1. September

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Mama war komplett aus dem Häuschen. sie weckte mich viel zu früh und überhäufte mich mit Frühstück und Proviant. Dann fuhren wir los: auf nach London! Gleis Neun-Dreiviertel! Der Hogwarts-Express! Ich war wahnsinnig aufgeregt.

Am Gleis angekommen lud mein Vater meinen schweren Koffer auf einen Wagen und schob ihn durch den Bahnhof. Wir waren viel zu früh, doch so war meine Mutter eben. Lieber zu früh als zu spät! Also gingen Mama und Papa noch einen Kaffee trinken und ich sah mich mit meiner Schwester im kleinen Kiosk um. Viertel vor 11. Ich sah sowieso alle 2 Minuten auf die Uhr! Zehn vor 11. So langsam sollten wir uns zum Gleis begeben. Ich, die ich die Bücher fast auswendig konnte, wusste natürlich was zu tun war. Vollkommen ohne Angst lief ich geradewegs durch die Mauer und befand mich tatsächlich am Gleis Neun-Dreiviertel! Von diesem Augenblick hatte ich mein ganzes Leben lang geträumt! Ich drehte mich um, um auf meine Familie zu warten. Doch nichts geschah! Verwundert sah ich erneut auf die Uhr. Schon 5 vor! Ich musste schnell einsteigen. Traurig suchte ich mir einen Platz. Mir liefen Tränen über die Wangen, als ich allein im Abteil saß. Die Tür ging auf, ein stämmiger Junge trat ein und sah meine Tränen. Sofort drehte er sich um und verschwand. Arsch, dachte ich und wischte in meinem Gesicht rum. Es pfiff und der Zug rollte an. Ich sah aus dem Fenster, sah Eltern weinen und winken, sah Geschwister dem Zug nachrennen. Meine Familie war nicht dabei.

Es verging etwa eine halbe Stunde, bis jemand die Abteiltür erneut öffnete. Es war ein kleines Mädchen mit blonden, geflochtenen Zöpfen. Es schleppte seinen übergroßen Koffer hinter sich her. Es schien den Tränen nah. »Hallo? Darf ich hier mit rein? Die anderen in den Abteilen haben mich alle wieder weggeschickt...« Für einen kurzen Moment sah ich sie nur mit offenem Mund an. »Äh.. Klar! Das ist nicht nett von den anderen!« Das Mädchen strahlte. Sie setzte sich mir gegenüber und sagte: »Ich heiße Gracie. Ich komm jetzt in die 1. Klasse.«

»Hey, ich bin Alina. Auch wenn du mir jetzt nicht glaubst, ich bin auch neu!« Ich lachte leise. Gracie machte große Augen. »Aber, aber... Du bist doch bestimmt schon 15 oder so!«

»16, um genau zu sein. Es gab wohl kleine Probleme mit dem Brief...« Ich holte ihn aus der Tasche und zeigte ihn Gracie. Sie las ihn und sah mich dann mit noch größeren Augen an. »Kommst du aus einer Muggel-Familie? Ich bin aus einer sehr alten Zauberer-Familie. Meine ganze Familie war in Ravenclaw, bis auf meinen Bruder Tow. Er war in Slytherin.« Ich lächelte sie an und bejahte. Wir unterhielten uns eine ganze Weile, bis sie sagte: »Ich habe dich am Bahnhof nur allein gesehen. Bist du allein?«

»Nein, meine Familie ist irgendwie nicht durch das Tor gekommen und wäre ich nicht eingestiegen, hätte ich den Zug verpasst.« Ich spürte schon wieder eine Träne an meiner Wange. Gracie bemerkte sie und wischte sie weg. Dann nahm sie mich in den Arm. »Das tut mir leid für dich. Aber ich kann dir meine Eule leihen, wenn du willst! Du kannst ihnen einen Brief schreiben!« Erst jetzt bemerkte ich einen kleinen Käfig, der auf dem Boden stand. Eine kleine, gewiss noch junge Schleiereule saß darin und ruckte im Schlaf mit dem Kopf. Gracie gab mir Permanent und ihre Feder. Ich begann zu schreiben.

Hallo Mama, Papa und Tine,

Ich glaube ihr seid nicht durch das Tor gekommen, richtig? Ich sitze mittlerweile sicher im Zug und habe auch schon Bekanntschaften gemacht. Diese Eule gehört Gracie, eine Erstklässlerin. Ich hoffe euch geht es gut, ich komme in den Herbstferien nach Hause!

Liebe Grüße, Alina

P.S.: Schickt die Antwort einfach mit dieser Eule zurück. Sie findet den Weg.

Ich faltete das Blatt und überreichte es Gracie, die den Brief an das Bein von ihrer Eule band. »Sie heißt Laura.«, meinte sie, öffnete das Fenster und ließ Laura hinaus. Dann setzte sie sich wieder. Mein Magen knurrte, was Gracie natürlich bemerkte. Sie grinste und sagte: »Hunger? Ich sterbe vor Hunger!« Dann kramte sie in ihrer Tasche herum und holte einige silberne und bronzene Münzen hervor. Sickel und Knuts! Mir fiel es schlagartig ein: ich habe nur Muggel-Geld! Gracie schien meinen erschrockenen Blick zu bemerken und fragte: »Ist alles Ok?« Die Tür ging auf. »Eine Kleinigkeit vom Wagen, ihr Süßen?« Ich flüsterte Gracie zu: »Ich habe nur Muggel-Geld!«

»Keine Panik!« Gracie sah die freundliche Dame an und meinte, sie hätte gern einige Schokofrösche und Bertie Botts Bohnen. Damit verschwand die Dame wieder. »Alina, du kannst dein Geld in Hogwarts umtauschen. Keine Sorge. Hier, nimm!« Sie reichte mir eine handvoll Schokofrösche. »Wir teilen uns das Zeug!«

»Danke!« Und ich wusste, wir würden Freunde werden!

Bin ich normal?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt