CN: Suizid
Ich bin so ein verdammter Vollidiot.
Es tut mir alles so leid, ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll, seit geschlagenen zehn Minuten stehe ich nun hier und suche nach den richtigen Worten... dabei weiß ich noch nicht einmal, ob du mich hören kannst. Wahrscheinlich nicht, wurde mir gesagt.
Alle sagen das, die Ärzte, die Pfleger, dein Vater. Da sei so viel Gift in deinem Körper, es sei ein Wunder, dass du überhaupt noch lebst...
Und es ist alles meine Schuld.
Ich hätte sehen sollen, wie schlecht es dir geht, hätte für dich da sein sollen, auf dich aufpassen. So, wie ich es dir versprochen hatte.
Erinnerst du dich, dieser Abend vor zwei Jahren, kurz vor Silvester? Als wir vor dem Kamin saßen und Weihnachtsplätzchen gegessen haben, die, die Lillith gebacken hatte und die viel zu süß waren?
Der Abend, an dem du mir erzählt hast, wie du einmal diese Schlaftabletten genommen hast. Wie du eingeschlafen bist und dann von kaltem Wasser geweckt wurdest, wie du dich übergeben musstest... was für eine Angst du im Nachhinein hattest.
Du hast mir gesagt, dass du nicht sterben willst, nicht wirklich, aber dass das alles zu viel war, dass du nicht mehr wusstest, was du tatst und dass der einzige Ausweg, der dir scheinbar noch blieb, diese Tabletten gewesen waren.
„Ich wollte einfach bloß schlafen." Das waren deine Worte, ich erinnere mich noch genau an sie. Und ebenso erinnere ich mich an meine eigenen, die ich darauf erwiderte: „Wenn es dir noch mal so beschissen geht, dann sag mir Bescheid! Du bist mein bester Freund, und ich will nicht, dass dir was passiert, und ich will dir helfen! Ich bin immer da, versprochen!"
Meine Worte kamen mir damals bereits plump vor; kitschig, als hätte ich sie aus einem Poesiealbum abgelesen, und doch entsprachen sie der Wahrheit. Ich wollte für dich da sein. Ich wollte dir helfen, so gut ich eben konnte, und wenn es nur war, in dem ich dir zuhörte...
Und nicht einmal das habe ich geschafft.
Ich weiß, du kannst mich nicht sehen, aber wahrscheinlich kannst du mir anhören, dass ich am Heulen bin. Scheiße, ich bin so ein Arschloch! Ich weiß nicht, was mit mir los war in den letzten Monaten, wieso ich so wenig mit dir geredet habe, wieso... Nein. Das ist eine Lüge.
Wenn ich mich schon bei dir entschuldige, dann auch absolut ehrlich, auch, wenn du mir glauben kannst, dass ich all diese Dinge in den letzten Monaten so sehr von mir ferngehalten habe, dass mir erst jetzt, wo ich darüber rede, wirklich klar wird, was dahintersteckte.
Wie sehr ich mich habe manipulieren lassen.
Ich weiß, wieso ich so wenig Zeit mit dir verbracht habe, und du weißt es auch. Natürlich. Du hast ja sogar versucht, mir klarzumachen, was da schiefläuft, und ich wollte es nicht hören, weil ich blind war... Liebe macht anscheinend wirklich blind.
Rückblickend habe ich nicht mehr die geringste Ahnung, was ich an Raya so toll fand. Jetzt, wo sie weg ist, ist mir klar, wie manipulativ sie eigentlich war, und wie naiv ich selbst, und verdammt, ich komme mir so armselig vor! Es kann nicht wirklich sein, dass ich nichts davon bemerkt habe, wie sie Mur Dinge einredete, mich dazu brachte, mich von Leuten zu entfernen, die ich mochte ... vor allem von dir.
Scheiße, wir sind seit sieben Jahren befreundet, und irgendwie hat Raya es geschafft, dass ich kaum noch ein Wort mit dir gesprochen habe! Es war nicht einmal so, dass sie mich dazu gebracht hat, dich nicht mehr zu mögen, verdammt, nein, doch da war dieser andauernde Druck, dieser Stress, diese Angst... und während dieser toxischen Beziehung war das alles vollkommen normal für mich! Meine Mutter hat einmal gesagt, Raya sei eine narzisstische Psychopatin, und so wütend mich diese Aussage damals machte, desto sicherer bin ich mir heute, dass mehr als nur ein wenig Wahrheit darin steckte
Ich bin so ein Idiot, und nun stehe ich hier und lamentiere heulend über mich selbst, als wäre ich der bemitleidenswerteste Mensch auf Erden... während du hier liegst und mich womöglich nicht einmal hören kannst.
Sie haben gesagt, dass sie keine Ahnung haben, woher du dieses Zeug hattest, das du dir gespritzt hast. Sie haben mir gesagt, was es war, aber du weißt ja, Chemie und all das Zeug war nie mein Ding... das war immer deine Sache. So wie alles, was auf Logik basierte, im Gegensatz zu mir... ich war der, der eine toxische Beziehung romantisiert hat, eine Beziehung, die nicht einmal eine wirkliche Grundlage hatte! Die mich dazu brachte, blind zu werden, dich zu ignorieren, die mich unfähig machte, mein Versprechen einzuhalten!
Ich will die Verantwortung nicht von mir wegschieben. Ich weiß nicht, wieso ich so gehandelt habe, doch waren es ja immer meine freien Entscheidungen, meine Zeit wieder einmal nicht mit dir zu verbringen, dir wieder einmal nicht zuzuhören.
Ich bin ein Idiot, und es gibt keine Entschuldigung, dafür, dass ich nicht so für dich da war, wie ich es dir versprochen hatte... und wie du so viele Male für mich da warst.
Du bist sofort zu mir gekommen, als mein Vater seine Magenkrebsdiagnose bekommen hatte, und wir sind die ganze Nacht wach geblieben weil ich nicht aufhören konnte, zu heulen. Du hast dich mit Alva und Dan angelegt, als sie mich nach dem Schulfest vor vier oder fünf Jahren bedroht haben, weil sie wollten dass ich ihnen das Geld vom Keksverkauf gebe, das für die Bücherei bestimmt gewesen war, und die beiden haben dir den Arm gebrochen bevor dann Mrs. Combs aufgetaucht ist, und du hast bloß gemeint: „Hauptsache, die Deppen haben das Geld nicht bekommen", und ein halbes Jahr später, nach Lauras Autounfall, hab ich mich wieder tagelang bei dir ausgeweint... verdammt, ich Rede und Rede und Rede, und langsam habe ich keine Kraft mehr, weinen und sprechen ist so unfassbar anstrengend, doch wenn ich aufhöre, dann ist da nichts mehr als die Geräusche der Maschinen, die alles sind, was dich momentan am Leben hält.
Einer der Ärzte meinte, dein Zustand wäre noch nicht einmal mehr als Leben zu bezeichnen. Sei nichts weiter als eine Phase der Agonie, mehr tot als lebendig, aber das ist nicht wahr, oder?
Du kannst nicht sterben, das geht einfach nicht, das kann nicht sein! Du bist mein bester Freund, ich habe versprochen, auf dich aufzupassen, und ich weiß, dass ich versagt habe, aber bitte! Gib mir eine zweite Chance!
Wenn ich könnte, dann würde ich all das ungeschehen machen. Ich würde mich anders entscheiden, völlig gleich, wie erstrebenswert mir diese Beziehung damals vorkam.
Und ich weiß, dass das nicht möglich ist, es waren meine Entscheidungen, jede einzelne, und letztlich bin ich verantwortlich für all das, nicht Raya, und auch niemand sonst.
Ich habe dich enttäuscht. Ich bin Schuld daran, dass du nun hier liegst, daran, dass du mich möglicherweise nicht einmal hörst, daran, dass du vielleicht nie wieder aufwächst. Niemals mehr.
Ich will dir doch sagen, wie leid es mir tut, doch es klingt alles so falsch, so billig, so wertlos! Es spielt keine Rolle. Ich habe versagt. Ich bin ein Idiot, und ich konnte nicht einmal dieses eine Versprechen halten. Ich habe dich alleine gelassen. Habe nicht gesehen, wie schlecht es dir ging, habe dir nicht zugehört. Du standest am Abgrund und bist ihm immer näher gekommen, und ich war nicht da, um dich festzuhalten.
Falls du aufwachst ... WENN du aufwachst, dann würde ich verstehen, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben möchtest. Ich habe dich enttäuscht, und dafür gibt es keine Entschuldigung, ich kann nicht von dir verlangen, dass du mir vergibst! Aber... wenn du doch irgendetwas von dem mitbekommen hast, was ich dir heute erzählt habe... dann wäre ich dir sehr dankbar, wenn wir uns noch ein letztes Mal unterhalten könnten. Ich möchte einfach bloß wissen, was du von mir denkst. Ob es Hass ist oder Verachtung oder Enttäuschung... ich könnte es verstehen. Ich möchte es einfach bloß wissen.
Also bitte... wenn ich auch bloß noch das kleinste bisschen Anspruch darauf habe, dich um etwas zu bitten...Wach bitte auf!
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Darkness of Mind
Historia CortaEine Sammlung meiner über die Jahre entstandenen Kurzgeschichten. Genres: Horror, Thriller, Drama, Trauriges Eventuelle Triggerwarnungen werden vor den entsprechenden Kapiteln eingefügt.