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POV Jungkook (30. Dezember 2021)

Ich saß auf dem Sofa in seinem Wohnzimmer und knetete nervös meine Hände.

Ich könnte mich jetzt darüber beschweren, dass er mich einfach ohne vorher zu fragen in seine Wohnung geholt hat, aber es wäre eine Lüge. In Wahrheit war ich ihm eigentlich sogar dankbar dafür, denn so fiel es mir doch deutlich einfacher, ihm endlich mal zu erklären, warum ich immer wieder auftauchte.

Auch wenn ich mit der Zeit - es sind mittlerweile ja auch mehr als zwei Jahre vergangen - deutliche Fortschritte gemacht hatte, was den Umgang mit anderen Menschen umging, so hing ich doch irgendwie immernoch in den alten Mustern drin.

Es fiel mir nach wie vor schwer, von mir aus andere anzusprechen, aber Taehyung setzte dem Ganzen die Krone auf. Er machte mich von Grund auf nervös. Wo ich es bei anderen schaffte, mich zumindest vernünftig vorzustellen, wollte ich bei Taehyung das Weite suchen sobald ich ihn nur sah. Es machte mich verrückt und ich verstand meine Nervosität ihm gegenüber nicht, die so komplett anders war als die gegenüber anderer Menschen.

Ich hätte es niemals über mich gebracht, ihn zu fragen, ob er mich vielleicht rein lassen könnte, damit ich mich erklären konnte. Das hatte ich vor gehabt, hatte ich wirklich, aber im Grunde hatte ich von vornherein gewusst, dass ich es nicht schaffen würde. Dementsprechend war es gut, dass Taehyung mir diese Sache abgenommen hatte.

Das hieß nicht, dass es mir jetzt bedeutend leichter fallen würde mit ihm zu sprechen, aber ich saß zumindest schoneinmal hier und das war doch immerhin schon ein Schritt in die richtige Richtung.

Ich seufzte auf, als ich nach fünf Minuten immer noch alleine in seinem Wohnzimmer saß. Einen Tee wollte er mir machen, hatte er gesagt. Es würde nicht lange dauern, hatte er mir versichert. Ach nein? Nicht lange also? Ja das merkte ich. Ich starb hier nämlich jede Sekunde mehr, weil ich so nervös war. Und je länger er brauchte, desto schlimmer wurde es und ich hatte tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, schnell die Wohnung zu verlassen, solange er in der Küche zu Gange war.

Den Gedanken hatte ich aber doch recht schnell wieder verworfen. Es brächte uns beiden nichts, würde ich jetzt türmen und ich war mir sicher, dass ich in dem Fall spätestens im nächsten Jahr wieder genau an der gleichen Stelle sein würde wie jetzt. Warum also aufschieben, wenn ich es jetzt einfach hinter mich bringen und für ein weiteres Jahr abtauchen konnte?

"So, und jetzt erklär mir bitte, warum du jedes Jahr wieder hier auftauchst und mich umarmst," hörte ich ihn plötzlich hinter mir sagen und erstarrte, ehe er sich an dem Sofa vorbeimogelte und die dampfenden Tasse auf den Tisch stellte.

Ich brachte es nicht über mich, irgendetwas zu erwidern. Ich hatte seine Stimme gerade zum aller ersten Mal gehört und sie klang so anders als ich sie mir je hätte vorstellen können. Ich hatte mich völlig in ihrem Klang verloren und ich musste erstmal wieder zu mir zurückfinden, bevor ich antworten konnte.

Die Geduld, mir der er auf meine Antwort wartete war bewundernswert. Er drängte mich nicht, irgendetwas zu sagen, er saß mir einfach nur gegenüber und musterte mich.

Ich schluckte nervös. Wie würde er wohl reagieren, wenn ich es ihm erklärte? Ich wusste nicht, wie tief die Wunden waren, die Sunghees Tod in seine Seele gerissen hatten. Würde er wütend werden, wenn ich seinen Freund ansprach? Was sollte ich tun, würde er in Tränen ausbrechen bei der Erinnerung an ihn? Allein der Gedanke daran überforderte mich bereits.

"I-ich... Es war ein Versprechen," murmelte ich schließlich, hielt meinen Blick dabei aber gesenkt. Es graute mir davor, dieses Thema aufzubringen, aber ich wusste auch, er hatte eine Erklärung verdient. Es hatte ihn sicher schon verwirrt, dass ich wieder und wieder bei ihm aufgeschlagen bin, wie sehr musste es ihn dann erst verwirren, dass ich das nur tat, weil ich es jemandem versprochen habe?

"Wie? Was genau hast du wem versprochen?" Was sag ich? Die Verwirrung war deutlich hörbar.

Ich seufzte geschafft und blickte endlich wieder auf. Ein Fehler wie mir schien, denn sobald unsere Blicke sich trafen, drohte ich in den Tiefen seiner Augen zu ertrinken. Ich konnte nicht mal sagen, was mich so an ihm anzog. Seine ganze Existenz faszinierte mich einfach und machte mich gleichzeitig nur umso nervöser.

Ich schüttelte diese Gedanken schnell wieder ab und biss mir angespannt auf die Unterlippe.

"Sunghee... Ich hab es Sunghee versprochen," meinte ich nach einer Weile und sprach dabei so leise, dass man fast meinen könnte, ich hätte gar nichts gesagt.
Taehyung hatte es dennoch verstanden, denn er verspannt sich augenblicklich und sah mich durchdringend an.

"Du kanntest ihn?", fragte er schließlich und ich nickte bloß stumm. Die Tränen, die sich nun einen Weg über meine Wangen suchten, reichten ihm wohl, um zu verstehen, dass ich über seinen Tod bescheid wusste.

Er schwieg eine Weile lang und ich wurde mit jeder Sekunde die verging immer wütender auf mich selbst. Hatte ich nicht vorher noch Angst gehabt, dass er meinetwegen in Tränen ausbrechen könnte? Warum war ich jetzt derjenige, der sich nicht mehr halten konnte? Ich hasste es! Ich hasste es wirklich, denn ich hatte das Gefühl, dass ich hätte stark bleiben müssen, ganz egal wie schwer es mir fiel.

Taehyung hatte alles Recht dazu, zu trauern und sich auch nach zweieinhalb Jahren noch den Tränen hinzugeben, aber hatte ich das auch? Ich hatte nicht das Gefühl.

Taehyung würde mich sicher auch hassen, wenn er wüsste, dass ich Sunghee gerade mal ein Jahr kannte und es trotzdem nicht schaffte, bei dem Gedanken an diesen Abend nicht zu weinen.

Aber er wusste es noch nicht. Er dachte sicher, ich kannte ihn schon ewig. Er dachte sicher, ich wäre eine wichtige Person in Sunghees Leben gewesen und das ich deshalb jetzt weinend vor ihm saß.

Er tat nichts. Er saß einfach nur stumm dort und wartete, dass ich mich beruhigen würde.

Mit einem letzten schniefen wischte ich mir die Tränen aus den Augen und murmelte eine leise Entschuldigung.

"Wie heißt du?", fragte er unvermittelt und ich sah irritiert zu ihm auf ehe ich ihm meinen Namen nannte. Ich hatte ja mit allem gerechnet, aber irgendwie nicht damit.

Er legte den Kopf leicht schief und zeigte mir ein trauriges Lächeln. "Er hat von dir erzählt.. Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich jemals kennenlernen würde."

Every year againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt