1. Kapitel

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Schon in dem Moment, in dem ich am heutigen Morgen meine Augen aufschlug, pochte mein Herz heftiger als jemals zuvor und ein Kribbeln hatte sich in all meinen Gliedern ausgebreitet. 
Ein schwaches Grinsen huschte kurz über mein Gesicht, während ich noch verschlafen auf die Decke meiner Höhle blinzelte. Irgendwie fand ich es nämlich selbst niedlich, wie aufgeregt ich war. Und ja, so wirklich glauben, dass es heute geschehen würde, wollte ich es noch nicht.
Es war vor ein paar Tagen geschehen, am Abend, als ich gerade von der Arbeit hatte nach Hause gehen wollen. Kurz bevor ich unser Versteck verlassen hatte, hatte mein Chef mich abgefangen und mir die frohe Botschaft mitgeteilt: Ein junges Pokémon hatte den Wunsch geäußert, in Zukunft mit uns zu arbeiten - und ich sollte sie aufbilden. Nur die immer wiederkehrende Nervosität hatte meine Freude trüben können. Ich hatte noch nie einen Schüler gehabt, aber unsere Mission war so wichtig, dass ich mir keinen Fehler erlauben wollte.
Als dieser Gedanke nun wieder mein Bewusstsein erreicht hatte, beeilte ich mich, auf die Füße zu kommen, denn an einem solch besonderen Tag wollte ich auf keinen Fall zu spät kommen. Ich schüttelte mir sämtliches Moos und Heu aus dem Fell, schlag zum Frühstück eilig einige Beeren hinunter und schlüpfte dann aus meiner Wohnhöhle hinaus, um mich am nahen Teich kurz abzuwaschen. 
Mein Zuhause lag zwischen den Wurzeln einer sehr alten Eiche, die am Rande einer Lichtung stand, auf der besagter Teich das Ende eines schmalen Baches markierte. Jetzt, wo es Frühling war, sprudelte noch ein kleines Rinnsal munter durch den Wald, doch ich wusste ganz genau, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis der Bach für den Sommer komplett austrocknen würde. Vermutlich würde ich dann morgens einen längeren Weg in Kauf nehmen müssen, denn ohne die stetige Zufuhr wurde der Teich oft so schlammig, dass ich darin beim besten Willen nicht mehr baden wollte.
Von meiner Höhle bis zu der, in der ich und meine Kollegen uns zu treffen pflegten, war es ein kurzer und schneller Weg, den ich an diesem besagten Morgen dennoch viel zu früh antrat. 
Vielleicht war es meine Aufregung, vielleicht die erholsame Ruhe der letzten Nacht, vielleicht einfach der schöne Frühlingstag, irgendetwas schien meine Schritte förmlich zu beflügeln, und so hopste ich energiegeladen durch den Wald, ein fröhliches Liedchen auf den Lippen. Mein Weg führte mich erst durch ein dichtes Dickicht, das sich jedoch erstaunlich schnell einem lichtdurchfluteten Birkenwald wich. Trampelpfade diverser Pokémon zogen sich kreuz und quer, die Sträucher, die am Wegesrand gepflanzt worden waren, standen in voller Blüte und erfüllten die Luft mit einem angenehm süßen Duft. Mein Weg kreuzte sich mit dem einer Gruppe Wommel, die offenbar auf Nektarsuche waren, und ich warf ihnen einen schnellen Gruß zu, den jedoch niemand erwiderte.
Mit dem seltsamen Psiaugon, das abseits von allen anderen im von Eichen bewachsenen Teil des Waldes lebte, wollte niemand so wirklich reden. Doch das war mir an diesem Morgen so egal wie der Gesang der Wablu in der Ferne, der die gesamte Szene so harmonisch ergänzte, dass ich an jedem anderen Tag vor lauter Romantik vermutlich gekotzt hätte. 

Unser Hauptquartier lag ebenfalls in einer Höhle, deren Eingang wiederum unter einem Felsvorsprung in Meeresnähe lag.
Der Wald, in dem wir alle hausten, lag an der Küste, an guten Tagen trug der Wind den Geruch des Salzwassers und das Rauschen der Wellen zu uns herüber. Heute allerdings nicht, da wir ablandigen Wind hatten, so roch ich das Meer erst, als ich bereits dabei war, mit bedächtigen Sprüngen den Steilpfad hinab zu kraxeln. Ein Fehltritt konnte fatal sein, aber es war wichtig, dass unser Versteck geschützt und schwer zugänglich war. Mit dem, was wir taten, machten wir uns nicht gerade beliebt.
Wir nannten uns "Krieger der Freiheit", weil das treffend beschrieb, was wir eigentlich taten - wir kämpften für die Freiheit, die Freiheit von jedem einzelnen.
Gegründet worden war die Truppe vor vielen Jahren - an ziemlich genau dem Tag, an dem bekannt geworden war, dass es auch in dieser Gegend sogenannte Beschenkte gab. Beschenkte, das waren Pokémon, welche die Energie, die ihr Körper produzierte, und die eigentlich für Attacken, Fähigkeiten oder auch einfache Bewegungen genutzt wurde, auf eine andere Art und Weise verarbeitete und staute, als es bei einem normalen Pokémon der Fall war. So waren sie mit Kräften ausgestattet, die sie auf der einen Seite unfassbar stark und energetisch machten, auf der anderen Seite wurden sie dadurch aber auch irgendwie geschwächt - es war schwer zu beschreiben, was genau so ein Beschenkter war. Ich war schließlich keiner. Aber eines war sicher: Diese Pokémon waren mit einer Kraft ausgestattet, die sehr viel Grausames bewirken konnte, wie es die Vergangenheit zeigte, aber eigentlich immer nur dann, wenn man sie nicht kontrollieren konnte. 
Und dafür waren wir da. Wir sammelten Beschenkte ein, wann immer wir welche finden konnten, und halfen ihnen, ihre Fähigkeiten in den Griff zu bekommen. Zum Schutze der Pokémon selbst, denn es war nicht selten, dass die eigene Macht den Beschenkten einfach umbrachte, weil er sie nicht zurückhalten konnte, aber natürlich auch zum Schutze der Waldbewohner. Diese waren allem voran der Grund, warum wir meistens im Verborgenen agierten: Die meisten von ihnen teilten unsere Ansichten nicht. Sie waren der Meinung, es sei am besten, einen Beschenkten einfach umzubringen, sobald man die Gelegenheit dazu hatte, dann sei das Problem schließlich auch gelöst.
Und sie konnten sich wohl nicht ausmalen, was für Folgen ihr Hass haben konnte. Das hingegen spürte ich am eignen Leib. Der Tag, an dem herausgekommen war, dass ich für die Krieger der Freiheit kämpfte, war der Tag gewesen, an dem ich zum Außenseiter geworden war. Erfreut war ich darüber natürlich nicht, aber eines musste man diesem Ausschluss lassen: Es machte einen resistent. 

Krieger der Freiheit (Pokémon-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt