Körperwärme

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„Verflucht, wie viel wiegst du, verdammt?!" Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, als sie Daryl so durch die Wälder schleifte, immer seinen Anweisungen und Richtungen folgend. Der Kerl würde noch im Delirium Spuren lesen und Recht behalten wollen, so viel war sicher.

Tamara versuchte, nicht allzu sehr auf sein Stöhnen einzugehen und ihn zu ignorieren, sich nicht ablenken zu lassen, denn sie musste Daryl und sich selbst so schnell wie möglich in Sicherheit bringen, sonst war's das mit ihnen. „Vorsichtig, Bambi, nicht zu ruckartig!"

Sie knirschte mit den Zähnen und packte ihn ein bisschen grober, zischte daraufhin: „Nenn mich nicht so, verflucht. Ich hab nen richtigen Namen." Ein Lachen entfuhr ihm, als sie gerade die Hütte entdeckte, von der er erzählt hatte. „Du wirkst mehr wie n verschrecktes Reh, find, der Name passt zu dir."

Seine Feststellung machte sie nur noch wütender und sie hätte ihn beinahe fallen und sich selbst überlassen, wenn da nicht tief in ihrem Inneren dieses verfluchte Pflichtbewusstsein gesteckt hätte. „Nenn mich noch einmal so und ich schwöre dir, ich lass dich hier liegen und elendig verrecken."

Sie sah aus den Augenwinkeln, dass er zu einer Antwort ausholte, doch da raschelte es auf einmal in einem Gebüsch neben ihnen und ein ziemlich verfaulter Beißer stolperte direkt auf sie zu. Panisch blieb Tamara stehen und konnte so schnell nicht erfassen, was sie tun sollte, als Daryl sich von ihr losriss und seine Armbrust richtete, dem Beißer gezielt einen Pfeil zwischen die Augen jagte.

Dann sackte er in sich zusammen. „Hey, hey! Aufstehen, komm schon, Redneck!" Tamara wurde hektisch und versuchte, ihn hochzuhieven, doch er rührte sich nicht, hatte die Augen vor Anstrengung geschlossen. „Daryl verdammt! Lass mich nicht hängen, man!" Sie legte sich seinen rechten Arm um die Schulter, packte nach seiner fallengelassenen Armbrust und zog ihn mit sich, spürte das Stechen in den Seiten und tat ihr Möglichstes, die Anstrengung und den Schmerz auszublenden.

Keuchend öffnete sie die Tür der Hütte und stellte erleichtert fest, dass sie keine ungebetenen Besucher beherbergte. Es war ein großer Raum, die Fenster waren verrammelt, bis auf eins. In der Ecke stand ein großes, zerwühltes Bett und Konserven lagen auf dem Boden herum. Sie erinnerte sich daran, dass Daryl erwähnt hatte, schon einige Male hier gewesen zu sein.

Sie schleifte ihn ins Innere und legte ihn vorsichtig auf dem Bett ab, sah zu, wie er an die Wand robbte und dabei immer wieder vor Schmerzen die Augen zukniff. Eilig schloss sie die Tür wieder und schon die daneben stehende Kommode davor, als Schutz. Sie zog den Vorhang des Fensters zu, um keinen Blick ins Haus zu ermöglichen, in der Hoffnung, dass sie diese Nacht überleben und morgen Hilfe holen würde.

Leise stellte sie ihren Rucksack auf der Kommode ab und wühlte daran, zog eine Flasche Wasser und etwas zu Essen hervor, drehte sich um und sah Daryl an. Entweder riss er sich extrem zusammen oder er war vor Erschöpfung eingeschlafen. Sie seufzte und holte ihr kleines Notfall-Kit ebenfalls raus, von dem sie den anderen nichts erzählt hatte.

Das Desinfektionsmittel hatte sie freiwillig und ohne zu Zögern Hershel übergeben, der es für Carl brauchte, der immer noch nicht auf den Beinen, aber außer Lebensgefahr war.

Sie setzte sich an den Bettrand und wollte Daryls Hemd hochheben, doch er packte plötzlich ihre Hand und versuchte sich aufzurichten. Kurz sah er sich verwirrt um, erkannte sie dann aber und entspannte sich ein wenig, ließ ihre Hand trotzdem nicht los.

„Daryl, ich muss mir das ansehen. Ich will nicht, dass du dir ne Blutvergiftung holst, du hast im Dreck gelegen!" Sie befreite sich aus seinem nur noch halbherzigen Griff und rutschte noch ein Stück an ihn heran. Er drehte den Kopf zur Seite und zog scharf die Luft ein, als Tamara das Shirt beiseiteschob, um die Wunde zu begutachten.

Der Verband war dreckig und bot keinerlei Schutz mehr vor Infektionen oder Ähnlichem. Sie zog ihr Messer und durchtrennte die Stofflagen, benutzte das kleine Stück, welches nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war, um die Wunde zu säubern und ignorierte Daryls Zucken dabei so gut wie möglich.

„Ok, Bambi, stopp! Ich halt ja echt viel aus, aber es reicht!" Seine Stimme klang angestrengt und immer wieder kniff er die Augen zusammen. Sie runzelte die Stirn und beugte sich über ihn, berührte mit ihren Lippen die Haut über seinen Augen und hörte, wie er scharf die Luft einzog.

„Was wird das, Bambi?"

„Du hast Fieber.", erwiderte sie nur trocken und legte zwei Decken über ihn, damit er nicht auskühlen konnte. Noch immer sah er sie fragend an und sie verdrehte die Augen. „Eine der besten Methoden, wenn man sichergehen will und keine herkömmlichen Möglichkeiten hat. Die Lippen sind sehr empfindlich für Temperaturunterschiede."

Er ließ ihre Aussage so stehen und richtete sein Kissen neu, sodass er halb an die Wand gelehnt mehr saß als lag.

Tamara schlich wieder zum Fenster und spähte nach draußen, auch wenn sie nicht mehr wirklich etwas erkennen konnte, denn die Dunkelheit hatte sich durchgesetzt und die Nacht eingeleitet.

Sie wusste nicht, wie lange sie da an der Kommode gelehnt verweilte, als sie plötzlich ein stärker werdendes Keuchen vernahm, welches allerdings nicht von außerhalb der Hütte kam, sondern von Daryl.

Sein Zustand hatte sich verschlechtert und Tamara hätte Licht gebraucht, um sich die Wunde anzusehen, doch sie wollte auch keine Aufmerksamkeit auf sie lenken, indem sie ein kleines Feuer machte.

„Alles ... gut, Bambi. Mir is nur n bisschen kalt." Seine Stimme zitterte und die Atmung war flach und noch bevor Tamara über mögliche Konsequenzen nachgedacht hatte, griff sie an den Saum ihres Oberteils und zog es sich aus, klappte die Decke beiseite und legte sich direkt in Daryls Schoß, spürte die Hitze seines Körpers, der vom Fieber geplagt wurde.

„Was... was wird das?"

„Keine Sorge, du Neandertaler. Ich mach mich schon nicht an dich ran. Körperwärme ist auch so ein kleines Hausmittelchen. Also halt die Klappe und schlaf!"

Es dauerte lange, bis Tamara selbst Ruhe fand und ihre Augen nicht mehr offenhalten konnte. Das letzte, was sie in dieser Nacht mitbekam, war, wie Daryls Arm plötzlich auf ihrem Körper lag und sie näher an sich zog.

From the BeginningWo Geschichten leben. Entdecke jetzt