12 | Abneigung

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2.771 Worte

Der Donnerstag verläuft ohne größeres Aufsehen. Einzig und allein die Frage, ob ich wieder mit Sammy und seinen Freunden zu Mittag essen soll, wirbelt den halben Tag bis zur Pause in meinem Kopf umher. Und selbst als ich auf dem Weg zur Cafeteria bin, habe ich noch keine Antwort darauf gefunden.

Die wird mir auch ganz spontan abgenommen, als Veronique an meine Seite tritt, sich ungefragt bei mir unterhakt und zur ihrem Tisch schleppt, ohne dass ich die Möglichkeit habe irgendwie Widerstand zu leisten. Dort angekommen sitzen bereits Jonah und Addison mit ihrem Essen und warten auf die anderen. Scheppernd stellt Etienne, der plötzlich hinter mir auftaucht, sein Tablett neben Jonahs ab und setzt sich.

»Schaut mal, wen ich dazu überreden konnte, wieder mit uns Mittag zu essen«, verkündet Vero stolz, während sie ihre Tasche neben Addison plumpsen lässt, um mich dann weiter zur Essensausgabe zu schleifen. Es überrascht mich, dass mir ihre übergriffige Art nicht halb so unangenehm ist, wie ich gedacht hätte.

»Tut mir leid, dass ich dich so überfalle, aber ich hatte die Befürchtung, du würdest sonst nicht mit uns essen«, erklärt sie, immer noch bei mir untergehakt, und stellt mit einer Hand zwei Tabletts hintereinander auf die Ablagefläche, während sie mein Schweigen richtig deutet. »Ich hatte recht, oder?« Ihre großen, runden Augen, die mich so liebevoll anschauen, rufen in mir Schuldgefühle hervor.

Mit ihnen gestern in der Cafeteria zu sitzen war schön. Ich fühlte mich zwar auf eine seltsame Weise verloren, weil ich nichts zum Gespräch beisteuern konnte und dennoch war es irgendwie schön, nicht nur mit Sammy zusammenzusein. Trotzdem hätte ich mich heute zurückgezogen, wenn Vero mich nicht an ihren Tisch geschleppt hätte.

»Sammy wird überrascht sein, wenn er dich bei uns sitzen sieht. Auf jeden Fall wird es ihn freuen. Du bedeutest ihm echt viel«, redet sie munter weiter und verteilt das Essen, das uns sie Kantinenfrau anreicht, auf unsere Tabletts.

»Ich weiß«, seufze ich leise und füge in Gedanken hinzu, und dafür bin ich ihm viel zu wenig dankbar.

Vero und ich stellen gerade unser Essen auf dem Tisch ab, da kommt Sammy in die Cafeteria geschlendert und sieht mich bei seinen Freunden. Schlagartig hellt sich seine Miene auf und er kommt freudig zu uns.

Mit stolz geschwellter Brust verkündet Vero auch Sammy, dass sie es geschafft hat, mich zu überreden, bei ihnen zu essen. Verlegen, weil nun die ganze Aufmerksamkeit der fünf Leute auf mir liegt, senke ich den Blick und pieke mit meiner Gabel etwas Salat auf. Etwas anderes kann ich von dem heutigen Essen sowieso nicht zu mir nehmen, wenn ich endlich weiter abnehmen will. Von den Pommes tropft das Fett quasi runter und die kleinen, frittierten Nuggets haben fast genauso im Fett gebadet.

»Ich weiß nicht, ob ich glücklich oder beleidigt sein soll, dass du dich von ihr, die du gerade mal einen Tag kennst, überreden lässt und ich dich seit locker einem Jahr beknie«, scherzt er und Vero rutscht etwas zur Seite, damit Sammy zwischen ihr und mir sitzen kann.

Ich lächle verlegen und hebe meinen Kopf wieder etwas an. Dabei fällt mein Blick auf Addison, die mir gegenüber sitzt und mit ihren Augen Giftpfeile auf mich abfeuert.

Ich schlucke. Ganz offensichtlich hatte sie gestern nicht nur einen schlechten Tag. Ihre Abeneigung gilt ganz speziell mir.

Trotzdem versuche ich mich nicht von ihr einschüchtern zu lassen und mich ein bisschen am Gespräch der anderen zu beteiligen. Besonders Vero achtet darauf, dass ich mich dieses Mal nicht wie das fünfte Rad am Wagen fühle und stellt mir immer wieder Fragen.

Wo ich herkomme. Ob ich Geschwister habe. Und auf welches College ich nach der Schule gehen möchte. Im Gegenzug beantwortet sie, nachdem sie mir zugehört hat, auch jede dieser Fragen, sodass ich auch sie ein bisschen näher kennenlernen kann.

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