenn ich in Wirklichkeit schon vorher in der Lage gewesen wäre diszipliniert Anweisungen Folge zu leisten? Hätte ich mir dann nicht diese ganzen blöden Umstände ersparen können?
Ich denke zurück, an einige Situationen, die ich möglicherweise hätte verhindern können, als mir auffällt, dass ich nichts im Geringsten bereue. All meine Reaktionen beruhen auf der Tatsache, dass ich in dem Glauben gehandelt habe, dass es richtig ist, was ich tue. Ich habe es getan, weil ich davon überzeugt war.
Wahrscheinlich ist also nicht meine Disziplin das Problem, sondern womöglich meine Einstellung und Sichtweisen zu gewissen Dingen?
Mit einem vertrauten Surren schließe ich den Reißverschluss von meinem Swimsuit, setze meinen Helm mit integrierter Status-Anzeige-Brille auf und trete in die Desinfizierungsdusche.
Mittels zweier Düsen rechts und links in der gefliesten Kammer, entweicht für zwei Sekunden kurz Gas, ehe sich anschließend die Tür zur Schwimmhalle öffnet.
Hustend trete ich aus der Kammer und wedele mit der Hand vor meinem Gesicht.
Auch wenn es ungefährlich ist, kratzt es unglaublich im Hals.
Mein Blick schweift die einzelnen Schwimmbahnen.
Ich will schon ein frustriertes Stöhnen von mir geben, als ich die letzte freie Bahn entdecken kann und schnurstracks darauf zu steuere.
Es ist kein Hallenbad im herkömmlichen Sinne. Alle Bahnen sind separat und voneinander durch dünne Wände getrennt. Darüber erstreckt sich jeweils eine Glaskuppel, die aufgewühltes Wasser abfängt, damit sie nicht auf die andere Bahn gelangen und den neben dir Schwimmenden ablenken oder stören.
Ich trete an das lange, schmale Becken heran und halte meinen Chip an dem Handgelenk meines Swimsuits vor die Kamera links neben der Glastür zur Bahn. Kurz darauf ertönt ein „Registriert!“ und die Tür vor mir öffnet sich.
Aufregung packt mich, als ich das sanfte Plätschern von Wasser höre und mein Puls beschleunigt sich. Sofort erscheint links in meinem Blickfeld auf der Brille die Anzeige meines stetig steigenden Pulses, während alle anderen mit einem „Im Normalbereich!“ gewertet werden.
Ein schiefes Grinsen stiehlt sich auf meine Lippen, während ich meine Haltung zum Sprung einnehme und mit dem Befehl „Countdown“ eine holografische Anzeigetafel auf meiner Brille abgezeichnet wird, welche von drei runter auf eins zählt und mich mit einem „Go!“ starten lässt.
Das Startsignal ertönt und wie ein Pfeil schieße ich daraufhin ins Wasser.
Ich nutze kurz den Schwung, ehe ich auftauche und anfange wie eine Maschine mich routiniert durchs Wasser zur pflügen und – nennt es übersinnliche Wahrnehmung oder Paranoia – aus irgendeinem Grund, habe ich das Gefühl beobachtet zu werden.
Ungeachtet dieser Tatsache, zwinge ich mich dennoch dazu es möglichst zu verdrängen und konzentriere mich voll und ganz auf das, was ich tue.
Nachdem ich das 25. Mal an der Beckenkante anschlage, eine Rolle mache und mich mit meinen Beinen wieder abstoße, erscheint die Anzeige, dass ich die Hälfte geschafft habe.
Alle fünf Runden werden meine körperlichen Werte abgerufen und angezeigt, damit ich den Überblick behalte und sicherstellen kann, dass alles gut ist und derzeit keine vorzeitige Unterbrechung der Übung vorgeschlagen wird.
Runde 45. Die finalen Bahnen stehen an, ich stehe kurz vor dem Schluss, weshalb ich nochmals all meine Kräfte mobilisiere, konzentriere und schließlich einsetze. Noch stärker als zuvor bewege ich meine Beine im Gleichtakt, tauche meine Arme ins Wasser und schiebe es noch schneller zurück.
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47...
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49...
Mit einem lauten Klatschen schlage ich erneut auf den Rand: 50!
Mit pumpenden Herzen, zitternden Armen und hastigen Atemzügen klammere ich mich an der Kante fest und beginne langsam damit mich wieder zu beruhigen und meine Körperfunktionen runterzuschrauben. Und dann erscheint sie, meine benötigte Zeit für die Schwimmübung: Zweiundzwanzig Minuten und zwanzig Sekunden.
Neue Bestleistung.
Die Zahlen treten in den Hintergrund und unter ihr werden in einer fein säuberlichen Tabelle meine vorigen Leistungen aufgelistet. Dann nimmt der Computer sie und fügt sie in einem Koordinatensystem ein, wo jetzt ein kleine Linie nach oben führt. Daneben taucht der prozentuale Wert meiner verbesserten Leistung auf.
Erleichtert und mit einem breiten, aber erschöpften Grinsen im Gesicht, hieve ich mich aus dem Becken, und trete aus der Glaskuppel.
Noch kurz den Chip an den Scanner halten, damit der neue Rekord verewigt werden kann, dann nehme ich endlich den Helm ab und lasse ihn achtlos auf den Boden fallen.
Mit einem tiefen Seufzen lasse ich einmal kurz meinen Nacken mit einer schnellen Bewegung nach links und rechts knacken und mache mich daran meine erschöpften Muskeln zu massieren und zu lockern.
Schließlich hebe ich den Helm auf, wringe einmal meine Haare aus und mache mich auf dem Weg in die Umkleidekabinen.
Ich erreiche fast die Tür, als plötzlich eine Durchsage gemacht wird. „Agent C.C.01!“, hallt eine mir nur zu bekannte Stimme aus den Lautsprechern der Halle und lässt mich stehenbleiben.
Ich kneife die Augen gequält zusammen, bereite mich innerlich auf das mich womögliche Erwartende vor und drehe mich zu meinem Commander um.
Mit einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck thront sie auf einem ihrer Komfortstühle und grinst mich an, während ihr stämmiger Zeigefinger auf dem Knopf zur Lautsprecheranlange ruht. Sie sitzt im Überwachungsraum des Schwimmhalle, welcher den V.I.P.-Plätzen in einem Fußballstadion gleichkommt.
„Kommen Sie nach Ihrer Umkleide unverzüglich zu mir!“
Aber gerne doch, sonst noch Wünsche?, denke ich wutschäumend, wobei mein Blick auf ihr blaues Auge fällt.
Mit Mühe und Not kann ich mir einen Gesichtsausdruck der Genugtuung gerade noch verkneifen, was jedoch nichts daran ändert, dass ich so eine Vorahnung habe, dass dieses Gespräch alles andere als bedeutungslos wird.
In meinen Gedanken versunken, bemerke ich erst gar nicht, dass jemand neben ihr sitzt. Als ich jedoch einen zweiten, weitaus intensiveren Blick auf mir spüre, schaue ich auf die Person rechts von ihr, welche erst gar keinen Hehl daraus, macht mich unverhohlen eingehend zu mustern.
Ein sehr junger Mann, vielleicht drei oder vier Jahre älter als ich. Sein Gesicht besitzt ebenmäßige, reife Züge. Sein Körper ist durchtrainierter als der Durchschnitt vieler männlicher Sycious, dafür sind jedoch seine blauschwarzen Haare länger, als es sich für gewöhnlich gehört. Auf der linken Seite sind sie kurz rasiert, hingegen auf der rechten sie ihm ungehindert ins Gesicht fallen.
Selbst nach einigen Sekunden des gegenseitigen Anstarrens, kommt er nicht auf die Idee seine Aufmerksamkeit Commander D.K. 023 wieder zukommen zu lassen, obwohl diese ihn mittlerweile ohne Unterlass zuquatscht.
Leg dir mal einen vernünftigen Haarschnitt zu!, denke ich, rümpfe die Nase und trete in die Umkleide.

Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass mir mein Commander den Neuankömmling vorstellen möchte, welcher offensichtlich mein Gesicht so interessant fand, allerdings finde ich die alte Schabracke alleine im Glaskäfig vor, als ich eintrete. Von der schwarzen Haarkatastrophe keine Spur mehr.
Dennoch lasse ich mich nicht beirren.
Die Tür schließt sich hinter mir und von da an herrscht Stille im gesamten Raum.
Auffordernd starre ich erst den Hinterkopf meines Commanders an, welcher den Blick nach draußen in die Halle gerichtet hat und mir den Rücken zudreht.
Gelangweilt lasse ich meinen Blick durch den karg möblierten Raum schweifen, ehe ich mich darauf besinne, dass ihr Schweigespiel zwar eine Form der Machtklärung ist – sprich wer die Oberhand hat und wer nicht – aber es bleibt mir nichts anderes übrig, als auf mich aufmerksam zu machen. Schließlich kann sie sitzen und ich nicht. Von daher würde ich so oder so irgendwann den Kürzeren ziehen, wenn ich hier ewig stehenbleibe.
Ich räuspere mich. „Sie haben nach mir verlangt.“
Sie wendet sich mir zu, setzt einen gespielt überraschten Gesichtsausdruck auf und nickt.
„Ich habe Sie gar nicht kommen hören!“, rechtfertigt sie sich.
Am liebsten hätte ich mit den Augen gerollt und den Raum wieder verlassen. Wer's glaubt!
Sie deutet auf einen Stuhl ihr gegenüber. „Setzen Sie sich!“
Ich folge ihrer Anweisung, setze mich hin und schaue sie auffordernd an.
„Wie ich gehört habe, werde ich nun ab heute nicht mehr für Sie verantwortlich sein.“, beginnt sie und ich nicke zur Bestätigung ohne jegliche verräterische Emotionen, während ich in Gedanken mich bereits über diese Tatsache Lambada tanzen und Champagner trinken sehe. Vorerst bin ich sie los.
„Ich habe mich bereits mit ihrem neuen Vorgesetzten unterhalten.“
Meine Augenbrauen huschen irritiert nach oben. „Ach wirklich?“, frage ich mit gespieltem Interesse, während ich mich frage, was sie mir eigentlich genau damit sagen will.
„Allerdings“, bestätigt sie überheblich und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. „Sagt Ihnen der Name Damian VanSerra etwas?“
Ich überlege kurz, schüttele jedoch schon gleich den Kopf, weil es mir weder bekannt vorkommt, noch habe ich ihn anderweitig einmal gehört.
„Schade“, seufzt sie und ich beginne zu stutzen. Mir gefällt die Richtung nicht, die dieses Gespräch nimmt.
Augenblicklich vernehme ich ein „Registriert!“, was bedeutet, dass jemand ein Becken betreten hat. Und auch wenn ich es nicht will, so nimmt meine Neugier überhand und lässt meinen Blick die Bahn absuchen, die eben gerade betreten wurde.
Mittlerweile beginnt mein Commander wieder zu schwafeln, versucht mich mit irgendwelchen unnötigen Informationen über meinen jetzigen Vorgesetzten zu füttern, doch ich höre ihr nur halbherzig zu, weil mein Blick wie gebannt an der Person klebt, die gerade wie ein Torpedo durch das Wasser schießt.
Seine Bewegungen sind so akkurat, dass ich das Gefühl habe, dass er fast Teil des Wassers ist.
Bahn für Bahn meistert er ohne großartig an Geschwindigkeit zu verlieren.
Der Typ ist schnell!
Halbzeit, er ist in der 25. Runde.
Zu schnell...
Mit wachsender Unruhe schaue ich zu, wie er auch die restliche Hälfte unglaublich gut meistert.
MIt dem letzten Anschlag beendet er seine Übung und ich erstarre, als auf der elektronischen Bestentafel in der Halle mein Name von Platz eins auf zwei rutscht und stattdessen ein anderer auf die Spitze gesetzt wird: Damian VanSerra.
Ich ziehe scharf die Luft ein, jegliche Farbe weicht mir aus dem Gesicht, als ich seine Zeit lese: glatte 19 Minuten.
Mir wird übel.
Langsam, fast in Zeitlupe, lasse ich meinen Blick zu demjenigen schweifen, welcher mich überboten hat.
Als ich sehe, welcher Kopf unter dem Helm zum Vorschein kommt, balle ich die Hände wütend zu Fäusten und presse die Zähne so stark aufeinander, dass sie knirschen. Und dann, als wüsste er, dass ich ihm zugesehen habe, dreht er sich zu mir um und erwidert meinen Blick. Und dieses Mal lächelt er.
„Mistkerl!“, flüstere ich und augenblicklich fällt mir die Stille auf, welche sich ausgebreitet hat.
Ich schaue zu meinem ehemaligen Commander, welcher mich abfällig angrinst und dann ebenfalls meinen Blick zu Damian alias Haarkatastrophe wendet.
„Beeindruckt?“, säuselt sie spöttisch und ich überlege gerade ernsthaft, ob ich ihr vor die Füße kotze, weil ich bei ihrer Falschheit würgen muss. „Wie fühlt sich das an, nicht mehr die Nummer eins zu sein?“
Das reicht!
Ich stehe auf und das so schnell, dass mein Stuhl nach hinten kippt und flüchte aus dem Raum.
Das kriegt sie zurück!, schwöre ich mir und werde wahrscheinlich niemals in meinem Leben diese unglaubliche Erniedrigung vergessen können.

Outside Apocalypse *Slow Update*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt