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„Skye?“, vorsichtig klopfte India an die Tür.  Vermutlich schlief das blonde Mädchen einfach noch und hatte nicht gehört, dass Damian angeklopft hatte. Jedenfalls hoffte India das. Aber wieso sollte Skye das Zimmer verlassen? Oder war ihr etwas zugestoßen? Seitdem sie in diesem Haus gefangen waren hielt sie alles für möglich. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend umschloss sie den Türknauf mit der Hand und drehte ihn langsam um. Sie schob die Tür einen Spalt auf und schaute hinein. Auf den ersten Blick erkannte sie ein hölzernes Bett, größer als ihr eigenes und auch der Spiegel in dem Zimmer war größer: ein Ganzkörperspiegel. Aber ihr Zimmer hatte keine Vorhänge und statt einer Kommode stand dort bloß ein Gestell mit Kleidern dran aufgehängt. Doch die Größe des Zimmers war identisch mit ihrem. „Skye?“, fragte India noch einmal. Erst rührte sich nichts, aber mit einem Mal bewegte sich die Bettdecke und Skyes blonder Lockenkopf kam zum Vorschein. „Alles klar bei dir?“ India schloss die Tür und ging einige Schritte auf das Bett zu. Sie musterte das Mädchen, dass gerade von unter der Bettdecke erschienen war. Ihre grünen Augen waren verquollen und feucht. Ihre Haare schienen strohig und hatten nicht mehr den Glanz von gestern. „Klar, alles bestens“, meinte diese und begann sich mit den Fingern durch die Haare zu fahren. India setzte sich auf das Bett. Natürlich war nicht alles klar, das war kaum zu übersehen, aber Skye schien nicht zugeben zu wollen, dass sie ganz offensichtlich geweint hatte. India musste fast schmunzeln. So unähnlich waren sich die beiden wohl nicht. Jedenfalls in diesem Bereich. „Sind die anderen schon wach?“, fragte Skye um das Thema umzulenken. India nickte nur und stand vom Bett auf. Sie ging zu dem Kleiderständer und pflückte ein Kleid, ähnlich ihrem eigenen nur grün, herunter und hielt es in die Höhe. „Das sieht doch ganz ordentlich aus“, meinte sie und grinste der Blonden zu. Sie wollte sie nicht fragen wieso sie geweint hatte, das war weder wichtig, noch ging es sie etwas an. Außerdem war es ihr nicht zu verübeln. Sie hatte gestern Abend schließlich selbst einige Tränen vergießen müssen. Wer würde das nicht tun? „Diese Kleider sind so grässlich!“, schimpfte Skye und deutete auf den Kleiderständer. „Deins steht dir ja, aber wie soll ich denn jemals so etwas tragen können?“ Sie rümpfte die Nase und India musste lachen. Vielleicht war es nicht der beste Weg, aber der einfachste: Sich über belanglose Nichtigkeiten aufzuregen, denn India konnte sich vorstellen, dass viele von ihnen sonst den Verstand verlieren würden. Und sie selbst wusste nicht, wie sie mit der Erkenntnis leben konnte entführt worden zu sein. „Ich finde nicht, dass dieses Kleid mir steht“, erwiderte sie und betrachtete sich lachend im Spiegel. „Ich seh aus wie eine P...“, India stockte mitten im Wort. Ja, sie sah aus wie eine Puppe. Es fehlte wirklich nur noch, dass ihre Haare in kleine Löckchen aufgewickelt waren und sie einen Knallroten Schmollmund bekam. Und war es nicht das, was der Puppenspieler bezwecken wollte? Sie zu seinen Puppen machen. Über Skyes Gesicht huschte ein Schatten, als sie bemerkte, wieso India stockte, doch sie überspielte es schnell mit einem Lächeln. „Na, jedenfalls steht es dir besser als mir“, sagte sie und stellte sich neben India um in den Spiegel zu schauen. Sie hatte sich ziemlich schnell umgezogen. Beeindruckend, wie India fand. „Ich sehe furchtbar aus“, stöhnte die Blonde und fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht. India bemerkte, dass Skyes Hände ziemlich klein waren. Allgemein wirkte Skye etwas zierlich. Nicht so sehr wie Bluebell, die ja kaum mehr war als der Hauch von einer Person und eher einer Elfe glich. Skye war vielleicht fünf bis zehn Zentimeter kleiner als India, doch ihre Oberweite schien mindestens eine Körbchengröße größer zu sein. Ansonsten hatten sie recht ähnliche Maße, nur dass die mexikanisch aussehende India wie das dunkle Gegenstück zu Skye schien, die wenn sie lachte schon beinahe zu leuchten schien.

„Ich denke wir sollten mal zurück zu den anderen gehen“, sagte India und fügte dann neckisch hinzu: „Damian macht sich schon Sorgen um dich.“ Lachend stieß sie Skye den Ellenbogen sanft in die Seite. Diese verdrehte die Augen, konnte sich ein Grinsen jedoch nicht verkneifen. Mehr sagte India dazu jedoch nicht. Obwohl zwischen den beiden schon von Anfang an eine Verbindung und Freundschaft zu sein schien, traute sie sich noch nicht so mit ihr zu reden und zu spaßen, wie sie es mit Christy gemacht hätte. Alles zu seiner Zeit, dachte sie sich und ging in Richtung Tür, während Skye in ihre Schuhe schlüpfte.

The Puppet Master - Der PuppenspielerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt