Der Raum

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   Timothy lag auf dem Sofa. Er atmete, aber ansonsten tat er nichts. Es war ziemlich warm in Colorado, USA. Auf dem Fernseher flackerten die aktuellen Nachrichten. Doch Tim war auf etwas Anderes fokussiert: das Fenster. Dort stand eine seltsame Gestalt. Beinahe komplett in schwarz gekleidet. Die Gestalt schaute nicht durch das Fenster, sondern auf das Fenster der Nachbarn. Doch Tim war trotzdem etwas unheimlich. Er nahm sein Handy und wählte die Handynummer seines Vaters.
   Seine Mutter war vor gut einem Jahr nach Deutschland gezogen, da sie dort ein besseres Job-Angebot bekommen hatte. Doch Tim wollte nicht mit, da er seine Freunde nicht verlieren wollte. Also blieb Tim mit seinem Vater in dem Haus der Familie in Colorado und seine Mutter zog in eine Drei-Zimmer-Wohnung in der Nähe von Köln.
   Tims Vater nahm ab: „Hallo?"
   „Hey, hier steht jemand vor dem Haus", berichtete Tim, „Weißt du, wer das sein könnte, oder warum der hier steht?"
   „Wie sieht er aus?"
   „Er ist ganz schwarz gekleidet"
   „Geh auf gar keinen Fall raus! Hast du verstanden? Ich bin so schnell es geht da!" Dann legte Tims Vater auf. Verwirrt legte Tim sein Handy auf den Tisch. Auf einmal hörte Tim ein lautes Klopfen. Aber kein gewöhnliches Klopfen... Es schien, als ob es aus allen Ecken und Wänden kommen würde. Das Klopfen wurde lauter. Dann: ein Klicken. Tim schreckte auf. Hinter dem Fernseher hatte sich etwas geöffnet. Eine kleine Luke. Vorsichtig schob Tim den Fernseher zur Seite, damit er die Luke genauer sehen konnte. Dahinter befand sich ein Gang. Es schien, als ob der Gang in ein weiteres Zimmer führen würde. Tim begab sich auf alle Viere, um durch den Schacht kriechen zu können. Es war eng, aber er schaffte es. Es war tatsächlich ein weiteres Zimmer. Der Raum war schwarz gestrichen und so gut wie leer. Eine einzige von der Decke hängende Glühbirne spendete Licht. Doch Tim fiel noch etwas auf: In der Ecke des Raumes war ein kleiner, roter Knopf angebracht. An sich war Tim ein ziemlich schreckhafter Typ. Doch obwohl er Angst hatte, den Knopf zu drücken, tat er genau dies. Eine weitere Luke öffnete sich. Diesmal an der Decke. Gerade groß genug, um sich hindurchzuzwängen. Da Tim für seine 14 Jahre sehr groß war, erreichte er die Luke mit bloßen Händen. Er fühlte eine Plattform. Perfekt, dachte er, da kann ich mich hochziehen. Mit aller Kraft drückte Tim gegen die Platte. Und tatsächlich: Langsam bewegte er sich nach oben. Er drückte weiter. Mit viel Mühe und Kraft setzte sich Tim schließlich auf die von unten erfühlte Plattform. Er hechelte nach Luft, bevor er sich aufrichtete. Also, er versuchte es. Der Raum war maximal einen Meter hoch. Also setze sich Tim wieder. Langsam und auf allen Vieren versuchte er, den unbeleuchteten Raum zu erkunden. Mehrmals stieß er sich den Kopf an der tiefen Decke. Doch er gab nicht auf. Immer weiter kroch er in dem Raum umher. Nur das Licht aus dem unteren Raum erhellte den Raum etwas. Auf einmal: wieder ein Knopf. Tim fasste erneut all seinen Mut zusammen und drückte auf den Knopf. Plötzlich schloss sich die Luke und der Raum bewegte sich nach oben. Oder nach unten? Tim konnte es nicht genau deuten. Auf jeden Fall bewegte sich der Raum nach oben oder unten. Nach kurzer Zeit kam der Raum zum stehen. Nichts passierte. Der Raum stand. Tim verstand die Welt nicht mehr. Er hatte nie gesehen, dass das Haus eigentlich größer war, als es von innen wirkte. Doch nun war erstmal eine Frage zu beantworten: Wie zum Teufel sollte Tim hier wieder rauskommen? Doch um darüber nachzudenken war keine Zeit, denn Tim bemerkte, wie sich die Decke langsam senkte. Er fühlte sich immer weiter eingeengt. Aus Angst, dass er in dem Raum erdrückt werden könnte, drückte er panisch gegen alle Wände. Und tatsächlich: Eine der Wände ließ sich ganz einfach zur Seite drücken. Dahinter erkannte man die Umrisse eines weiteren Raumes. Auf einmal war der neue Raum völlig erleuchtet. Tim musste ein paar mal blinzeln, bis er wieder richtig sehen konnte. Eine riesige LED-Leinwand zeigte ein Logo irgendeiner Firma. In den Ecken hingen riesige Lautsprecher, aus denen leise Musik spielte. Die Decke bestand zur Hälfte aus Lampen, die andere Hälfte aus Holz. In der linken Ecke befand sich ein Sessel. Davor ein kleiner Tisch mit Maus und Tastatur. Tim stand vorsichtig auf und ging in Richtung des Sessels. Er setzte ich langsam auf diesen und zog die Tastatur näher heran. Das Logo verschwand und die Startseite eines Webbrowsers öffnete sich. Drei Seiten waren verlinkt: Mail, Google und eine andere Seite, die nur mit einem „E" gekennzeichnet war. Tim überlegte kurz und klickte dann auf das geheimnisvolle E-Icon. Die Seite lud und ein einziges Wort stand auf dem Bildschirm: Scan. Dann leuchtete der Schriftzug rot auf und ein lautes Warnsignal ertönte aus den Lautsprechern. Sofort sprang Tim erschrocken auf und rannte zurück in den kleinen Fahrstuhl-Raum.
   Zurück auf dem Sofa zog Tim sich so schnell wie es ging die Decke über den Kopf. Dann hörte er, dass jemand die Tür aufschloss: Tims Vater. Sobald er den Schlüssel aus dem Schloss gezogen hatte, rannte er so schnell es geht zu Tim.
   „Was sollte das?" Tims Erstaunen war deutlich zu hören.
   „Was hast du gemacht?", fragte Tims Vater mit deutlichem Ärger.
   „Ich hab die ganze Zeit auf dem Sofa gelegen und auf dich gewartet." Er erwähnte bewusst nicht, dass er den geheimen Raum entdeckt hatte.
   „Was hast du gemacht?", fragte Tims Vater erneut.
   „Immer noch nich..." Tim stockte. Er bemerkte, dass der Blick seines Vaters auf die immer noch offen stehende Luke gerichtet war.
   „Was hast du gemacht?"
   „Gegenfrage: Wieso habt ihr einen geheimen Raum in unserem Haus eingebaut und mir nichts davon erzählt?"
   „Du zuerst."
   „Ich habe die Klappe entdeckt und bin durchgeklettert und irgendwann in den Raum gekommen. Wieso habt ihr den?"

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