"Oh Gott sei Dank, du bist durchgekommen!" Tamara hatte nicht einmal die Möglichkeit gehabt komplett ihrem Auto zu entfliehen, da belagerte sie schon ihre Mutter und nahm sie in Tränen aufgelöst in den Arm. Ihr verzweifeltes Schluchzen brach der Brünetten das Herz und beschwichtigend strich sie ihrer Mutter über den Rücken um sie zu beruhigen. Nur mit mäßigem Erfolg.Ihr Vater eilte ihr zur Rettung und zog seine Frau sanft, aber bestimmt von Tamara weg, um ihr genügend Raum zu lassen. "Du erdrückst sie noch." Auch wenn die Situation alles andere als entspannt war, so hörte man doch deutlich ein Schmunzeln aus seiner Stimme heraus.
Erst jetzt konnte Tamara alles um sie herum ein wenig erfassen. Aufgeregt liefen Männer, Frauen und Kinder von ihren Häusern zu voll bepackten Autos - hin und her - warfen große Taschen in die Kofferräume, wirkten abgehetzt und doch aufmerksam gespannt. Jeder kannte jeden in dieser kleinen Straße in Union City, Familien lebten hier teilweise seit Jahrzehnten Seite an Seite und luden sich gegenseitig zu gemeinsamen Barbecues ein, waren wie entfernte Verwandte.
Noch bevor sie das Geschehen um sie herum kommentieren konnte, hatte ihre Mutter sie am Arm gepackt und ins Haus gezogen, weg von der Straße, weg von den anderen Menschen. Irritiert musste Tamara feststellen, dass die Fenster mit Holzbrettern vernagelt worden waren, überall in den Ritzen steckten kleine Stofffetzen, um auch ja kein Licht durchzulassen - ob nun hinein oder hinaus.
"Dad! Wo zum Teufel kommen die Gewehre her?" Schockiert stand sie vor dem großen Esstisch, starrte auf die vier Waffen vor sich und war unfähig sich zu bewegen. Ihr Vater war ihr eigentlich immer wie ein Pazifist vorgekommen, er hatte weder gedient, noch hatte sie jemals im Haushalt ihrer Eltern Waffen gesehen, geschweigedenn war die Rede von selbigen gewesen. "Reine Vorsichtsmaßnahme." Ihr Vater schlenderte an ihr vorbei, hiefte einen Karton auf die Arbeitsplatte der angrenzenden, offenen Küche. Zum Vorschein kamen Beutel voller Kerzen, abgepackt, kleine Teelichter, große Stumpen, allerlei verschiedene Formen und Größen. "Zu unserem Glück hat meine Mutter solche Sachen immer gehortet, als ob demnächst die Welt untergehen würde." Seine Stimme hatte einen wehmütigen Klang angenommen. Tamaras Grandma war vor nicht einmal einem Jahr im hohen Alter verstorben - sie hatte im Obergeschoss einen kleinen Bereich für sich gehabt.
"Dad! Was für Vorsichtsmaßnahmen? Kannst du überhaupt schießen?" Ihre Stimme hörte sich fremd an, verzweifelt und hoch, fast schon fiepsig. "Schatz, du hast doch selbst mitbekommen, dass irgendwas nicht stimmt. Ich wette, in Atlanta ist es tausend Mal schlimmer, und hier ist es schon furchtbar!" Auf die Aussage ihrer Mutter konnte sich nichts erwidern, schaudernd musste sie an die Momente auf dem Campus zurückdenken, als Menschen andere Menschen einfach wahllos angegriffen hatten.
Noch bevor sie ihrer Mutter etwas entgegnen konnte, hämmerte es plötzlich lautstark an der Hauseingangstür. Das Geräusch dröhnte in ihren Ohren und reflexartig hielt Tamara sie sich mit den Händen zu, auch wenn die Lautstärke dadurch nur minimal gedämpft wurde. Das Hämmern wurde immer lauter und die Abstände immer kürzer - irgendjemand versuchte verzweifelt die Aufmerksamkeit der Hausbewohner zu erlangen. Tamara wollte bereits zur Tür gehen um diese zu öffnen, doch ihr Vater hielt sie an der Schulter fest und somit von ihrem Vorhaben ab.
„Du weißt nicht, wer da vor der Tür steht. Du hast keine Ahnung, ob es einer von ihnen ist." Und er hatte so recht mit seiner Aussage. Sie konnte nicht wissen, ob ein Mensch oder ein ... was auch immer vor der Tür lauerte. Sie konnte nicht wissen, ob Freund oder Feind wartete. Doch genau diese Unwissenheit machte sie fertig.
„Haben wir keine Möglichkeit zu schauen, wer dort auf der anderen Seite ist?" Es war eines der wenigen Male, dass Tamara diese Gegend rund um das Zuhause ihrer Eltern verfluchte. Niemand hatte hier einen Türspion, es war auch nur der momentanen Situation geschuldet, dass die Tür nicht einfach offen stand. Jeder kannte halt jeden.
„Ich gehe oben aus dem Fenster heraus nachsehen", flüsterte ihre Mutter und machte sich auf Zehenspitzen auf den Weg die Treppe nach oben. Das Klopfen ging weiter.
Bis Tamara und ihr Vater plötzlich die laute, hektische Stimme von oben vernahmen: „Macht die Tür auf, es ist Janice von gegenüber! Sie hat Kyle dabei!" Tamara erinnerte sich dunkel an die Frau und ihren Sohn, er musste ungefähr elf oder zwölf Jahre alt sein.Ihr Vater griff nach einer Eisenstange, die ebenfalls auf dem Esstisch lag und machte sich auf zur Hauseingangstür, bereit, im Falle des Falles zuzuschlagen. Er drückte die Klinke herunter und zog die Haustür ruckartig auf, blickte dann in die verwirrten Gesichter seiner Nachbarin und deren Sohn.
Tamara wieß die beiden mit einer Handbewegung an einzutreten, versuchte dabei das Geschehen hinter ihnen, draußen auf der Straße, zu erfassen. Der Geländewagen eines anderen Nachbarn rauschte im Affenzahn an ihrer Auffahrt vorbei, immer wieder ertönte die Hupe des Autos, bis sie in der Ferne nicht mehr zu vernehmen war - was für ein Tempo!
"Geht es euch gut?", fragte Tamaras Mutter, die wieder unten bei ihnen im Erdgeschoss angekommen war und am Fuß der Treppe stand. Janice nickte nur und brach kurz darauf in Tränen aus. Kyle rührte sich nicht neben seiner Mutter, sagte kein Wort, starrte einfach nur leer vor sich hin. "Was ist passiert?" - "Tammy, Kind, holst du uns bitte etwas zu Trinken aus der Kammer?" Wie gerne hätte sie in diesem Moment die Augen verdreht, doch sie gehorchte ihrer Mutter, welche Janice zur Couch lotste und ihr immer wieder sanft über den Arm strich.
Als Tamara grade in der Vorratsammer angekommen war und nach einer Flasche Limonade greifen wollte, hörte sie plötzlich ein lautes Schluchzen von Janice und darauf sprudelte es nur so aus der aufgebrachten Frau heraus: "Mr. Gilbert, ihr wisst schon, vom Ende der Straße, ich weiß nicht ... ich glaube irgendwas stimmt nicht. Er stand bei uns im Garten, sein Gesicht - oh Gott sein Gesicht, er sah aus, als würde er ... als würde er verfaulen! Und Daisy, dieser dumme, dieser dämliche zutrauliche Köter von nebenan, Daisy ist auf ihn zugerannt. Und ... oh Gott!"
Schockiert lehnte Tamara am Türrahmen und lauschte den Worten von Janice, die Flasche fest in der Hand haltend, sodass ihre Knöchel bereits weiß hervortraten.
"Er hat Daisy gefressen."
Die Worte des kleinen Jungen kamen so plötzlich und mit einer Wucht, dass Tamara taumelte und die Flasche ihrer Hand entglitt, das laute Zerbersten des Glases drang gar nicht zu ihr durch. Sie hörte immer nur wieder Kyles Stimme.
"Er hat Daisy gefressen."
"Er hat Daisy gefressen."
... gefressen ...
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From the Beginning
FanfictionSeit Wochen schon streift Tamara ziellos durch die von Untoten geplagte Gegend. Nachdem ihr Zuhause in einem kleinen Vorort von Atlanta von den Infizierten überrannt worden war, änderte sich ihr Leben auf einen Schlag. Auf sich allein gestellt lebt...