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POV Jungkook (17. Februar 2019)

Eigentlich hatte ich heute so überhaupt keine Lust darauf, irgendwo etwas trinken zu gehen. Naja gut, eigentlich hatte ich darauf nie Lust, denn - oh ja - ich war ja ein sozialkompetenter Totalfail.

Ich mochte es noch nie, mich unter die Leute zu mischen. Viel lieber verkroch ich mich in meiner Komfortzone und verließ diese auch nur, wenn es wirklich notwendig war. Ergo: fast nie.

Tja was sollte ich sagen? Ich hatte es bisher halt einfach nie nötig, mir Gedanken um andere Menschen zu machen. Aber jetzt.. Jetzt war da Sunghee und aus irgendeinem Grund hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, mich zu einer weniger introvertierten Kartoffel zu erziehen, als ich es bisher war.

Ob das wirklich klappen würde wusste ich nicht. Ich hatte was das anging doch so eher meine Zweifel und ich verstand auch nicht so ganz, wieso er das unbedingt wollte, aber er hatte es nicht aufgegeben und jetzt versuchte er mich in irgendwelche Bars zu schleppen, damit ich Kontakte knüpfte.

'Ich hatte es ja auch geschaft mit ihm auszukommen' Ihjaaa genau. Das war aber auch nicht wirklich meine Entscheidung gewesen. Er hatte sich einfach an mich rangeklingt und wollte mich nicht mehr in Ruhe lassen. Irgendwann wurde es mir dann einfach zu bunt und ich fing an seine ständigen Besuche zu tolerieren.

Möglicherweise fing ich auch an, seine Besuche zu mögen und mich immer mehr darauf zu freuen ihn zu sehen. Doch wir hatten nun wieder den Punkt erreicht, wo er mir slightly auf die Nerven ging, denn er fing an mich mit anderen in Kontakt bringen zu wollen.

Das erste Mal hatte ich noch bereitwillig zugestimmt, weil ich dachte, es wäre vielleicht eine willkommene Abwechslung zur ständigen Einsamkeit, doch ich erkannte schnell, dass das zusammensitzen mit fremden Leuten nicht ganz so mein Fall war. Es wurde mir bereits zu viel, kaum hatten wir das Lokal betreten.

Er wollte aber nicht aufgeben. Er stand wieder bei mir auf der Matte und meinte mich dort wieder hinbringen zu müssen.

Ich hatte nicht wenig protestiert, aber bei dem Thema besaß er wohl Nerven aus Stahl, denn er gab solange nicht auf, bis ich fast keine andere Wahl gehabt hatte, als mit ihm mit zugehen.

Ich wünschte ich wäre konsequenter mit meiner Meinung gewesen. Ich hätte heute nicht nachgeben dürfen, ganz egal wie sehr er mich zu überzeugen versuchte. Denn hätte ich nicht doch noch zugestimmt, dann wären wir bei mir gewesen, in Sicherheit, anstatt mitten in einer Schlägerei zu stehen!

Zuerst war es ja noch auszuhalten gewesen. Wir hatten uns extra in die letzte Ecke gesetzt, wo wir in Ruhe etwas trinken konnten und hatten uns unterhalten. Doch dann wurde es immer lauter in diesem Lokal, die Gäste fingen an, sich gegenseitig anzupampen und sich durch die Gegend zu schubsen.

Soweit ich es mitbekam, war eine Frau verstehentlich gegen den Stehtisch eines anderen Gastes gestoßen und hatte sein Bier verschüttet. Der Mann war eindeutig zu betrunken, um das ganze vernünftig zu klären und als er die Frau grob am Arm packte, schritten andere Männer ein, um sie zu verteidigen.

Es war viel zu schnell gegangen, als das ich das wirklich genau sagen könnte und es wurde immer schlimmer. Das anfängliche rumgeschubse artete in eine Schlägerei aus, die beteiligten wurden immer wütender und der betrunkene war komplett unzurechnungfähig.

Ich wollte einfach nur noch weg und Sunghee bemerkte das auch. Es war meine Schuld, dass er sich irgendwie durch den wütenden Mob drängeln wollte.

Er zog mich hinter sich her und mogelte sich an den Schaulustigen vorbei, doch plötzlich teilte sich die Menge mit einem erschrockenen Kreischen und der Bertunkene stürzte auf uns zu.

Ich wünschte mir so sehr, er hätte mich erwischt! Ich hätte es verdient, das Messer abzukriegen, dass er plötzlich in der Hand gehalten hatte, aber nicht Sunghee
Ich hätte es verdient, blutend auf dem Boden zusammenzusacken.

Es wäre soviel besser gewesen, hätte es mich erwischt, denn mich würde sowieso niemand vermissen. Aber er war es, der nun unendliche Schmerzen leiden musste! Er war es, der kaum bei Bewusstsein bleiben konnte, weil er so viel Blut verlor!

Der Krankenwagen kam so schnell er konnte, aber selbst das war nicht schnell genug und ich hasste mich dafür, weil es meine Schuld gewesen war.

Als sie ihn auf die Liege hoben, hatte ich noch Hoffnung darauf, dass alles gut werden würde. Dass sie ihn wieder zusammenflickten und er zurück zu seiner Familie konnte. Doch im Nachhinein erfuhr ich, dass es bereits vor dem Eintreffen der Sanitäter aussichtslos gewesen wäre.

Das Messer hatte seine Milz getroffen, es gab also fast nichts mehr, was sie noch für ihn hätten tun können.

Die Sanitäter hatten mir erlaubt, im Wagen mitzufahren, damit er nicht alleine war.
Ich hatte Angst davor einzusteigen, weil ich fürchtete er könnte sterben, während ich seine Hand hielt, aber genau so wenig wollte ich ihn alleine lassen.

Vermutlich war es die richtige Entscheidung, denn er war noch immer irgendwie bei Bewusstsein und es wäre schrecklich gewesen, hätte er dann niemanden bei sich gehabt, aber dennoch bereute ich es ein wenig, dass ich derjenige war, den er zuletzt sah.

Ich hatte ihm etwas versprechen müssen.
Er sagte, ich solle ihm etwas versprechen, für den Fall, dass er es nicht überlebte und ich tat es.

Ich sollte immer am 30. Dezember zu seinem Freund gehen und ihm eine Umarmung schenken. Er meinte, es wäre ihm wichtig, dass sein Freund an diesem Tag auch weiterhin eine Umarmung bekam, auch wenn er sie ihm nicht mehr selbst würde geben können.

Ich hatte es ihm zuerst nicht versprechen wollen. Nicht, weil ich seinen Wunsch nicht respektierte, sondern weil ich mich an die Hoffnung klammern wollte, dass er das weiterhin selbst erledigen konnte. Ich hatte ihm gesagt, er würde überleben und bräuchte mir dieses Versprechen nicht abnehmen, aber er schien bereits zu wissen, dass ich Unrecht hatte. Er schien es gespürt zu haben, denn er beharrte immer weiter darauf, bis ich es ihm gab.

Gerade wünschte ich mir, ich hätte es nicht getan, denn gerade als ich ihm versicherte, dass ich es tun würde, war es, als hätte man einen unsichtbaren Schalter umgelegt. Die Geräte an denen er angeschlossen war, piepten plötzlich wie verrückt und die Ärzte wurden immer hektischer, doch als wie endlich beim Krankenhaus ankamen, war er bereits tot.

Er war gestorben, kaum das er sich über mein Versprechen vergewissert hatte und der Gedanke, dass er noch bis zum Krankenhaus und nach der OP überlebt hätte, hätte ich es ihm nur noch nicht gegeben, fraß mich von innen heraus auf.

Er hatte sich ans Leben geklammert, bis er sich sicher sein konnte, dass sein Versprechen abgenommen wurde, doch kaum hatte ich es getan, beendete er den Kampf und ließ mich mit all der Schuld und dem Schmerz zurück, den ich in diesem Moment nicht in der Lage war zu fühlen.

Every year againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt