Es war alles so gewohnt, als sie den ersten Fuß auf den Bahnsteig setzte - und doch war es das nicht. Nur zu gern hätte sich Lily einreden wollen, dass es an der Verantwortung lag, die sie nun als Schulsprecherin trug. Aber sie war noch nie gut darin gewesen sich selbst etwas vorzumachen – auch wenn ihr in diesem Moment eine sehr leise Stimme zuflüsterte, dass sie sich in Bezug auf James Potter schon seit geschlagenen 7 Jahren etwas vormachte.
Sie seufzte und blickte hinauf zum Schloss. Für einen kurzen Moment konnte sie ihre Gedanken verdrängen und den Anblick von Hogwarts genießen, wie es da so friedlich auf dem Berg lag und der Dämmerung entgegen fieberte, um endlich in voller Pracht zu erstrahlen. Des Nachts, wenn alle Lichter angezündet und in der weitläufigen schwarzen Gegend der einzige Lichtpunkt waren, genau in diesen Augenblicken fühlte sich Lily zu Hause und endlich angekommen.
Ein Lächeln huschte über ihr zart rosafarbenen Lippen, als plötzlich ein lautes Schreien in ihre Ohren drang. Erschrocken schaute sie sich um. Unweit von ihr stand ein kleines Mädchen, an dem der schwarze Schulumhang viel zu groß wirkte. Es weinte bitterlich und heftige Schluchzer ließen es kaum einen befreienden Atemzug nehmen.
Lily begriff einen Moment zu spät. Sie stand auf dem Bahnsteig wie angewurzelt, versperrte anderen ungeduldigen Schülern, die aus dem Zug strömten, den Weg und starrte gebannt auf die Szenerie, die sich vor ihr abspielte.
„Hey Kleine, warum weinst du denn?", hörte sie ihn sagen, als er sich neben das Mädchen mit den schulterlangen Haaren kniete, das verstummte sobald James ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter legte. Lily konnte sehen, wie das Mädchen versuchte seine Fassung wiederzufinden, während sich seine Wangen röteten. Nun musste Lily schmunzeln. Diese liebenswerte Schüchternheit, dieses Leuchten in ihren Augen kannte sie nur zu gut, kindliche Schwärmereien hatte sie am eigenen Leib erfahren müssen. Sie war 12 Jahre alt gewesen, als ein Quaffel sie am Kopf getroffen und ihr einen unvergesslichen Krankenflügelaufenthalt beschert hatte.
In jenen Monaten in denen Madame Pomfrey einen jungen, männlichen Praktikanten in ihren Heiligen Hallen beherbergte, war jedes ihrer Betten belegt gewesen. Lily war bei weitem nicht die einzige, die fest daran geglaubt hatte zu sterben, sollte sie den Krankenflügel verlassen müssen und ihn nie wieder sehen dürfen. Matthew Stevens war für 6 Monate der Mann der schlaflosen Nächte aller Mädchen gewesen.
Ach, wie jung und naiv sie damals war. Lily schüttelte schnell den Kopf, um diese furchtbar altklugen Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie war 17 Jahre alt und wenn sie an die peinliche Situation vorhin im Zug zurückdachte, war sie keinen Deut besser als damals mit 12 Jahren.
Während sie sich in ihrem Oberstübchen schon wieder in einem Wirrwarr von Erinnerungsfetzen und Selbstverachtung verhaspelte, kümmerte sich James vorbildlich um das kleine Mädchen, welches die Gunst der Stunde nutzte, um ihren Schwarm in ein Gespräch zu verwickeln.
Da fiel es Lily plötzlich wie Schuppen von den Augen. Sie war Schulsprecherin. Sie trug dafür Sorge alle Erstklässler unversehrt in die Räumlichkeiten von Hogwarts zu führen.
Lily fasste all ihren Mut zusammen, schluckte die unangenehmen Erinnerungen an die Szene im Zug hinunter und lief zu James hinüber.
Doch ihr bloßes Erscheinen konnte seine Aufmerksamkeit nicht gewinnen, so dass sie sich laut räusperte um dem Abhilfe zu schaffen. Die einzige Aufmerksamkeit die Lily nun dafür zuteil wurde, war die des kleinen Mädchens. Erschrocken starrte sie Lily an und erging sichtlich in Ehrfurcht.
Lily versuchte zu lächeln, um der Kleinen die Angst ein wenig zu nehmen. Doch über ein klägliches Zucken der Mundwinkel kam sie nicht hinaus. Die Tatsache, dass sie einem 11jährigen Mädchen anscheinend Angst einflößte, brachte sie aus der Fassung. So eine Reaktion passte nicht in ihr Konzept. Alles, wirklich alles, war dazu bestimmt ohne Probleme, ohne Schwierigkeiten und ohne Umstände abzulaufen. Ihr Jahr als Schulsprecherin sollte ewig in Erinnerung bleiben, aber bestimmt nicht weil ausgerechnet James Potter ihr Partner geworden ist und ein 11jähriges Mädchen, um dass sie sich kümmern sollte, vor ihr Angst hatte. Kinder durften vor ihr einfach keine Angst haben. Sie war Lily. Lily Evans.
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Ich verfasse dein Leben in Worte
FanfictionLILY&JAMES - Lily ist fest entschlossen Journalistin zu werden, auch wenn das bedeutet, die nächsten Wochen mit James Potter verbringen zu müssen. Denn ihre letzte Aufgabe im harten Kampf um einen Job beim Tagespropheten ist es, eine Reportage über...