Kapitel zwei - Der Schulsprecher

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"Wisst ihr wer es ist?", fragte sie, als sie den ersten Schock verarbeitet hatte, doch der nächste folgte, als Sirius seinen Arm ausstreckte und auf James' Platz zeigte.

Lily wusste nicht, wie ihr geschah. „Potter?", rief sie entsetzt hervor und schlug sich sogleich die Hand vor den Mund. Das hätte nicht sein müssen. Ihre Mitschüler wussten ausnahmslos alle, dass sie sich mit James nicht verstand und sie sich deshalb bei den Nachnamen nannten. Aber wenn es jetzt jemand gehört hatte, würde man sie für herzlos und gefühlskalt halten, nachdem was im Sommer passiert ist.

„Ja, James ist Schülersprecher!", bestätigte Sirius nun mit Worten und betonte den Vornamen seines besten Freundes auffällig stark und mit einem Unterton der Wut. Lily versuchte es zu überhören und holte tief Luft. „Wieso?", fragte sie nun etwas mehr unter Kontrolle und alle drei zuckten mit den Schultern. „Frag ihn selber. Glaub nicht, dass er will, dass wir's dir erzählen!", antwortete Sirius bissig und im Namen aller anwesenden Rumtreiber

Lily gab sich damit zufrieden und ging. Doch als sie kurz vor dem Ziel stehen blieb wurde es ihr plötzlich bewusst. Gleich würde sie James Potter treffen mit 100 Wahrscheinlichkeit. Sie hatte das Gefühl, als würde man ihr die Luft abschnüren. Was war nur los mit ihr? - fragte sie sich im nächsten Moment. Lily versuchte sich so gut es ging zu fassen und öffnete die Tür. Es musste einen Grund geben, warum Dumbledore ihn zum Schülersprecher gemacht hatte.

„Ah, die ehrenwerte Lily Evans, kleine Muggelgeborene was?", begrüßte sie jemand. Lily blickte auf und erkannte den Fünftklässler Peter Petersson, Slytherin. Sie atmete tief durch. Solche Kommentare und viel schlimmere war sie gewohnt. „Petersson, ich möchte sie gerne darauf hinweisen, dass es keine Rolle spielt, ob ich, wie Sie sagen, eine Muggelgeborene bin oder Reinblütig. Wie Sie sehen reicht mein Blut aus, um immerhin Schulsprecherin zu werden, was mir, falls Sie es nicht wissen sollten, das Recht gibt, Sie gegebenenfalls aus Ihrem Amt zu entheben z.B. auf Grund rassistischer Vorurteile.", erklärte sie ihm gewohnt selbstbewusst, wenn es zu diesem Thema kam, und brachte Petersson somit zum Schweigen. Sie lobte sich kurz für einen ersten gelungenen Auftritt als Schulsprecherin.

Doch in der trügerischen Stille, die plötzlich Oberhand gewann, fiel es ihr schnell wieder ein – James Potter. Fast wie in einem Albtraum, wo sich das Monster von der Seite an das Opfer heranschleicht und das Opfer sich in Zeitlupe umdreht, wendete sich Lily zur Seite und hielt die Luft an, als sie ihm schließlich gegenüber stand. Für einen Moment hatte sie gedacht, er wäre gar nicht hier – schließlich hatte er sie nicht verteidigt, wie er es sonst immer tat. Was sie eigentlich verwirren sollte, denn er tat es wirklich ausnahmslos immer, wenn jemand ein rassistisches Wort gegen sie erhob. Doch im Moment zog James sie mit seinem Auftreten in seinen Bann.

Dort drüben am Fenster, stand nicht mehr der James Potter, den sie noch vor 8 Wochen so verabscheut hat. Sie wusste nicht, ob sie diesen James Potter ebenfalls verabscheuen würde, noch hatte er nichts von sich gegeben, aber so wie er dastand, was seine Augen, seine Gestik und seine Mimik von ihm verrieten – sie wusste, dass es nicht mehr derselbe nervtötende, egoistische, arrogante, großkotzige James war. Vielleicht immer noch nervtötend, egoistisch, arrogant und großkotzig, aber nicht mehr derselbe.

Woran sie es erkannte, war ihr nicht ganz klar, aber ihn umgab nicht mehr diese strahlende, lebensfrohe Aura. Seine Augen wirkten müde, erschöpft und irgendwie traumatisiert. Als hätten sie etwas gesehen, was noch niemand gesehen hat. Etwas Grauenhaftes, etwas Schreckliches und Abscheuliches. Und im nächsten Moment wünschte sich Lily im Unrecht zu sein. Sie schluckte und versuchte sich für einen kurzen Augenblick auf sein Äußeres zu konzentrieren. Seine dunklen, von Locken etwas zersausten Haare, waren deutlich länger geworden. Nicht wie Remus, der seine dunkelblonden Haare zu einem kleinen Zopf binden konnte, aber lang genug, um ihn anders und irgendwie verwegen aussehen zu lassen. Sein Pony fiel ihm locker ins Gesicht und verdeckte die gezeichneten Augen leicht. Noch immer trug er seine Brille, die nur ihn – wie Lily plötzlich bewusst wurde – nicht wie einen Streber wirken ließ. Auch seine Gesichtszüge wirkten mit einem Mal viel reifer, sie mochte fast sagen männlicher.

Er war noch nie einer von den Milchbubis gewesen, schon auf Grund seines Quidditchtrainings, aber wie so vieles – war es einfach anders. Als er plötzlich einen Schritt auf sie zu machte, wurde sie aus ihrer Trance gerissen und diesmal ohrfeigte sie sich gleich mehrmals. Warum brachte er sie auf einmal so aus der Fassung? Vielleicht lag es daran, dass sie sich gegenseitig all die Jahre so schlecht behandelt haben und er nun auf einmal seine Eltern verloren hatte. Vielleicht empfand sie Mitleid, oder sogar ein wenig Schuldgefühle darüber, wie sie ihn manches Mal angegangen war.

Aber als die 8 Vertrauensschüler begannen ungeduldig zu tuscheln, wusste sie wieder was ihre Aufgabe war. Potter verdiente Mitgefühl, mehr aber auch nicht – maßregelte sie sich und versuchte die übliche kühle Fassade gegenüber Potter aufzubauen.

„Also Schulsprecher geworden?", fragte sie und es kam weniger aggressiv heraus, als sie sich gewünscht hätte. Er nickte und wendete sich den jüngeren Schülern zu. Ohne Lily weiter zu beachten begann er.

„Ihr seid, die 8 Schüler und Schülerinnen, die dieses Jahr vom Schulleiter, Professor Dumbledore, ausgewählt wurden Vertrauensschüler zu werden. Es ist eine wichtige Aufgabe, die Disziplin, Verantwortung und jede Menge Zeit erfordert. Hauptsächlich werdet ihr für Ordnung, Ruhe und Sicherheit in euren Häusern sorgen müssen. Außerdem werdet ihr in regelmäßigen Abständen zu Konferenzen einberufen, wo ihr mit bestimmten Dingen vertraut gemacht oder beauftragt werdet. Diese Konferenzen werden von Lily Evans und, oder mir einberufen werden. Wie ihr wisst, sind wir in diesem Jahr die Schulsprecher und haben das Recht jede eurer Entscheidungen zu prüfen und gegebenenfalls zu gestatten oder rückgängig zu machen. Es ist euch erlaubt, anderen Mitschülern, auch außerhalb eures Hauses, Punkte abzuziehen oder Strafarbeiten aufzuerlegen. Aber euch sei gesagt, geht verantwortungsbewusst mit dieser Vormachtsstellung um, denn wir haben ein Auge darauf. Andernfalls könnt ihr, wie Miss Evans bereits erwähnte, von euren Diensten als Vertrauensschüler suspendiert werden.", erklärte James die wesentlichen Gegebenheiten in einem Atemzug, wie Lily schien. Mit offenem Mund und das Atmen vergessend blickte Lily zu James. Hatte er das auswendig gelernt oder wusste er tatsächlich wovon er sprach. Er hatte sie Miss Evans genannt - ...

„Gibt es Fragen?", fragte er nun in die Runde und ignorierte Lily. Das Mädchen der Hufflepuffs meldete sich: „Was für Strafarbeiten dürfen erteilt werden?" Lily wollte gerade gedanklich alles zusammen sortieren, als James bereits begann laut aufzuzählen: „Aufsätze, die im Zusammenhang mit der Straftat stehen; Aufräum- und Putzarbeiten auf dem Schulgelände; Behebung eines möglicherweise verursachten Schadens; oder das Überlassen des Schülers an einen Hauselfen eurer Wahl, in dessen Diensten er dann über einen gewissen Zeitraum steht."

Lily blickte ihn noch geschockter, schon fast etwas wütend an, denn sie musste sich wohl oder übel eingestehen, dass er seinen Job bis jetzt gut erledigte. Aber wieso? Wieso redete ein James Potter, der auf alle Regeln pfiff, sich einen Dreck um Straftaten scherte von Disziplin und Verantwortungsbewusstsein? Warum stand er dort und machte sich nicht über die Strafmaßnahmen lustig? Wieso demütigt er Lily auf so eine Art und Weise?

Wütend verschränkte sie die Arme vor der Brust und schnaubte leise. Sie blickte argwöhnisch auf seine Brust, um sich zu vergewissern, ob er auch wirklich Schulsprecher war. Dort prangte das Abzeichen.

Ihr Mitleid und ihre Sorge wie sie sich nach dem Tod seiner Eltern ihm gegenüber verhalten sollte waren vergessen. Wie im Rauschzustand überkam sie plötzlich das Verlangen, ihn so bloßzustellen, wie die letzten Jahre, als er sie zum Beispiel öffentlich fragte mit ihr auszugehen.

Aber da hatte sie einen Grund gehabt. Es war unverschämt von ihm, sie so etwas zu fragen, nachdem sie ihn davon abgehalten hatte Snape noch Schlimmeres anzutun. Wohlwollend war sie hierher gekommen, doch jetzt baute sich ihr gewohntes Verteidigungsschild gegen James vor ihr auf. Aber nicht etwa, um sich gegen irgendetwas Unrechtes, Unverschämtes oder Unsinniges zu wehren, sondern weil sie das erste Mal in ihrem Leben erkannte, dass James Potter auch anders kann – weil sie das erste Mal in ihrem Leben auf James Potter neidisch war.

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