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Wie ich Jake kennengelernt habe, ist eine komplizierte Geschichte.

Als ich sechs Jahre alt war, brachte meine Mutter mir das Stricken bei. Ich machte schnell große Fortschritte, was meine Mutter sehr überraschte. Wir waren eine glückliche Familie, bis sie kurz darauf bei einem Autounfall ums Leben kam. Seit dem ist die Beziehung zu meinem Vater sehr kühl. Als er damals für mich und meinen kleinen Bruder hätte da sein sollen, verbrannte er alle  Familienfotos. Mir blieben nur einige wenige in meinem Zimmer, von denen er nichts wusste. Er hat noch nie offen über Mamas Tod gesprochen, so als wollte er sie einfach vergessen.

Doch manchmal hörte ich ihn in seinem Zimmer leise weinen, wenn er glaubte, das es wir es nicht hörten. Damals war er sehr überfordert, mit den Jahren aber legten sich die Probleme und er wurde ruhiger und geduldiger mit uns.

Neun Jahre nach Mamas Tod fing ich wieder mit dem Stricken an. Ich fühlte mich ihr dadurch sehr nah. Es war fast so wie früher, als sie einfach neben mir gesessen hatte und Bücher vorlaß, während ich strickte.

Eines Tages, als ich mal wieder, wie so oft auf den Dachboden kletterte um in Ruhe zu stricken, viel mir das Schlaflied ein, mit dem meine Mutter mich immer in den Schlaf gesungen hatte.

Ich setzte mich auf den Boden und fing an zu stricken und mich an das Lied zu erinnern. Leise sang ich es vor mich hin und spürte dabei eine gewaltige Energie. Es fühlte sich gut an und ich sang weiter. Als ich aufblickte legte ich die Nadeln beiseite und lief zu dem alten Spiegel. Dort ist ein Bild zu sehen. Nein. Es ist ... - unmöglich! In dem Spiegel waren kleine Kinder, die auf einer Wiese neben einer alten Holzhütte spielten, zu sehen. Alles bewegte sich wie in einem Film. Meine Finger kribbelten, als ich den Spiegel berühren wollte und plötzlich war ich fort. Der Dachboden war fort. Ich war in einer anderen Zeit gelandet.

Nach zwei harten Tagen, in denen ich auf der Straße schlief, traf ich, beziehungsweise Jake mich in einer Kneipe, nach dem ich etwas Geld gestohlen hatte um etwas essen zu können. Betteln hatte mir nicht viel eingebracht.

Er wurde durch meine unpassende Kleidung auf mich aufmerksam. Als er mich darauf ansprach, erzählte ich, dass ich in einem Theater arbeite und mich noch nicht umgezogen hatte. Schließlich würde man mich für eine Hexe oder sowas halten, wenn ich die Wahrheit erzählt hätte. Interessiert hörte er sich meine Lügen an und lud mich auf ein Essen ein.

„Aber da kenne ich ein besseres Gasthaus mit passenderer Gesellschaft für eine so hübsche junge Dame. Es ist ein Stückchen weiter die Straße herunter." erklärte er. Als wir die Kneipe verlassen hatten und die einsame Dunkelheit uns umgab sagte er: „Hör zu, ich weiß zwar nicht aus welcher Zeit du kommst, oder wie lange du schon hier bist, aber du solltest schnell von hier verschwinden. Komm mit mir, ich helfe dir."

„Aber woher-" fing ich an, doch er unterbrach mich mitten im Satz.

„Ich habe jetzt keine Zeit für Fragen. Komm jetzt, wenn ich dir helfen soll zurück zu kommen."

Wortlos folgte ich ihm in sein Haus. Er flüsterte geheimnisvolle Worte die ich nicht verstand und plötzlich tauchte ein helles Licht vor uns auf der Wand auf. Ich berührte sie.

...

„Sophie! Sophie, wach auf!" rief eine mir bekannte Stimme.

„Mhm?" murmelte ich und öffnete die Augen. Es war mein Vater.

„Warum schläfst du auf dem Dachboden? Es ist sehr kalt hier, du könntest dich erkälten." sagte er besorgt.

Ich sah zum Spiegel rüber. Alles war ganz normal, wie vorher. War das ein Traum?

Verwirrt stand ich auf und lief zum Spiegel. Ich betrachtete ihn stirnrunzelnd. Ein ganz normaler antiker Standspiegel, welcher von geschnitzten rankenden Rosen umrahmt war. Die schwarze Farbe des Rahmens blätterte an einigen Stellen schon leicht ab. Ich strich über den alten Holzrahen und zeichnete mit den Fingern die Rosen nach.

„Der gehörte deiner Mutter. Jeden Morgen betrachtete sie ihr hübsches Gesicht darin und ich sagte ihr jeden Morgen aufs Neue wie hübsch sie war." Ich lächelte. Mein Vater lachte auf „Genau, dann lächelte sie immer genau so bezaubernd wie du jetzt."

Mir kamen die Tränen. „Ich vermisse sie so sehr." flüsterte ich. „Ich weiß, Soph. Ich auch." sagte er und nahm mich in den Arm. „Warum ist deine Hose eigentlich so schmutzig?"

Ich sah an mir herunter. Tatsächlich. War es also doch kein Traum?

„Wie lange war ich hier oben?" fragte ich.

„Äh, vielleicht zwei Stunden oder so. Zieh dich erst mal um und komm dann in die Küche. Es gibt Abendessen. Übrigens kommt Anton morgen von seinem Ausflug wieder."

Anton ist mein kleiner Bruder. Er sitzt im Rollstuhl und ist von Geburt an gelähmt. Seine Wirbelsäule ist beschädigt, sodass er seine Beine nicht bewegen kann. Es gibt eine Gruppe namens ‚Great Marple', die jedes Jahr einen Ausflug für körperbehinderte Kinder, wie ihn, organisiert. Dort hat er auch schon viele Freunde kennengelernt.

Ich zog mir schnell frische Klamotten über und lief ins Wohnzimmer. Dort begrüßte ich Anton und kuschelte mich anschließend in den alten Sessel. Dad reichte mir einen Teller mit Nudeln.

„Warum bist du so nachdenklich?" fragte er und unterbrach die Stille.

„Es ist nichts. Alles gut. Wie war die Arbeit?"

„Eigentlich wie immer. Und die Schule?"

„Ganz okay." sagte ich.

Tja, damit war unser Gespräch wohl beendet. 

Schwarze RosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt