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India hob beinahe angewidert eines der Kleider aus der Kommode. Es war in einem hellen apricotfarben gehalten, mit vielen Rüschen und mit Tüll. Es war am Rock sehr bauschig und der obere Teil schien aus zarter Seide zu sein. Mit spitzen Fingern befühlte India das Kleid und hielt es dann mit ausgesteckten Armen von sich weg. Das musste sie jetzt wohl oder übel anziehen. Denn auc die anderen Kleider in der Kommode waren nicht viel besser und vor allem in diesem viktorianischen Stil. Sie öffnete das Kleid und schlüpfte hinein. Der Stoff war unangenehm fest und kalt. Während sie sich daran machte die Knöpfe an der Vorderseite zu schließen ging sie zu dem Spiegel und betrachtete sich darin. Zu allem Überfluss musste sie feststellen, dass das Kleid ihr stand. Ihre Haut, die aufgrund der mexikanischen Wurzeln ihrer Mutter eigentlich einen leichten Braunton hatte, war käsig und weißlich. Sie sah aus, wie von einem alten Portrait, oder als wäre ihre Haut hell angemalt. Suf den ersten Blick erschrak sie beinahe, es war als würde sie nur einen Geist ihrer selbst sehen. Als sie fertig war mit dem Zuknöpfen ihres Kleides führte sie ihre Hand zu ihrem Gesicht und berührte ihre Haut, in der sie sich fast fremd fühlte. Ihre Hände waren eiskalt. Sie biss sich auf die blassgewordenen Lippen und begann sich dann einen Zopf zu flechten. Das Ende des Zopfes machte sie dann mit der rosa Schleife aus dem Kästchen fest. Es passte zwar nicht so ganz zusammen, aber sie zuckte nur die Schultern drüber und strich einige Strähnen glatt. Mit nun auch eiskalten Füßen tapste sie zur Tür. Sie wollte gerade die Hand nach dem Türknauf ausstrecken, als ihr ein Paar schwarzer Schnürstiefel neben der Tür auffielen. Sie hatten einen kleinen Absatz und aus dem Stiefelschacht ragten ein Paar Strümpfe. Ohne etwas zu hinterfragen zog sie sich die Strümpfe über die Beine und ließ ihre Füße in den Stiefeln verschwinden. Es klackte leise als sie auf die Tür zu ging. Ihre Füße wärmten sich zwar noch nicht auf, aber India war sich sicher, dass sich das in der nächsten Zeit ändern würde. Sie ging raus auf den Flur und blickte die anderen Türen an. Ob die anderen schon wach waren? Ein Luftzug ließ sie schaudern. Sie blickte in die andere Richtung des Flurs und entdeckte Bluebell, die wie ausdruckslos vor ihrer Tür stand. Sie trug die blonden Haare zu zwei losen Puppen und mit Kombination mit ihrer Porzellanhaut und dem grässlichen Kleid, dass sie trug, sag sie wirklich aus wie eine Puppe. Schon beinahe gruselig. Ihr Rüschenkleid war hellblau. Wie passend, dachte India grimmig. Eollte dieser Puppenspieler etwa Humor beweisen. Bluebell fand das sicherlich nicht so lustig. "Alles klar bei dir, Blue? Ich darf dich doch Blue nennen, oder?", fragte India und ging auf das zierliche Mädchen zu. Sie schien erschrocken zusammen zu zucken, nickte jedoch tapfer. India hatte das Gefühl, dass Bluebell damit aber nur Indias zweite Frage beantwortete, denn sie sah nicht so aus, als wäre alles klar. Eigentlich wollte India noch fragen ob Bluebell auch einen Brief erhalten hatte, aber das war zum einen vermutlich ziemlich offensichtlich, zum anderen fand sie eine andere Frage viel interessanter: "Sind die anderen schon wach?" Bluebell zuckte mit den Schultern. Wie lange stand sie wohl schon da? Plötzlich schien jemand Leben in die eingeschüchterte Bluebell gehaucht zu haben. Sie schob sich an India vorbei und murmelte im Vorbeigehen mit zarter Stimme: "Ich muss mal..." India nickte und ließ sie vorbei. Etwas unschlüsslig stand sie jetzt alleine im kalten Flur. Sie blickte zu einer Zimmertür. Coopers Tür. Sie ging mit klackernden Hacken auf sie zu und klopfte zarghaft an. "Bist du wach Cooper?", fragte sie und hoffte, dass er sie hörte. "Ja, komm rein!", rief er von der anderen Seite und erleichtert drehte India den Türknauf um sich herein zu lassen.

Cooper musterte India als sie sein Zimmer betrat. Nicht verwunderlich, schließlich musste sie sich ja in einem ziemlichen Aufzug kleiden. Sie schloss die Tür hinter sich und betrachtete den großen blonden Jungen vor sich. Er trug eine braune Hose, die ziemlich ungemütlich aussah, und ein weites weißes Hemd. Anscheinend sein Schlafoutfit. Seine blonden Fransen standen wild von seinem Kopf ab und am liebsten wäre sie mit den Fingern hindurchgefahren um sie zu richten. "Du siehst...süß aus", meinte er und versuchte zu grinsen. Es gelang ihm nicht ganz. Offensichtlich war ihm nicht wohl zumute. "Danke", antwortete India und zupfte an ihrem Zopf herum, "es ist furchtbar ungemütlich." Er nickte und deutete auf sein Schlafoutfit. "Das auch." Er ließ ein Blattpapier auf sein Bett sinken, vermutlich der Brief des Puppenspieler, und ging zu seiner Kommode. Sie sah anders aus als Indias. Sie war aus hellerem Holz geschnitzt und kleiner. Allerdings war sein Bett größer als ihres. Sein Spiegel hing direkt über der Kommode und er hatte keine Vorhänge. Dafür stand ein gepolsterter Stuhl in einer Ecke. India ging auf den Stuhl zu und setzte sich. Sie wusste nicht was sie sagen sollte. "Sind die Anderen schon wach?", fragte er sie und öffnete die Kommode. India zuckte mit den Schultern. "Ich hab nur Bluebell gesehen. Sie schien ein wenig durch den Wind." Er nickte verständnisvoll und zog einige Kleidungsstücke aus der Kommode. Er streifte sich sein Hemd vom Körper und India bewunderte ihn kurz von der Seite. Jedoch drehte er seinen Kopf ziemlich schnell zu ihr und sie sah weg. Blut schoss ihr in den Kopf und sie verkrampfte sich. Aber er sagte nichts und widmete sich stumm seiner Kleidung. Anscheinend wusste er nicht so recht wie er die Dinge anzuziehen hatte. "Ich kann auch rausgehen", meinte India kleinlaut. Sie wollte keinesfalls, dass ihre Anwesenheit ihm unangenehm war. "Nee, ist okay", sagte er, "dreh dich nur kurz weg, okay?" Sie nickte und betrachtete die Wand, während er sich komplett auszog. Sie wusste, dass einige Dinge besprochen werden mussten, doch gerade in diesem Moment wollte sie sich verkriechen und nicht an das blöde Haus und den verrückten Puppenspieler denken. Sie hatte Hemweh. Sie wollte zu ihrer Mutter und sie wollte wissen wo sie war. Und wie sie hierher gekommen war. Und wieso sie hier war. Was wollte der Puppenspieler von ihnen. Sie dachte an ihre Freunde und an ihre Katze, Ruby. Sie dachte daran, wie ihre Mutter Samstags immer Frühstück machte und wie sie, ihre Mutter und Andy dann erzählten, was sie am Wochenende machen wollten. Oder an Andys Geschäftsessen, die ziemlich langweilig sein konnte, aber wo das Essen einfach unglaublich lecker war und wo sie sich wie eine Prinzessin fühlen konnte. Sie schmeckte den spritzigen Champagner, den ihre Mutter sie heimlich probieren ließ und die kleinen Häppchen, die auf silbernen Tabletts durch die Gegend getragen wurden. Dann sah sie Christy vor sich und wie sie sich in ihrem Wohnzimmer zwischen Kissen und Decken verschanzt hatten um Horrorfilme zu gucken, nach denen sie sich immer so fürchteten, dass sie zusammengekuschelt einschliefen. Und dann sah sie Evan vor sich. Evan, den sie seit der Middleschool so süß fand, dessen Lächeln ihren Tag versüßte und seine grünen Augen ihren Herzschlag beschleunigten. Plötzlich fand sie ihn furchtbar langweilig und uninteressant. Eine blöde Schwärmerei und nichts, was ihr Heimweh linderte. Es war, als hätte sie nur Zeit und Gefühle an ihm verschwendet. Wie hatte sie ihm jahrelang hinterher laufen können und jetzt spürte sie nichts, wenn sie an ihn dachte. Sie wusste, dass Christy ihn auf der letzten Party, die sie gemeinsam besucht hatten, geküsst hatte und sie verspürte nicht mehr diesen Stich. Es war nicht mehr so, als hätte Christy sie bertrogen, weil sie genau wusste, dass sie Evan mochte. Sie verspürte keine Trauer dem gegenüber und hoffte plötzlich, dass Evan sie trösten würde, während ihre beste Freundin plötzlich verschwunden war. Es war als hätte diese Situation ihr gezeigt, was in ihrem alten Leben wirklich schön und wichtig gewesen war.

"Ähm...ich bin dann fertig", riss Cooper sie mit seiner tiefen Stimme aus ihren Gedanken. India drehte sich wieder zu ihm und musterte ihn. Er sah aus wie direkt aus dem 18. Jahrhundert. Er trug ein weißes Hemd mit einer dunkelgrünen Weste und einer passenden Hose dazu. Seine schwarzen Lederschuhe wirkten steif und ungemütlich und er selbst stand etwas verkrampft da. In der Hand hate er eine Krawatte, die er achtlos zurück in die Kommode warf. "Na, wie sehe ich aus?", fragte er und lachte, diesmal schien es ihm leichter zu fallen. "Sehr adrett", antwortete India lachend und er nahm ihr Kompliment unsicher an. Er ging eine Schritt auf die Tür zu und bot ihr seinen Arm an. India stand auf und ergriff ihn grinsend. "Dann wollen wir mal die Anderen suchen", sagte er und trat hinaus uf den Flur.

Draußen fanden India und Cooper Damian und Mary-Lynn vor, die sich unterhielten. Auch sie waren in der Kleidung des Puppenspieler gekleidet. Damian drehte sich um und erblickte India und Cooper. "Na, ihr gebt ja ein süßes Paar ab", meinte er trocken, aber lächelnd. India merkte erneut wie sie rot wurde und den Griff um Coopers Arm unbewusst verstärkte. Cooper jedoch lachte und antwortete: "Danke, finde ich auch." Damian grinste und verschränkte die Arme vor der Brust. "Das ist doch bescheuert!", mischte sich Mary-Lynn mit ihrer bestimmten Art ein, "wieso müssen wir rumlaufen wie auf einer Steampunk-Convention. Das sehe ich nicht ein!" Sie selbst trug ein schwarzes Kleid, das ebenfalls gerafft und gerüscht war und zu allem Überfluss auch noch mit kleinen schwarzen Schleifchen geschmückt war. "Versteht mich nicht falsch, ich verkleide mich ja gerne, aber das geht zu weit." Sie hatte ja recht, dachte India, aber was sollten sie denn machen. "Du kannst auch gerne einfach nackt rumlaufen, wenn dir das besser gefällt", sagte Alec, der plötzlich bei der Gruppe stand. Mary-Lynn kniff die Augen zusammen und funkelte ihn an. "Ich sag ja nur, es würde mich nicht stören", sagte er und hob abwehrend die Arme. Mary-Lynn sah aus, als wollte sie etwas erwidern, doch da gesellte sich schon Zach dazu. Er sah furchtbar aus. Er hatte dunkle Augenringe und war blasser als alle anderen. "Alles klar bei dir?", fragte ihn Cooper, statt einer richtigen Begrüßung. Zach zuckte nur mit den Schultern. "Hab nicht gut geschlafen", antwortete er knapp. Cooper nickte verständinsvoll. "Ohne jetzt von Zach ablenken zu wollen, aber hat jemand Skye gesehen. Sie hat nicht geantwortet, als ich an ihre Tür geklopft habe und ich will nicht einfach so reinplatzen...", sagte Damian mit deutlicher Besorgnis im Gesicht. India schluckte. Hoffentlich war alles okay bei Skye. "Ich schau mal nach ihr", bot sie an und ließ Cooper los um zu Skyes Zimmer zu gehen.

Wieder einmal danke fürs Lesen. Es sind zwar nicht viele Reads und Votes, aber das was ihr mir gebt ist schon Wahnsinn. Ich update wieder so bald wie möglich.

The Puppet Master - Der PuppenspielerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt